Die große Friedensdemonstration am 3. Oktober in Berlin wird von einem großen Bündnis aus über 2.500 Gruppen und Einzelpersonen getragen. Ein Lichtblick: Auch etliche Gewerkschaftsgremien und viele gewerkschaftliche und betriebliche Haupt- und Ehrenamtliche rufen zu dieser Demo auf. Nach den zähen Debatten auf den Gewerkschaftstagen letztes Jahr, dem Ringen der Friedenskräfte in örtlichen Versammlungen und Gremien ist dies ein kleines Friedenspflänzchen, das langsam, aber stetig in den Gewerkschaften wieder wächst. Es macht sichtbar, dass es keine breite Unterstützung der „Zeitenwende“-Politik gibt und sich mehr und mehr Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf den Friedensauftrag ihrer Organisation besinnen.
So haben unter anderem die IG Metall von Berlin, Jena-Saalfeld-Gera, Hanau und Würzburg zur Demo in Berlin aufgerufen. Auch der ver.di-Landesfachbereich A (Finanzdienste, Kommunikation und Technologie, Kultur, Ver- und Entsorgung) des Bezirks Berlin-Brandenburg, der ver.di-Bezirk Stuttgart sowie der Bezirksvorstand der IG BAU Berlin haben zur Teilnahme aufgerufen. Zum Teil werden auch Busse für die Fahrt nach Berlin organisiert. Dazu kommen einige Einzelmitglieder aus Landesvorständen der ver.di, NGG und GEW sowie DGB-Kreisvorsitzende und IG-BAU-Kreis- beziehungsweise Bezirksvorsitzende.
Interessant ist, wie die gewerkschaftlichen Gremien ihren Aufruf begründen. Bei der IG Metall Berlin war die Mobilisierung für den 3. Oktober bereits Teil des Aufrufs zum Antikriegstag am 1. September. Dort heißt es unter anderem: „Es ist offizielle Politik, das Land kriegsfähig zu machen. Über den Aufbau einer Kriegswirtschaft, erneute Bunkernutzung, die staatliche Förderung der Rüstungsindustrie und die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird offen diskutiert (…). Erneut wird Europa zum zukünftigen Schlachtfeld – mit Deutschland als Zentrum kriegsrelevanter Ziele.“ Die Reichweite und Geschwindigkeit moderner Raketen könne die Vorwarnzeiten auf wenige Minuten reduzieren. Die Gewissheit, „Wer als erster schießt, stirbt als zweiter“, sei somit dahin. Dies steigere die „Gefahr präventiver Atomschläge“, heißt es von der IG Metall Berlin. Im Aufruf wird zudem gefordert, keine atomaren Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren und Verhandlungen zur Beendigung der Kriege in der Ukraine und Gaza aufzunehmen.
Die IG Metall Würzburg weist auf das wachsende „Risiko eines großen Krieges zwischen den Atommächten“ hin und „einer militärischen Eskalation in Europa“. Über 85 Milliarden Euro würden in diesem Jahr für Krieg und Militär ausgegeben, statt sie „in unsere marode Infrastruktur, in die Bildung, die Pflege, die Bekämpfung des Klimawandels oder in den Umbau unserer Industrie zu stecken“. Norbert Zirnsak, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Würzburg, bezeichnet die Friedensdemo in Berlin gegenüber der Tageszeitung „junge Welt“ als „Chance, gemeinsam die Stimme gegen Krieg und für eine friedliche Zukunft zu erheben“. Er zitierte Georg Benz, ehemaliges Vorstandsmitglied der IG Metall, der 1982 sagte: „Die vorrangigste Aufgabe der Arbeiterbewegung ist der Kampf für Frieden, Freiheit und Völkerverständigung!“ Diplomatie und Zusammenarbeit seien „der Weg nach vorne, nicht neue Mittelstreckenraketen“, so Zirnsak, der auf den Zusammenhang zwischen Krise der Industrie und Kriegspolitik verwies: „Erhöhte Kosten für Energie und Rohstoffe entstehen auch durch militärische Konflikte und mehr Aufrüstung.“ Zudem würden Investitionen in zivile Projekte zugunsten militärischer zurückgestellt. Dies führe zu einem Mangel an Aufträgen in der zivilen Produktion.
Der ver.di-Landesfachbereichsvorstand A Berlin-Brandenburg arbeitet in seinem Beschluss zur Unterstützung der Friedensdemonstration die Zusammenhänge zwischen Reallohnverlust, Sozialabbau und Kriegspolitik heraus: „Wir sind überzeugt: Mit Hochrüstung und atomarer Abschreckung kann man Kriege nicht verhindern und Frieden sichern. Im Gegenteil: Die Kriegsgefahr erhöht sich (…). Wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht bereit, für Aufrüstungspolitik, Inflation und Profitwirtschaft mit unseren erkämpften sozialen und tariflichen Errungenschaften, mit Reallohnverlust und Lohndumping durch Ausgründung in prekäre Arbeitsverhältnisse zu bezahlen. Wir verteidigen unsere soziale Existenz und die unserer Familien gegenüber den Maßnahmen der Bundesregierung. Wir fordern, dass diese Milliarden Euros für ausreichendes Personal in den Betrieben der öffentlichen Daseinsvorsorge, für bezahlbare Mieten durch sozialen Wohnungsbau, bezahlbaren ÖPNV und ökologisch nachhaltige Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden!“
Dass die Diskussionen um Friedenspolitik in den Gewerkschaften belebt werden konnten, dazu haben zwei Konferenzen beigetragen, die im Juni 2023 in Hanau und im Juni 2024 in Stuttgart stattfanden. So hat die Delegiertenversammlung der IG Metall in Frankfurt einen Beschluss gegen die Militarisierung der Gesellschaft, für Frieden und Abrüstung gefasst und die Aufkündigung der Zusammenarbeit der IG Metall mit dem Rüstungsverband BDSV gefordert. Weitere Diskussionen um Friedenspositionen gab es auf den Delegiertenversammlungen der IG Metall in Stuttgart und in München. Dort kam es zu keinem Beschluss, auch weil Delegierte aus Rüstungsbetrieben sich für mehr Rüstung aussprachen – sicher auch aus Angst um ihre Arbeitsplätze. Diese Debatten sind wichtig und notwendig, gerade dort, wo vorerst keine Mehrheiten für Friedenspositionen bestehen.
Am 12. Oktober geht es direkt weiter: ver.di und GEW haben zu einer Friedensdemonstration in München aufgerufen. Sie wird unter dem Motto „Soziales rauf – Rüstung runter“ stattfinden. Es ist die erste größere Demo, die direkt von gewerkschaftlichen Gremien gegen Hochrüstung und Sozialabbau organisiert wird.
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