XXVIII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz mit neuem Besucherrekord

Gemeinsam gegen Krieg und Krise

Eines haben die Besucher der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) der Tageszeitung „junge Welt“ (jW) und die online Zugeschalteten gemeinsam: Sie wollen sich nicht in der „Einstimmigkeit der Herde“ verlieren. Vor der warnte Rosa Miriam Elizalde, Erste Vizepräsidentin des kubanischen Journalistenverbands, in ihrem Konferenzbeitrag „Krieg und Kolonialismus 2.0“, als die Konferenz sich schon langsam dem Ende zuneigte.

Mehr als 3.000 Friedensbewegte, Kommunisten und Sozialisten nahmen vor Ort im Berliner Hotel Mercure MOA an der Konferenz teil – ein neuer Besucherrekord. Das Bedürfnis, nach zwei lediglich im Cyberspace stattfindenden Rosa-Luxemburg-Konferenzen wieder persönlich zusammenzukommen, zu diskutieren und liebe Mitkämpfer in den Arm nehmen zu können, war offensichtlich enorm. Nach dem Umzug der RLK 2017 in das Mercure MOA sind die dortigen Räumlichkeiten schon wieder zu klein. Zusätzlich waren zeitweise über 20.000 Endgeräte in den Live-Stream eingewählt, vor denen Interessierte die Konferenz von zu Hause aus verfolgten, oft zusammen mit weiteren Genossen und Freunden.

Kurz vor dem offiziellen Beginn der Konferenz um 10.30 Uhr begrüßten die Saxophonisten Willy Pollack und Ben Perckoff von Black Heritage Besucher im Foyer mit flotten Tönen. Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer des Verlags 8. Mai, eröffnete die Kunstausstellung der „jungen Welt“: „Kultur ist Politik und Politik ist Kultur.“ Ein Motto, das MFA Kera, Mike Russell & Black Heritage gefallen dürfte. Deren funky Grooves mit ordentlich Bassrutsche brachten in Schwung, wer noch müde war von der Anreise.

Das Thema der Konferenz, „Den dritten Weltkrieg stoppen – jetzt!“ habe man sich nicht leichtfertig ausgesucht, erzählte Sebastian Carlens. Der Leiter des Verlags 8. Mai moderierte die Konferenz zusammen mit Ina Sembdner, Redakteurin für Außenpolitik der jW. Das Thema der letztjährigen RLK, „Hände weg von Russland und China“, sei richtig gewesen, die Situation habe sich seitdem dramatisch zugespitzt. Es gelte, so Sembdner, der Mobilmachung der Herrschenden für einen neuen Krieg etwas entgegenzusetzen. Das hinter Washington versammelte NATO-Lager führe einen verzweifelten Kampf gegen den eigenen Abstieg.

Zu diesem Abstieg und dem Aufstieg der Volksrepublik China äußerte sich Wen Tiejun. Der Ökonom forscht und lehrt an der Renmin-Universität in Peking. Von dort aus war er live zugeschaltet. Die chinesische Regierung verfolge das Ziel einer ökologischen Erneuerung. Als Beispiel nannte Tiejun den Aufbau von Photovoltaikanlagen, bei denen staatliche Firmen das Risiko trügen, die Anlagen aber in das kollektive Eigentum der Dorfbewohner übergingen. Die Essenz seines Vortrags: Sozialistische Ökonomie ist nicht nur durch Kontrolle über Fabriken, sondern auch durch den Einsatz von Finanzkapital steuerbar.

Aufklärung könnte auch ein anspruchsvolles Kulturmagazin wie „Melodie & Rhythmus“ leisten. Das Projekt ist gerade auf Eis gelegt, weil Mitarbeiter fehlen. Dessen Chefredakteurin Susann Witt-Stahl erklärte, weshalb es so schwierig ist, geeignete Redakteure zu finden: Angesichts eines kleinen Teams und knapper Ressourcen bedürfe es hoher Qualifikation auf allen Ebenen und eines „enormen Bildungskapitals“. Sie machte auch das politische Problem, dass der Kapitalismus nicht mehr „am Luxus bürgerlicher Demokratie“ interessiert sei, mitverantwortlich. Zudem werde die Kulturindustrie „immer totalitärer“, es herrsche „inhaltsleerer Hedonismus“.

Der ehemalige sowjetische und russische Diplomat und Professor für Geschichte Nikolai Platoschkin konnte nicht persönlich anreisen, weil sein Reisepass eingezogen wurde. Live aus Moskau zugeschaltet, hielt er seinen Vortrag in geschliffenem Deutsch. Er zog Parallelen zwischen der Faschisierung Deutschlands 1932/1933 und der der Ukraine ab 2014. Viele Menschen im Donbass und in Russland sehnten sich nach einem besseren Staat und nach Frieden.

Die westeuropäische Linke müsse sich auf ihre Kernwerte besinnen, nämlich soziale Gleichheit und die Beendigung des Kapitalismus. Augenzwinkernd verwies er auf die Krawatte, die er sich umgebunden hatte, obwohl er das nur ungern mache. Die Linke müsse „alternativ, modern, aber auch staatsmännisch“ sein.

Ein fester Bestandteil der RLK ist die Einladung Mumia Abu-Jamals, der seit 1981 unschuldig in den USA im Gefängnis sitzt. Er schickte ein Grußwort.

Der US-Wirtschaftshistoriker Jack Rasmus gab einen Überblick über die krisenhafte Weltwirtschaft. Er war live aus Kalifornien zugeschaltet. Der Neoliberalismus sei seit der Krise von 2008/2009 nie wieder ganz auf die Beine gekommen. Das zeige sich an verlangsamtem Wachstum und deutlich erhöhter Staatsverschuldung. Eine relative Verschiebung von Kapital aus der realen Wirtschaft hin zum Finanzsektor sorge für Instabilität und verschärfte Ausbeutung. Die derzeitige Inflation dürfte auf einem Niveau von 5 bis 6 Prozent chronisch werden, vermutet Rasmus.

Der US-Imperialismus sei in den letzten 25 Jahren aggressiver geworden, das zeige sich deutlich im Ukraine-Krieg. Möglicherweise eröffne die NATO neue Fronten gegen Russland. Der Kapitalismus werde die Mitte des 21. Jahrhunderts nicht überdauern. Er könne die Klimakrise nicht lösen und Künstliche Intelligenz werde massenhafte Arbeitslosigkeit verursachen. Das könne den Boden bereiten für soziale Bewegungen.

Ein Höhepunkt der RLK war die Manifestation für den Frieden, für die sich viele Teilnehmer mit Anti-Kriegs-Transparenten auf und neben der Bühne versammelten. Jutta Kausch-Henken von der Friedenskoordination Berlin widmete sich in ihrem Redebeitrag der Frage, warum trotz Weltkriegsgefahr nur wenige Menschen für Frieden demonstrierten. Wer nicht der Kriegshysterie verfallen sei, müsse das unbedingt öffentlich äußern, forderte sie. Man müsse „das Einende suchen, uns vernetzen, uns gegenseitig stärken und uns nicht verunsichern oder gar mundtot machen lassen“. Wo immer möglich, solle man mit Menschen ins Gespräch kommen.

Der Schauspieler Rolf Becker zitierte Texte von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Dass die heute noch aktuell seien, hänge damit zusammen, dass die Konsequenzen aus den beiden Weltkriegen nach wie vor nicht gezogen worden seien.

Die ehemalige Ministerin für Kultur und Tourismus der Republik Mali, Aminata Dramane Traoré, legte den Fokus ihrer Rede auf ausländische Militärinterventionen in armen Ländern. Die französischen und deutschen Militäreinsätze in Mali hätten dem Terrorismus dort Vorschub geleistet, bilanzierte sie. Zwar habe Frankreich seine Soldaten mittlerweile aus Mali abgezogen, allerdings seien die jetzt in Nachbarländern stationiert. Dort wachse der Widerstand der lokalen Bevölkerungen ebenfalls. Frankreich sei nicht bereit, auf westafrikanische Ressourcen zu verzichten. Mit vergleichendem Blick auf den Krieg in der Ukraine kritisierte sie die Heuchelei und den Rassismus des Westens. Sie glaube jedoch weiterhin daran, dass ein besseres Afrika und eine bessere Welt möglich seien. „Ich bin nicht länger alleine“, schloss die 75-Jährige mit Blick auf ihr Publikum.

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Pablo Miró spielte Lieder von Víctor Jara. (Foto: Jens Schulz)

Eine willkommene Abwechslung im dicht getakteten und intellektuell gehaltvollen Programm der RLK war die musikalische Einlage von Pablo Miró und Nicolás Miquea. Die Liedermacher aus Chile und Argentinien erinnerten an den chilenischen Sänger und Kommunisten Víctor Jara, der von den Putschisten gegen Salvador Allende umgebracht wurde. Die Konferenzteilnehmer bedankten sich mit Standing Ovations.

Es sei mittlerweile leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des kapitalistischen Herrschaftsmodells. Das befand Rosa Miriam Elizalde. Mit letzterer Vokabel beschreibt sie, wie der Kapitalismus im Zeitalter großer Tech-Monopole die Daten von acht Milliarden Menschen ausnutzt. Die USA führten einen Cyber-Krieg gegen Kuba. Fortschrittliche Kräfte müssten eigene Werkzeuge schaffen, um das Internet und soziale Netzwerke unter demokratische Kontrolle zu stellen. Die Menschheit könne nur gerettet werden, wenn sie gegen die „atemberaubende kulturelle Dominanz“ des Kapitalismus kämpfe und sie besiege.

Wie konkret in der heutigen Krise gekämpft werden muss, dieser Frage widmete sich die abschließende Podiumsdiskussion mit UZ-Redakteurin Melina Deymann, der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (Partei „Die Linke“), der Hamburger Basisaktivistin Christin Bernhold und dem Gewerkschafter Thilo Nicklas (IG BAU). jW-Chefredakteur Stefan Huth moderierte die Runde.

Die RLK endete so traditionell wie kraftvoll mit dem gemeinsamen Singen der „Internationalen“.

Hier finden Sie Berichte über das Jugendpodium „Inflation trifft Jugend – Widerstand als Antwort“ und die Podiumsdiskussion „Kämpfen in der Krise. Der Krieg und die soziale Frage“ auf der RLK.
Weitere Konferenzbeiträge veröffentlichen wir im UZ-Blog.

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"Gemeinsam gegen Krieg und Krise", UZ vom 20. Januar 2023



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