EM ist Nebensache
„Der Kampf ist noch lange nicht vorbei“, stellte der CGT-Vorsitzende Philippe Martinez am vergangenen Dienstag fest. An diesem Tag demonstrierten in Paris zehntausende Menschen gegen die von der Regierung geplante französische Variante der Agenda 2010, das neue Arbeitsgesetz. Auch bei der Staatsbahn SNCF streikten die Beschäftigten weiter.
Der Transportminister Alain Vidalies hatte in der vergangenen Woche damit gedroht, während der EM Zugführer auch zur Arbeit zwingen zu wollen: „Wenn wir entsprechende Anweisungen geben müssen, werden wir das tun“, sagte er in einem Radiointerview.
Reuters berichetet, dass die Polizei schon vor der Demonstration „vorsorglich 130 potentielle Gewalttäter“ der Innenstadt verwiesen habe. Erst Mitte Mai hatte die Nationalversammlung den Notstand, den die Regierung nach den Terroranschlägen von Paris ausgerufen hatte, erneut verlängert. Die Notstandsgesetze bieten den Behörden auch die Möglichkeit, schärfer gegen Proteste vorzugehen.
Es ist offen, wie lange die Streiks noch dauern. Ein Gewerkschafter der kommunistischen CGT sagte dem Nachrichtensender BFMTV: „Hier geht es um meine Arbeitsbedingungen für viele Jahre. Da interessiert mich doch nicht ein internationales Sportereignis von Wochen.“
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Jedenfalls wurde der Generalsekretär der ehemals eng mit der PCF verbundenen Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, von den 750 Parteitagsdelegierten stürmisch begrüßt; gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter besuchte er demonstrativ den Parteitag. Wenig sprach dafür, dass sich die Streikaktionen vor dem 14. Juni, dem Tag der zentralen Demonstrationen gegen die Maßnahmen der französischen Regierung, abwürgen lassen würden, wenn auch einzelnen Sektoren wie Teilen des Flugpersonals Konzessionen gemacht wurden, um die Streikfront zu spalten. Damit musste auch die Fußball-Europameisterschaft im Zeichen erschwerter Transport- und Versorgungsbedingungen für Bevölkerung und ausländische Fußballfans beginnen. Der PCF-Parteitag unterstützte den Kampf der Arbeitenden unzweideutig, indem mit einer Resolution die Regierung aufgefordert wurde, das Arbeitsgesetz zurückzuziehen.
Zeit der Gemeinsamkeit
Frankreichs Regierung, die bekanntlich von der Sozialistischen Partei (PS) gestellt wird, darf sich demnach einer diametral geteilten Aufmerksamkeit der PCF erfreuen. Musste doch andererseits in Aubervilliers, einer kommunistisch regierten Kleinstadt bei Paris, unter dem Parteitagsmotto „Zeit der Gemeinsamkeit“ die Frage geklärt werden, wie sich die französischen Kommunisten für die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 aufstellen wollen. Unterschiedliche Haltungen zur Wahlpolitik gehören heute zur Debattenkultur der meisten kommunistischen Parteien, natürlich auch bei denjenigen, die in der nationalen Politik noch mitentscheidend sein können. Auch wenn die PCF bei nationalen Wahlen seit Jahren immer weiter an Wählerschaft verliert, so ist ihr Einfluss in der Gesellschaft dennoch beachtlich, weshalb die Aufmerksamkeit über mehrere Tage auf diese Frage gerichtet war. Um das von den Meinungsbildungsinstituten zielgerichtet errechnete Stichwahlszenario abzuwenden, wonach die besten Chancen für den Einzug in die zweite Runde die Konservativen von Ex-Präsident Sarkozy und der rechtsextremen „Front National“ (FN) mit Marine Le Pen haben, hilft nur eine gemeinsame linke Kandidatur – wenn man davon ausgeht, dass diese Umfragen in einem Jahr tatsächlich zum Ergebnis werden. Zwei Drittel der Delegierten taten das und sprachen sich für gemeinsame Vorwahlen aus, nach denen PCF, andere Linke, Grüne und PS mit einem aussichtsreichen Kandidaten in die Präsidentschaftswahlen gehen würden. Damit spiegelte sich die Stimmung der Parteibasis wider, die in einer parteiinternen Mitgliederabstimmung dem Leitantrag des Zentralkomitees knapp über 50 Prozent und einem hinsichtlich der Vorwahlendebatte noch weitergehenden Alternativantrag 20 Prozent Zustimmung gegeben hatte. Dass damit genau die Regierungspartei für eine Wiederwahl unterstützt würde, gegen die die Gewerkschaften gerade massiv kämpfen – denn selbstredend würde ein Kandidat von der PS als größtem Partner gestellt – müsste eigentlich nachdenklich machen.
Um Schlimmeres zu verhüten
Einige Überlegungen sprechen gegen die bei schwierigen Szenarien immer gern angewandte Logik des kleineren Übels. Zunächst die Veränderbarkeit der Zustände: Gegen den Automatismus, dass Vorhersagen in ein reales Wahlergebnis übergehen, spräche eine weitere Ausweitung von Streiks und Aktionen, nach dem Prinzip „Das Bewusstsein von heute sind die Kämpfe von gestern“ – klar ist, dass daraus durchaus linke Mehrheiten erwachsen können. Aus politisch-ideologischer Sicht wäre zweitens zu erörtern, welche Inhalte eine gemeinsame „linke Kandidatur“ denn transportieren soll, wenn später in linkem Namen eine arbeiterfeindliche Politik gemacht wird, wie sie zurzeit von der PS durchgeführt wird; schließlich war Hollande bei seinem Stichwahlsieg 2012 ebenfalls von den Linkskräften im Land unterstützt worden, „um Schlimmeres zu verhüten“. Drittens: Praktisch gesehen steht auch die Verfasstheit der vorgesehenen Bündnispartner dagegen. Sowohl Jean-Luc Mélenchon, der als Vorsitzender der Front de Gauche, der auch die PCF angehört, im Februar eine von der PCF unabhängige Einzelkandidatur angekündigt hat, ohne diese zu konsultieren, als auch die Grünen stehen für ein gemeinsames Bündnis mit der PS kaum zur Verfügung. Viertens steht strategisch die Frage, ob in der Stichwahl denn die Verhinderung eines FN-Sieges besser mit einem PS-Kandidaten zu gewährleisten ist als mit einem Konservativen wie z. B. Alain Juppé. Denn womöglich würde ein entscheidender Teil der konservativen Wählerschaft den Front National einem Sozialisten vorziehen, während die Linke auch zu Gunsten eines Konservativen geschlossen gegen den FN stimmen würde, wie es bereits 2002 zu Gunsten von Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen geschehen war. Und nicht zuletzt ist das kleinere Übel der Sache nach immer auch vor allem eines: ein Übel.
Eigenständig und marxistisch
Vier Tage Diskussionen um Arbeiterkampf und Wahlstrategien haben aber auch andere Erkenntnisse gebracht: Der Anteil der Delegierten, die der PCF vor allem ihren Charakter als eigenständige Partei erhalten wollen, ist gegenüber dem 36. Parteitag merklich gestiegen. Die Phase der Debatten um Identität, Symbolik und Parteinamen ist beendet. Die PCF ist mit weitem Abstand die stärkste der kommunistischen Kräfte in Frankreich, und der Vorrat der Gemeinsamkeiten der PCF-Mitgliedschaft im Hinblick auf die Kerngedanken des Marxismus – Klassencharakter, Besitzverhältnisse, Veränderbarkeit der Welt – ist mit der DKP immer noch erheblich größer als das Trennende, das sich wesentlich um Fragen der Strategie dreht. Wie immer ist das Kriterium der Wahrheit die Praxis. Optimismus ist also angebracht.