Nigerias Präsident Mahammadu Buhari contra Boko Haram

Zwischen Herakles und Sisyphos

Von Georges Hallermayer

Muhammadu Buhari hat es mit 73 Jahren geschafft, gegen den amtierenden Präsidenten eine Wahl zu gewinnen. Sein Eintrag ins Geschichtsbuch ist dem General a. D. gewiss – als Ex-Gouverneur im muslimischen Norden, als 1984 ins Amt und 1985 aus demselben geputschter Ex-Präsident, als Vorsitzender des mächtigen staatlichen „Petroleum Trust Fund“. Warum also in seinem Alter dieser Ehrgeiz?

Einiges spricht dagegen, dass es Muhammadu Buhari um Geld geht. Buharismus wurde seine bescheidenes Auftreten, seine unbestechliche Haltung, auf Disziplin und Unabhängigkeit gerichtete Politik genannt. Und nach drei vergeblichen Anläufen (2003, 2006 und 2011) soll er das bevölkerungsreichste Land des Kontinents von zwei seiner Geißeln befreien. Eine Aufgabe für Herkules oder von vornherein vergebliche Mühe für Sisyphos? Präsident Buhari erklärte nach seiner Wahl am 31. März der Korruption den Kampf und Boko Haram den Krieg.

Ausmisten im Ölgeschäft

Am 26. Juli löste er den Verwaltungsrat der nationalen Ölgesellschaft NNPC auf. Femi Adesina, Buharis Sprecher, kommentierte, das sei der „Beginn des Aufräumens“. Geschätzte 100 Mrd. Dollar habe dem Land das unfähige Management über die Jahre gekostet, in denen die NNPC Milliarden Schulden bei seinen Partnern wie Shell oder Exxon Mobil ansammelte. Die britische Wirtschaftsberatungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (pwc) schätzte allein zwischen 2012 und 2013 die veruntreuten Gelder auf 1,48 Mrd. US-Dollar. Das Parlament beauftragte eine eigene Untersuchung, um Schuld- und Haftungsfragen aufzudecken.

Am 27. Juli beschloss der Präsident, den Koloss NNPC in zwei Teile zu spalten: Eine von der Ölindustrie unabhängige Regulierungsbehörde und ein mit Investitionen betrautes staatskapitalistisches Unternehmen. Der Nationale Nigerianische Wirtschaftsrat beschuldigte NNPC in einem Bericht, zwischen 2012 und Ende Mai 2015 41 Mrd. Dollar an Einnahmen erhalten, aber nur etwa die Hälfte, 21,6 Mrd. Dollar, an die Bundesregierung abgeführt zu haben.

Am 4. September ging der Präsident, der mit Amtsantritt seine Diäten halbiert hatte, mit gutem Beispiel voran und legte sein Vermögen offen: Er habe 30 Mio. Naira (136 000 Euro) auf dem Bankkonto, habe kein Konto im Ausland und keine Ölkonzession. Er besitze neben fünf Häusern in Abuja und in Dörfern im Norden, Farmen, eine Ranch, Vieh und Autos und Anteile an drei Unternehmen. Nicht wenig, aber jedenfalls ist sein jüngerer Stellvertreter als ehemaliger General-Anwalt von Lagos besser dotiert.

Muhammadu Buhari ließ sich Zeit, sein Kabinett zu ernennen. Er ließ alle Kandidaten penibel durchleuchten und vom Parlament befragen. Das Erdöl-Ministerium, das er schon vor fast 40 Jahren leitete, behielt er in eigener Hand. Diezani Alison-Madueke, von 2010 bis 2015 Ölministerin, wurde mit vier anderen Personen am 2. Oktober in London im Rahmen der Anti-Korruptions-Ermittlungen verhaftet und sieht ihrem Prozess entgegen.

Ausmisten beim Militär

Am 13. Juli ein Donnerschlag in der nationalen Presse: Präsident Buhari entließ den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, die Chefs der Landstreitkräfte, der Luftwaffe und der Marine, ebenso den Nationalen Sicherheitsberater Samuel Dasuki. Er besetzte den Generalstab mit neuen Kräften wie auch den Chef des Geheimdienstes. Buhari befahl weiter, die klimatisierten Büros in der Hauptstadt zu räumen und das Hauptquartier im Norden aufzuschlagen, in das von Boko Haram terrorisierte Maidaguri. Bei einem Besuch im Weißen Haus am 20. Juli bestand Buhari darauf, dass Nigeria den Oberbefehl über die 8 700 Soldaten der regionalen Streitkräfte NJTF aus dem Tschad, Kamerun, Benin und Niger behält, suchte die erkalteten Beziehungen zu den USA aufzuwärmen und versicherte sich Obamas Rückendeckung für Reformen.

Jeune Afrique berichtete am 18. November über die Ergebnisse einer Enquete-Kommission: ein Korruptionssumpf gewaltigen Ausmaßes. Von 513 überprüften Beschaffungsverträgen für das Militär seien 53 erwiesenermaßen betrügerisch. 5,3 Mrd. Dollar hätten der Nationale Sicherheitsberater, Oberst Sambo Dasuki, und die Chefs des Generalstabs zur Verfügung gehabt. Aber was wurde für den Kampf gegen Boko Haram angeschafft? So habe zum Beispiel allein Dasuki mit fiktiven Kaufverträgen über vier Alpha-Jets, zwölf Hubschrauber und Munition die schier unglaubliche Summe von 2 Milliarden Dollar abgezweigt. Wie Radio France International meldete, erwartet Oberst Dasuki „gelassen „das Urteil Nigerias“ – er hat wohl seine Millionen in Sicherheit …

Rote Karten

Bereits am 2. Mai verhaftete die eingesetzte „Kommission gegen Wirtschafts- und Finanzdelikte“ (EFCC) sechs leitende Angestellte der Zentralbank von Nigeria und 16 Angestellte privater Banken wegen des „Verdachts auf Betrug und Devisenvergehen“.

Am 27. Oktober veurteilte die nigerianische Telekom-Regulierungsbehörde NCC den größten Telekom-Anbieter, die südafrikanische MTN mit 63,5 Millionen Abonnenten, zu einer Rekordstrafe von 5,2 Milliarden US-Dollar. Während Globacom mit 31,26 Millionen Abonnenten, Airtel mit 29,56 Millionen und Etisalat von 22,85 Millionen die SIM-Karten abgeschaltet hatte, die nicht registriert waren, ist MTN dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Etwa 5,1 Millionen SIM-Karten hätten zwischen August und September abgeschaltet werden müssen. Die Regierung Nigerias wie auch der von Boko Haram heimgesuchten Nachbarländer haben dies beschlossen, um bei Geiselnahme und Terrorakten Telefongespräche rückverfolgen zu können.Aber Ende September meldete der Anbieter, nur 3,4 Millionen Abschaltungen vorgenommen zu haben.

Der Boss von MTN, gerade erst einige Monate im Amt, trat zurück. Der Übergangs-Nachfolger erreichte immerhin einen Zahlungsaufschub über die Frist am 16. November hinaus und ihm bleiben sechs Monate Amtszeit, um über eine Reduzierung der Strafe zu verhandeln. Denn die Höhe der Strafzahlung entspricht 40 Prozent des Jahresumsatzes des Konzerns und dem Eineinhalbfachen des Gewinns.

Erfolge gegen Boko Haram?

Seit einigen Monaten stellen sich militärische Erfolge ein wie die am 2. Dezember gemeldete Befreiung von über 900 Geiseln in Kamerun. Hunderte Boko-Haramis seien getötet worden. Aber die 5 000 bis 7 000 Köpfe zählende Hydra Boko Haram ist mit militärischen Mitteln nicht zu besiegen. Dem Ex-General Buhari ist das sicher klar. Den Augiasstall auszumisten, die Auswüchse der Korruption abzuschaffen kann nur ein Anfang sein. Im Unterschied zu Al Kaida und IS brauchen die kleinen, unabhängig operierenden Boko-Haram-Gruppen weder große Logistik noch schwere Waffen, also auch keine bedeutenden Finanzen. Ein Pickup, Kalaschnikows – in einem Wort: Low-cost-Terrorismus. Auch ein weiterer Ausbau der lokalen Bürgerwehren neben der (korrupten) Polizei wird nur bedingt Abhilfe bringen. Dem Angebot von Präsident Buhari, Boko-Haram-Kämpfern ebenso wie vor 10 Jahren den Aufständischen im Nigerdelta Amnestie und Reintegrationsmaßnahmen anzubieten, werden sicher weitere folgen. Aber Boko Haram wird erst geschlagen sein, wenn die Ursachen des religiös verbrämten Terrorismus beseitigt sind. Ein wesentliches Mittel dazu ist, das hat der reichste Kapitalist Afrikas, der Multimilliardär Aliko Dangote erkannt, die Schaffung von Arbeitsplätzen.Und Muhammadu Buhari? Herkules oder Sisyhos? Oder beides? Oder der beste im Moment denkbare „ideelle Gesamtkapitalist“, der störende Faktoren der monopolkapitalistischen Entwicklung zu beseitigen sucht?

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"Zwischen Herakles und Sisyphos", UZ vom 11. Dezember 2015



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