Leah Purcells Outback-Western jetzt im Kino

Zwischen Aborigine-Tradition und Me-too

1893 im Norden von Queensland, Aus­tralien. Auf einer entlegenen Farm wird der junge Danny Zeuge, wie seine Mutter Molly Johnson eine Kuh erschießt, die sich, so scherzt er, „verlaufen hat“. Willkommene Versorgung für die resolute Molly und ihre drei Söhne, denn wann ihr Mann vom monatelangen Viehtreck heimkommt, ist unklar. Der Duft gegrillter Steaks lockt auch Nate und Louisa Clintoff an, ein soeben aus England eingetroffenes junges Paar, das sich verirrt hat auf der Kutschfahrt in die Kleinstadt Everton, wo Nate als neuer Polizeichef seinen Dienst antreten soll. Das trifft sich gut, denn so kann die hochschwangere Molly ihre anderen Kinder zu Freunden in der Stadt abschieben. Nates erste Aufgabe ist die Aufklärung eines sechsfachen Mordes, für den nach Meinung des Dorfrichters nur ein entflohener Eingeborener namens Yadaka als Täter in Frage kommt. Just der liegt plötzlich vor Mollys Haus, in Handschellen und schwer verwundet. Er hätte wohl die gleiche Begrüßung bekommen wie die Kuh, wäre nicht plötzlich Mollys Fruchtblase geplatzt, so dass sie Yadakas helfende Hand nicht abweisen kann …

Es ist also viel los in diesem aus­tralischen Western nach einer Kurzgeschichte von Henry Lawson aus dem Jahr 1892, die Bühne und Film des fünften Kontinents oft und in verschiedenen Formen beschäftigt hat. Leah Purcell, die in dieser neuesten Version zugleich für Regie, Drehbuch und Koproduktion zeichnet, legt mit „The Drover’s Wife – Die Geschichte von Molly Johnson“ eine bemerkenswerte indigene Neufassung vor. Die Aborigine hatte zuvor schon Lawsons Text in eine Bühnenfassung und einen Roman umgearbeitet. Auf dem beruht nun ihr Film, in dem sie auch noch die Hauptrolle der Molly übernommen hat. Verschwiegen und maulfaul, die große Flinte stets bei der Hand, hat sie überleben gelernt in dieser Männergesellschaft – und gegen sie, wie Purcell uns erst spät im einer verblüffenden Wendung offenbart.

Ungewöhnlich wie Purcells Film ist auch seine Dramaturgie, deren Wurzeln sie aus der Tradition ihres Stammes entwickelt: „Ich wurde von Geschichtenerzählern großgezogen in einer Kultur, in der die Tradition des Geschichtenerzählens weitergegeben wird und Geschichten aus der schwarzen Erfahrung erzählt werden, nicht aus weißgewaschenen Geschichtsbüchern.“ Dazu gehören Zeitsprünge und Traumsequenzen, die lineares Erzählen durchbrechen und gelegentlich Verwirrung beim Publikum schaffen. Auch scheint die Orientierung auf indigenen Erzählstil im Konflikt zu stehen zum modernen, feministischen Anspruch Purcells. Dem opfert sie bisweilen auch die Glaubwürdigkeit der Figuren, etwa wenn eine Fehlgeburt für Molly so belanglos bleibt wie kurzer Regen. Dem dient vor allem die zu Lawsons Geschichte hinzuerfundene Figur der freigeistigen Journalistin Louisa, die im Stil britischer Sufragetten das kleine Everton mit einer Frauenzeitschrift zu beglücken versucht.

Mark Warehams Kamera widersteht der Versuchung, die Dramatik der Handlung durch spektakuläre Landschaftstotalen zu mildern, stattdessen unterstreicht er mit Aufnahmen in Untersicht noch die Heroisierung der Hauptfigur. Reizvoll inszeniert ist das Zeitkolorit des Landes, das aus einer Gefangenenkolonie langsam zum Staat eigener Prägung wird. Dies wiederum im Kontrast zur Musik; eine zeitgenössische Komposition von Salliana Seven Campbell, hat Purcell bewusst gewählt wegen der „weiblichen Qualität, die aus ihr hervorging“. Fazit: „The Drover’s Wife“ ist ein redlicher, aber nicht voll geglückter Versuch, alte Aborigine-Traditionen für eine aktuelle Geschlechterdebatte zu instrumentieren, der dennoch sehenswert ist.

The Drover’s Wife – Die Legende von Molly Johnson
Regie: Leah Purcell
Unter anderem mit: Leah Purcell, Benedict Hardie, Elpida Savva und John McPharlen
Im Kino

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"Zwischen Aborigine-Tradition und Me-too", UZ vom 11. November 2022



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