In mehreren bundesdeutschen Städten und Kommunen stellen sogenannte Bürgerwehren aktuell das staatliche Gewaltmonopol infrage. Im Nachgang an die offenbar mehrheitlich von Flüchtlingen und Migranten begangenen Übergriffe auf Frauen, zu denen es in der Silvesternacht in Köln gekommen war (UZ berichtete), wollen selbsternannte Ordnungshüter verstärkt für mehr Sicherheit sorgen. In Teilen der Bürgerwehren sind nicht nur zwielichtige Gestalten, sondern mancherorts auch bekannte Rechte aktiv. So existieren etwa in Mönchengladbach die Zusammenschlüsse „Bürgerwehr – Mönchengladbach hilft“, die „Bürgerwehr Gladbach“ und „Mönchengladbach passt auf“. Auch in Düsseldorf, Oberhausen und Witten formierten sich ähnliche Gruppierungen. In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt hatten sie sich unter dem Label „Düsseldorf passt auf“ zusammengeschlossen. Darunter befanden sich nach Angaben lokaler Antifaschisten auch „extrem rechte Fortuna-Fans der Gruppe ‚Fortunaterror‘, sowie Hooligans der ‚Bushwhackers‘, sowie Rassisten aus dem „Dügida“-Netzwerk („Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“).
Wie die Bundesregierung Ende Januar auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilte, führte etwa der NPD-Kreisverband Berlin-Pankow schon im Oktober/September 2015 sogenannte Kiezstreifen im Berliner Ortsteil Blankenburg durch. Auslöser seien angebliche Vorfälle in einem überwiegend von Migranten bewohnten Mehrfamilienhaus bzw. vorgebliche Belästigungen durch dessen Bewohner gewesen. Ähnliche Erkenntnisse über die Verstrickungen sogenannter Bürgerwehren ins neofaschistische Milieu liegen der Regierung auch aus Halle, Freital, Güstrow, Ingolstadt, Waibstadt und Dortmund vor. Den in der Ruhrgebietsmetropole aktiven Neonazis kann dabei erneut eine Art Vorreiterrolle zugeschrieben werden. So ging der sogenannte „Stadtschutz“ der Partei „Die Rechte“ in der Vergangenheit in Dortmund mehrfach auf Streife. Uniformiert mit gelben T-Shirts mit der Aufschrift „Die Rechte – Stadtschutz Dortmund“ patrouillierten sie zeitweise sogar in der U-Bahn der Ruhrgebietsmetropole und führten eigenen Angaben zufolge „Präsenzaktionen in Stadtteilen“ durch, die von einer „erhöhten Kriminalität betroffen“ seien. Infolgedessen hatten die extremen Rechten, deren Anhängerschaft sich in der Vergangenheit selbst des Öfteren aufgrund von verschiedenen Straftaten vor Gericht verantworten musste, behauptet, den „Stadtschutz“ ins Leben gerufen zu haben, um „durch Präsenz an besonders von Kriminalität betroffenen Orten das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen oder durch soziale Tätigkeiten einen kleinen Beitrag zu einer lebenswerteren Stadt leisten zu können“. Explizit wolle sich der „Stadtschutz“ jedoch nicht als Hilfspolizei, sondern als bewusste Ergänzung zur kapitulierenden, staatlichen Ordnung, die ihrer Schutzpflicht gegenüber dem Bürger häufig nicht mehr gerecht werde, verstanden wissen.
Auch die Bundesregierung kommt mittlerweile nicht mehr umhin, die Existenz der Bürgerwehren und die Rolle der Neonazis zu leugnen. „Rechtsextremisten“ nutzten „Aufrufe und Ankündigungen zur Bildung einer ‚Bürgerwehr‘ als propagandistisches Mittel, um mediale und öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen“, erklärte sie auf die Anfrage der Linksfraktion. Die Nazis würden in diesem Zusammenhang vorgeben, „die Interessen der Mehrheit des Volkes zu vertreten“, „bestimmte Minderheiten pauschal als Sicherheitsrisiko“ darstellen und damit das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen. Zumeist handele es sich bei diesen Aktivitäten um vereinzelte Maßnahmen von kurzlebiger Dauer. „Langfristige Strukturen bilden sich nur selten heraus“, so die Regierung weiter.
Auf Ablehnung stoßen die umstrittenen Bürgerwehren bei Antifaschisten und der politischen Linken. „Selbsternannte Hilfspolizisten, in deren Dunstkreis sich möglicherweise auch zweifelhafte Gestalten aus der rechten Szene bewegen, sorgen nicht für Sicherheit sondern sind im Gegenteil eine Gefahr für die Menschen in Düsseldorf und NRW“, stellte etwa die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete und Linkspartei-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht klar. Sie sprach sich außerdem für eine sofortige „Investitionsoffensive, unter anderem für mehr Polizisten, Lehrer und bezahlbare Wohnungen“ aus. Es sei außerdem eine staatliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Straftäter zur Rechenschaft gezogen würden. „Dafür gibt es das Strafgesetzbuch, das für alle gilt – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Aufenthaltsstatus“. Jedenfalls dürfe „kein rechtsfreier Raum existieren, nicht für Straftäter und auch nicht für Bürgerwehren“, so Wagenknecht weiter.
Besonders perfide an den „Bürgerwehren“ ist unterdessen, dass ausgerechnet diejenigen, die vorgeben, für mehr Sicherheit und Ordnung der Bürger sorgen zu wollen, nicht selten selbst Verbindungen in neofaschistische und rassistische Kreise oder auch kriminelle Milieus haben. Unklar ist in vielen Fällen außerdem, ob die angeblich in verschiedenen Städten aktiven „Bürgerwehren“ tatsächlich auf Streife gehen, oder ob es sich dabei nicht doch mehrheitlich um Eintagsfliegen bzw. großspurige Ankündigungen und Internetphänomene von rechten Sicherheitsfanatikern handelt.