Westen scheitert mit Isolierung Russlands

Zweite Schlappe in Folge

Russland isolieren: Das war eines der großen Ziele, das die transatlantischen Mächte am 24. Februar 2022 ganz oben auf ihre Tagesordnung setzten. Es war eng mit zwei weiteren Zielen verbunden – mit der Absicht, Russlands Wirtschaft zu „ruinieren“ (Annalena Baerbock), und mit dem Plan, die russischen Streitkräfte als ernstzunehmenden militärischen Machtfaktor auszuschalten (Lloyd Austin). Fast eineinhalb Jahre nach Kriegsbeginn kann man festhalten: Der Westen kommt mit seinen Zielen nicht wirklich voran. Dass die ukrainische Offensive feststeckt, zeigt: Als Machtfaktor ausgeschaltet sind die russischen Streitkräfte keinesfalls. „Die russische Wirtschaft“ wiederum, räumte vergangene Woche Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche ein, „zeigt eine wirklich beeindruckende Entwicklung.“ Und davon, dass Russland in der Welt isoliert wäre, kann sogar noch weniger die Rede sein. Das bestätigt aktuell der Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg; vor Kurzem zeigte es der EU-CELAC-Gipfel in Brüssel.

Eigentlich hatte die EU vor, ihr Gipfeltreffen mit den 33 Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) nicht nur zur Verbesserung ihres Zugriffs auf die umfangreichen Rohstoffe des Subkontinents, sondern vor allem auch als Anti-Russland-Tribunal zu nutzen. In den Entwurf für die Gipfelerklärung hatte sie klar und deutlich hineingeschrieben, man verurteile die russische Invasion in die Ukraine entschieden. Hatten denn nicht die meisten CELAC-Staaten in der UN-Generalversammlung bisher diejenigen Resolutionen unterstützt, in denen der russische Angriff „bedauert“ wurde? Konnte man da nicht hoffen, dass sie Russland in der Gipfelerklärung anprangern würden? Klar konnte man das – doch die Hoffnung trog. Die CELAC war keineswegs bereit, sich gegen Russland in Stellung bringen zu lassen – sie lehnte den Entwurf für die Erklärung schroff ab. Auf dem EU-CELAC-Gipfel folgten heftige Diskussionen.

Das Ergebnis? Die CELAC blieb sich treu. Im letzten Entwurf für die Gipfelerklärung fand sich unter anderem deutlicher Protest gegen die Kuba-Sanktionen der USA, bevor die Gipfelteilnehmer „tiefe Sorge“ über den Ukraine-Krieg ausdrückten und bekundeten, sie unterstützten „alle diplomatischen Bemühungen“ um einen mit der UN-Charta vereinbaren Frieden. Das war die Position der CELAC-Staaten seit Februar 2022; der EU ist es nicht gelungen, sie zur direkten Verurteilung Russlands zu nötigen und so einen Keil zwischen sie und Moskau zu treiben. Denn man kann genauso gegen den Krieg sein, aber trotzdem mit Russland kooperieren, wie man den Irak-Krieg verurteilen, aber die Beziehungen zu den USA aufrechterhalten konnte. Dass die Gipfelerklärung dennoch nicht verabschiedet wurde, weil Nicaragua die Passage zum Ukraine-Krieg blockierte, machte die Schlappe für die EU komplett.

Ist Russland also in Lateinamerika und der Karibik keineswegs isoliert, so trifft das ebenso auf die Staaten Afrikas zu. Anfang April hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow sich beschwert, die westlichen Staaten setzten alles daran, „den geplanten zweiten Russland-Afrika-Gipfel zu torpedieren“. Das ist ihnen, wie es aussieht, nicht im Geringsten gelungen. Jedenfalls hatten sich zu dem Gipfeltreffen, das am Donnerstag und Freitag dieser Woche in Sankt Petersburg stattfindet, mehr als 40 Staats- und Regierungschefs angekündigt, also ungefähr ebenso viele, wie zum ersten Russland-Afrika-Gipfel 2019 in Sotschi eingetroffen waren. Man wird auf den Bildern aus Sankt Petersburg ganz simpel überprüfen können, ob die russische Regierung auf dem afrikanischen Kontinent isoliert ist – oder eben nicht.

Allerdings stimmt auch hier: Zustimmung zu seinem Krieg findet Russland in Afrika – mit zwei Ausnahmen: Eritrea und Mali – keineswegs. Der erste Russland-Afrika-Gipfel stimmte im Oktober 2019 in einer Abschlusserklärung mehreren Passagen zu, die jeweils Gewalt in den internationalen Beziehungen oder gar militärische Interventionen scharf zurückwiesen. Die Staaten Afrikas nehmen den Ukraine-Krieg zwar nicht zum Anlass, Russland zu isolieren. Sie haben aber nicht ohne Grund Mitte Juni eine Friedensmission nach Kiew und nach Moskau entsandt. Sie spüren den Düngermangel, den die Russland-Sanktionen des Westens verursachen, ebenso am eigenen Leib wie den Anstieg der Getreidepreise nach der russischen Aufkündigung des Schwarzmeer-Deals. Auch sie isolieren Russland nicht; sie verpassen der EU beziehungsweise dem Westen damit – nach der CELAC – eine zweite Schlappe. Ihren Frieden mit dem Ukraine-Krieg aber haben die Staaten Afrikas ebenfalls nicht gemacht. Sie leisten sich, wie die CELAC, immer mehr Eigenständigkeit.

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"Zweite Schlappe in Folge", UZ vom 28. Juli 2023



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