Die Herrschenden beklagen sich mit Recht über „Staatsversagen“

Zweite Krise des Neoliberalismus

Von welchem Standpunkt auch immer man die Leistung der Regierung im Kampf gegen die Corona-Seuche betrachtet, man wird ihr die Note mangelhaft geben. Die Lohnabhängigen und kleinen Gewerbetreibenden leiden darunter, dass Jobs wegfallen, dass ihre Einkommen schrumpfen, dass das Alltagsleben maßlos erschwert wird. Gar nicht zu reden von der täglichen zusätzlichen Bedrohung durch Tod und Krankheit im Zuge der weiter grassierenden Pandemie. Das ist beileibe keine auch nur annähernd vollständige Aufzählung der Übel, die durch die Maßnahmen der Regierung hervorgerufen wurden. Neu ist aber, dass die Maßnahmen nicht mehr als unvermeidliche Restriktionen zur Eindämmung der Krankheit hingenommen, sondern von mehr und mehr Menschen als ineffektiv, unverhältnismäßig, in sich widersprüchlich und ohne jede Perspektive kritisiert werden.

Neu ist auch, dass die Herrschenden, das Monopolkapital, ebenfalls unzufrieden werden. Wurden die massiven Einschränkungen im Frühjahr letzten Jahres unter Zustimmung der Parlamente beschlossen und problemlos durchgesetzt, sind die jetzigen Maßnahmen in der Öffentlichkeit, in Verwaltung und Parlamenten umstritten. Vom Standpunkt der Kapitalisten wurde die Ausschüttung von hunderten von Milliarden Euro als Unterstützung für Groß- und Kleinkapitalisten und zur Stützung der sozialen Lage der Bevölkerung gepriesen. Die Börse bejubelte die alles Vorhergehende in den Schatten stellende Kreditvergabe durch die Notenbank sowie die rasante Neuverschuldung der Staatsbudgets. Dass erstmals die EU eigenständig Schulden aufnahm, wurde Olaf Scholz folgend als großer historischer Fortschritt aufgefasst.

Die Herrschenden und ihre Regierung waren noch im vergangenen Sommer zuversichtlich, diese Krise dank des beherzten Eingriffs des Staates gut zu bewältigen. Kanzlerin Merkel und ihr Gesundheitsminister prognostizierten, besser aus dieser Krise herauszukommen als die Konkurrenz. Das war die Botschaft, die den Regierten auf allen Kanälen verkündet wurde. Mit der in Deutschland und in seiner EU besonders schlecht verlaufenden Impfkampagne ist diese Geschichtsversion nicht mehr zu verkaufen. Schlimmer noch, die auf allen Ebenen sichtbar werdende Inkompetenz und mangelnde Kooperation geht nicht nur den einfachen Bürgern auf die Nerven, die Konservativen in der Politik reden von „Staatsversagen“. Die regierenden oder auch nur mitregierenden Politiker plappern nach. Frau Merkel findet, der Föderalismus müsse eingeengt werden, und produziert ein Notbremse-Gesetz, das den kleinen Spielraum der Länder, Kreise und Gemeinden einschränken soll. Alt-Kriegs- und -Innenminister Lothar de Maizière fordert neue Notstandsgesetze. So wie der Staat vor einem knappen Jahr gelobt wurde, weil er die durch die Corona-Bekämpfung verursachte ökonomische Krise davor bewahrt hat, in eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale zu geraten, so wird er jetzt getadelt. Er kommt seiner Aufgabe aus Sicht des Monopolkapitals nicht mehr nach, nämlich die Bedingungen für die Verwertung des Kapitals zu sichern und besser zu gestalten als anderswo.

Die das feststellen, haben recht. Die im Zeichen des Neoliberalismus betriebene „Verschlankung“ des Staates hat Spuren hinterlassen. Ohne staatlich organisierte Infrastruktur und ohne staatlich betriebenes Bildungs- und Gesundheitswesen ist auch das Monopolkapital nicht in der Lage, sich zu verwerten, geschweige denn sich der Konkurrenz anderer Kapitalverbände erfolgreich zu stellen. Deutlicher als in dieser Krise ist die Dysfunktionalität des am Profit orientierten Gesundheitssystems noch nie geworden. Nach der Finanzkrise von 2007 ist die Corona-Krise die zweite, die das notwendige Ende des Neoliberalismus signalisiert.

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"Zweite Krise des Neoliberalismus", UZ vom 23. April 2021



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