Günter Pohl erwartet die Russen am Kurfürstendamm

Zweitausenddreißig!

So um 2030 kommt der Russe. Das ist fünf bis acht Jahre später als bisher ausgemacht. Der BND-Chef Bruno Kahl hat das im Beisein der Präsidentin des MAD, Rosenberg, und von Verfassungsschutzchef Haldenwang Anfang vergangener Woche vor dem parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags ausgeplaudert.

So stellt man sich Geheimdienstarbeit gemeinhin nicht vor. Gut, Kahl sagte streng genommen nur, Russland sei zu dem Zeitpunkt „personell und materiell in der Lage, einen Angriff gegen die NATO durchzuführen“. Das sollte Angst machen, aber es kann uns einfache Gemüter ganz im Gegensatz zur Intention beruhigen. Eigentlich musste doch, „solange es nötig ist“, die Ukraine vor allem deshalb mit Waffen und Munition versorgt werden, weil Russland schon jetzt militärisch zu allem fähig ist. Zumindest zur Verhinderung des sofortigen Durchmarschs auf Warschau, Tallinn und Bukarest war die Dutzende Milliarden schwere Waffenhilfe also gar nicht nötig, beruhigt uns Herr Kahl.

Wir Medien- und Politkonsumenten hatten Butscha in Bautzen, die russische Fahne auf der Reichstagskuppel, eigene Pipelines in die Luft jagende oder AKW besetzende und sich dort selbst beschießende Russen vor Augen – auch wenn wir partout nicht begreifen, welcher Grund für Krieg gegen NATO-Länder bestehen sollte, zumal der derzeitige Präsident der Russischen Föderation davon nie gesprochen hat. Andererseits sind Originalaussagen des Kremls sowieso überflüssig; letztlich legen hiesige Medien und Politikdarsteller Wladimir Putins Kriegsziele fest.

1984 sang Udo Lindenberg „In fünfzehn Minuten sind die Russen am Kurfürstendamm“ – vierzig Jahre später erklärte Annalena Baer­bock, von Kiew nach Berlin seien es „nur sechs Stunden“. Der Unterschied zwischen feiner Ironie und grober Verhetzung ist selbsterklärend, und dass Panzer nicht ganz so schnell sind wie Baer­bocks elektrischer Dienst-Mercedes soll ihr jemand anders erklären. Aber es sei dennoch darauf hingewiesen, dass beide Szenarien davon ausgehen, dass keine Gegenwehr geleistet wird – die NATO als Gandhi-Verschnitt.

So oder so – nehmt euch in sechs Jahren nichts vor. Möglicherweise kommt der Russe 2030 als Staatsgast. Und vielleicht besucht er dann mit Kanzlerin Wagenknecht den Kurfürstendamm. Ich jedenfalls zahle weiter freiwillige Beiträge in die Rentenversicherung ein.

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"Zweitausenddreißig!", UZ vom 25. Oktober 2024



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