ARD-Dreiteiler über die Verfolgung von Nazi-Verbrechern

Zweischneidiges Schwert

Max Meurer

Unter dem Titel „Nazijäger – Reise in die Finsternis“ ist in der ARD-Mediathek eine Miniserie über Aktivitäten der „War Crimes Investigation Unit“ zu sehen, einer britischen Spezialeinheit, die Kriegsverbrecher in Norddeutschland ausfindig machen sollte. Mit dabei sind unter anderen Anton W. Freud, der Enkel Sigmund Freuds (Melancholiker, kühler Kopf und nachdenklich), und Hanns Alexander (aufbrausend, von Rache angetrieben, so zumindest die Serie). Die beteiligten Protagonisten kommen mehrheitlich aus dem Exil, sie mussten als Juden vor den Faschisten fliehen und verfolgen nun die NS-Verbrecher. Ein erster Fahndungserfolg ist die Aufspürung Bruno Emil Teschs, der als Geschäftsführer von „Tesch & Stabenow“ das Gift „Zyklon B“ herstellte und an die KZs geliefert hat. Auch Rudolf Höß, Lagerkommandant von Auschwitz, und Alfred Trzebinski, der maßgeblich an Menschenversuchen beteiligt war und die Opfer ermordete, werden durch die Ermittlungseinheit aufgespürt.

Es ist ein Verdienst der Serie, auch diese Kriegsverbrecher ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, wo, gerade in der alten und neuen BRD, solche Schweine nie beachtet, ihre Geschichte nur oberflächlich aufgearbeitet wurde. Leider geht „Nazijäger“ hier nicht ins Detail. Sie inszenieren etwa Höß als ganz biederen Beamten á la „Banalität des Bösen“. Das trifft es aber nicht. Höß war schon 1919 bei den Freikorps aktiv, wurde dann 1922 NSDAP-Mitglied, schloss sich den Siedlern der völkischen „Artamanen“ an und ging schließlich zur SS. Das war kein „banaler Böser“, das war ein dreckiger, überzeugter Faschist vor, während und nach dem Hitlerfaschismus und stets ein nützlicher Henker im Dienst der deutschen Monopolisten.

Die Serie besticht durch gelungene Aufnahmen, die Detailtreue bei Requisiten, das handwerklich hohe Niveau. Ebenfalls beeindruckend ist das Gespräch der Kinderdarsteller mit den Holocaust-Überlebenden Andra und Tatjana Bucci am Ende der Serie, das das Dramaformat durchbricht und zeigt: Das hier ist kein Thriller, das ist wirklich geschehen. Weniger gelungen ist die Inszenierung einer Pressekonferenz mit den Kriegsverbrechern, die sich einem Jetztzeit-Publikum gegenüberfinden. Das wirkt kopflos, weil damit nichts erreicht wird. Die Kriegsverbrecher sagen was, die Szene ist beendet, kein Mensch versteht, welchen Mehrwert dieser Anachronismus hat.

Schade ist die flache Charakterzeichnung der Nazijäger, die sich schon in der Serienbeschreibung auf der ARD-Website ausdrückt: „Der 24-Jährige (gemeint ist Freud) verfügt über ein besonderes Talent: Er kann sein Gegenüber zum Reden bringen. Freud ist ein Freigeist, der sich nur ungern unterordnet. … Sein Ziel ist nicht Rache, sondern Gerechtigkeit.“ Diesem geglätteten Freud-Enkel wird dann Hanns Alexander gegenübergestellt, der regelmäßig moralisch belehrt wird, man könne die Faschisten nicht einfach umbringen, dann sei man nämlich nicht besser als die Faschisten oder die Russen (damit auch der Totalitarismus noch untergebracht wird). Hier wird so getan, als gebe es nur zwei Handlungsoptionen im Umgang mit den Kriegsverbrechern: Entweder auf eine „ordentliche“ Gerichtsbarkeit vertrauen oder sich vermeintlich auf das Niveau der Faschisten runterlassen. Das ist natürlich Unsinn.

Ein Teil der Hauptkriegsverbrecher wurde, sehr zu Recht, in Folge der Nürnberger Prozesse hingerichtet. Die, die nicht hingerichtet wurden, fanden sich dann teils wieder fix in ihren alten Machtpositionen: Fascho-Richter, die nach 1945 die Edelweißpiraten wieder verurteilen durften, ein Kanzleramtschef, der die Nürnberger Blutgesetze mitverfasst hat, und Industrielle, die Zwangsarbeiter einsetzten, sich am Faschismus dumm und dämlich verdienten und nun weiter wirtschafteten wie früher. Zuverlässig war die Juristerei im Westen zwecks Entnazifizierung leider nicht, während in der späteren DDR und in der Sowjetunion Antifaschismus Handarbeit blieb, hunderte Kriegsverbrecher aufgespürt und unschädlich gemacht wurden.

So ist die Serie dann leider doch nicht die Darstellung einer Nazijagd, sondern die Dokumentation einer abgebrochenen Entnazifizierung auf der einen, eine eindrucksvolle Darstellung der Schrecken des Faschismus auf der anderen Seite. Leider ein zweischneidiges Schwert statt einer Guillotine.

Nazijäger – Reise in die Finsternis
Drei Folgen à circa 30 Minuten
Regie: Raymond Ley
ARD-Mediathek

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"Zweischneidiges Schwert", UZ vom 11. Februar 2022



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