Bekmambetows 3D-„Ben Hur“ – etwas schwach auf der Brust?

Zweifelhafte Reanimation

Von Klaus Wagener

Es gibt wohl kaum ein Genre, in dem so ungeschminkt Imperialismus verhandelt wird wie im Sandalenfilm. Rom, das ist der ewige Bezugspunkt aller Imperialisten. Schon allein deshalb, weil es trotz seiner relativ geringen Größe ein Reich errichten konnte, das fast die ganze damals bekannte Welt umfasste. Aber vor allem deshalb, weil es, rechnet man bis zum Untergang Ostroms, über zwei Jahrtausende in seinem Bestand gesichert werden konnte. Das alte Rom am Tiber hat das neue am Potomac bis in die Formensprache geprägt. Hollywood, wenn es sich ernst nahm, bastelte mit seinen Sandalenfilmen immer auch am – jeweiligen – imperialen Selbstverständnis der „einzigen Weltmacht“. Und „Ben Hur“ darf wohl mit Recht als die Mutter aller Sandalenfilme gelten.

Die Frage ist allerdings, was ist an diesem „Ben Hur“ noch ernst gemeint? Was die ehemalige Traumfabrik heute am besten kann, sind Alpträume. Brutale Kriegs- und Rachefeldzüge, Durchhaltefilme aller Art und gelegentlich, als Highlight, die Demontage seiner eigenen einstigen Technicolor-Illusionen. 25 Jahre nach dem Untergang der Großen Alternative ist der Kampf um die Weltherrschaft wieder voll entbrannt. Hunderttausende sind gestorben, weil sie das Pech hatten den Geostrategen im Weg zu sein. Was soll da ein „Ben Hur“, der in einer Erweckungs- und Parallelgeschichte zum Christus-Mythos die brutale Unmenschlichkeit des römischen Imperialismus und die Aussichtslosigkeit seiner militanten Gegner aus einer christlich-pazifistischen Perspektive gleichermaßen anprangert? Und der noch dazu an die Endlichkeit selbst Roms gemahnt? „Es haben schon vor den Römern Fremde über Judäa geherrscht“, lässt Romanautor Lewis Wallace Judah Ben Hur wütend entgegnen, „Wo sind sie jetzt, Messala? Judäa hat sie alle überlebt.“

Und tatsächlich, fast wirkt es so, als hätte (der nicht allzu berühmte) Regisseur Timur Bekmambetow hier ein Abbruchunternehmen in Gang gesetzt. Nicht nur, dass einem die einengend-fokussierende Perspektive einer 3D-Vorführung aufgezwungen wird. Die Großartigkeit einer Cinemascope-Projekton wird dadurch zunichte gemacht, dass sich immer irgendwer formatfüllend in den Vordergrund drängt. Bei der Besetzung sieht es kaum besser aus. Jack Houston als Judah und Toby Kebbell als Messala können kaum einen anderen Eindruck erzeugen, als hätte man zwei nette US-Boys in historische Trachten gesteckt und an seltsame Orte verfrachtet.

Allerdings lässt sich der Verdacht, Bekmambetow habe Paramount Pictures einen subversiven Inhalt untergejubelt, nicht völlig unterdrücken. Seine römischen Truppen machen die Parallelen zum segensreichen Wirken der US-Boys and -Girls im Nahen Osten schon ziemlich deutlich. Schon aus Prinzip kann die römische Machtpolitik keinen Widerspruch und schon gar keinen Widerstand dulden. In den Dialogen hat der Film durchaus seine starken Seiten. Konkreter Auslöser des Widerstands ist aber die Plünderung eines jüdischen Friedhofs, von dem die Grabsteine für den neuen römischen Zirkus requiriert werden. Auf die heutige Lage bezogen, sind das deutliche pro-israelische Adressierungen. Und da ist es nicht die US-Army, welche die zionistische Landnahme bedroht. Aber so textanalytisch funktioniert die Bewusstseinsindustrie nicht. Paramount darf zuverlässig davon ausgehen, dass gängige Sehgewohnheiten und das Blockbuster-geprägte Mainstreambewusstsein die zentralen Konflikte, wie die unzähliger anderer Streifen, eher als private Rachefeldzüge denn als gesellschaftliche Verhältnisse wahrnehmen werden. Wie schon William Wyler 1959 setzt daher auch Bekmambetow vor allem auf das Spektakel und die monumentale Überwältigung.

Mit der Entwicklung des US-Imperialismus veränderte sich auch die Bearbeitung des Stoffs, wobei Ni­blos Stummfilm von 1925 dem Buch von Wallace ebenso wie dem historischen Umfeld noch am nächsten kam. Der ehemalige General der Unionisten Lew Wallace hatte die Schrecken des Bürgerkriegs gesehen und war als Governor von „New Mexico Territory“ gleichermaßen im sogenannten „Lincoln County War“ als auch in den Indianerkriegen engagiert. Hier hatte auch er sein Erweckungserlebnis und schrieb mit „Ben Hur: A Tale of the Christ“ (1880) den populärsten christlichen Bestseller aller Zeiten, der auch den ausdrücklichen Segen von Leo XIII. fand.

Fred Niblo hatte die Möglichkeiten des Kolossalfilms längst erkannt. Er konnte sich noch christlich gefärbten, versöhnlichen Pazifismus leisten. Damit war 1959 natürlich Schluss. Der US-Imperialismus war durch den Zweiten Weltkrieg zur dominanten globalen Macht geworden, zum „Leuchtturm der Freiheit“. „Das Reich des Bösen“ hieß Sowjetunion und galt als historische Herausforderung. Und zwar sowohl geo- als auch gesellschaftspolitisch. Wylers „Ben Hur“ verzichtete denn auch auf allzuviel Demütigkeit und auf „A Tale of the Christ“ und widmete sich stattdessen dem Spektakel, der Rache und dem (Stellvertreter-)Duell. Im großen „Freiheitsdrama“, in dem Moskau längst den Platz des Unterdrückers besetzt hielt, war für Charlton Heston, den American Hero, für Verzeihen kein Platz. Um hier erst gar nicht in die Verlegenheit zu kommen, durfte Messala 1959 schon in der Arena sterben. Damit war die Story zu Ende. Die Schlusssequenz unter dem Kreuz war „dekorative religiöse Leere“. Der „New Yorker“ veröffentlichte konsequenterweise die exakte Minutenangaben des Pferderennens, damit man sich nicht die ganzen 222 Minuten um die Ohren schlagen musste.

2016, mit einer Hillary Clinton ante portas, ist Verzeihen und Versöhnung, falls es da einen Komparativ gibt, noch mehr obsolet als 1959. Andererseits gerät auch die Überwältigung durch das Spektakel an seine Grenzen. Im Zeitalter einer technischen Omnipotenz, mit der sich ganze Galaxien ineinanderstürzen lassen, ist ein antikes Wagenrennen nicht unbedingt eine Herausforderung. Ähnliches gilt auch für die Galeerensequenz. Das Spektakel verlangt die ständige Steigerung. Die Konsequenz ist die Übertreibung. Beim Pferderennen fliegen die Wagen durch die Luft wie beim Formel-1-Rennen und die Galeeren rauschen durch die See als wären sie Schlachtschiffe der Bismarck-Klasse. Aber das alles bleibt unbefriedigend zweitklassig. Es wirkt so in etwa wie die Geburt des Dramas aus der Grafikkarte des Computers. In der dramaturgischen Inkonsequenz Bekmambetows widerspiegelt sich die offenkundige Zweifelhaftigkeit der christlichen Botschaft angesichts der imperialen Wirklichkeit. Selbstredend tendieren in den cinematographischen Feuchtgebieten, nach dem postmodernen „Ende der großen Erzählungen“, die Anforderungen an Humanismus, aufklärerische Potenz, logische Stringenz und erzählerische Qualität häufig hart gegen Null, dennoch soll zumindest die Gaudi nicht zu kurz kommen. Je weniger Brot, umso blutiger und banaler die Spiele.

Rom konnte seine imperiale Propaganda noch ungehemmt vortragen. Es war der Imperialismus einer Sklavenhaltergesellschaft. Die reiche Oberschicht konnte ihren Sklaven ohnehin kaum ein imperiales Interesse einpeitschen. Der kapitalistische Imperialismus hatte diese Freiheit nicht. Daher das ambivalent wehmütige Interesse an Rom. Um wirklich erfolgreich sein zu können, gilt es heute einen möglichst umfassenden Teil der Bevölkerung in das eigene Eroberungs- und Ausbeutungsprojekt einzubeziehen. Doch seit sich das in neoliberalen Zeiten materiell immer weniger darstellen lässt, kommt neben dem abgeschmackten Frauenbefreiungs- und Menschenrechtsimperialismus, „Schutzverantwortungs“-Projekten, Nationbuilding oder am besten Genozidverhinderung zunehmend der nackte militärische Zynismus zum Einsatz: Wir oder sie. Im Global War on Terror ist Bekmambetows „Ben Hur“ am Ende doch reichlich schwach auf der Brust. Vielleicht ist es das, was ihn sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum durchfallen lässt.

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"Zweifelhafte Reanimation", UZ vom 9. September 2016



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