Zur drohenden Immobilienblase und der kleinen Bau-Konjunktur

Zwei Wohnungsfragen beim Abendessen

Von Philipp Kissel

Wenn in gehobenen Häusern beim Abendessen auf die Frage „Was hast du heute schönes gemacht, Schatz?“ die Antwort kommt „Eine Wohnung gekauft“, dann ist die Immobilienblase nicht mehr weit. Davor haben jedenfalls viele Ökonomen und Banken Angst. Tatsächlich laufen die Immobilienmärkte heiß und die Preise steigen und steigen. Immobilienhändler werden ihre Ware schnell los, in extremen Fällen wird am selben Tag besichtigt und gekauft. In einer Reportage der FAZ vom 22. März 2016 wird „der tägliche Immobilien-Wahnsinn“ beschrieben. Da berichtet ein Makler, er könne jede Doppelhaushälfte in München-Gräfelfing 150mal verkaufen. Seit 2009 sind die Wohnungspreise in München um 80 Prozent gestiegen, in Hamburg um 55 Prozent und in Berlin und Stuttgart um fast die Hälfte. Banker und Analysten sehen den Markt überhitzt und gehen von einer nötigen „Preiskorrektur“ aus. Hintergrund des Booms am Immobilienmarkt sind die extrem niedrigen Zinsen und Renditen auf Geldanlagen.

Der frühere CSU-Finanzminister Theo Waigel sagte einmal, das Kapital ist ein scheues Reh und muss deshalb besonders vorsichtig an den Wohnungsbau herangeführt werden. Allzu niedrige Mieten seien da schon ein Problem, weil dann zu wenig Profit herausspringt. Im Moment dürfte das Kapital eher ein leicht panisches Reh sein auf der Suche nach halbwegs profitab­len und sicheren Anlagemöglichkeiten. Die Staatsanleihen sind nur noch bei einigen wenigen Staaten sicher und dann die Rendite niedrig.

Die Unternehmen halten sich bei Investitionen in Produktion zurück, da die Nachfrage zu gering ist. Dafür wird Bargeld gehortet: die 30 Dax-Konzerne bunkern im Moment 207 Milliarden Euro in bar, soviel wie noch nie. Bei den Banken in Deutschland liegen 1,2 Billion Euro Anlagegelder von Unternehmen, der zweithöchste Wert seit der Krise von 2008, wie das Handelsblatt Anfang des Jahres meldete. Statt also Kredite für neue Investitionen zu nehmen, wird das Geld „in Sicherheit“ gebracht. Da ist es kein Wunder, dass der Druck auf die halbwegs sichere, aber eigentlich wenig renditestarke Immobilienbranche zunimmt. Laut FAZ wurden 2015 in Deutschland Wohnungen und Häuser im Wert von 219 Milliarden Euro verkauft.

Für deutsche Verhältnisse ist das Rekord. Im Vorfeld der Krise von 2008 kam es zu einer großen Immobilienblase in den USA. Viele Kredite konnten nicht mehr bedient werden, es kam zu Rekordverlusten bei Banken und Finanzunternehmen. Die Überproduktion war die Ursache der folgenden Weltwirtschaftskrise, der Auslöser die Immobilienblase und Kreditkrise. Die Erholung von dieser Krise findet nur sehr langsam statt, das Niveau der Industrieproduktion von vor 2007 wurde noch nicht überstiegen. Im letzten Jahr wurde nun der „Inlandskonsum“ gelobt, der den Aufschwung trage. Die Bauinvestitionen nehmen deutlich zu. Das dürfte für die exportorientierte Industrieproduktion Deutschlands aber keine Lösung sein. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher warnt daher auch vor der weiter anhaltenden Investitionsschwäche in Ausrüstungen, also Maschinen. Gesteigerte Bautätigkeiten haben auch 1929 die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen nicht verhindern können.

Dass das scheue Reh in Wohnimmobilien investiert, ist also ein Ausdruck einer krisenhaften Situation, nicht eines Aufschwungs. Dient die zunehmende Bauaktivität der Versorgung mit Wohnraum? 2015 wurden 308 000 Wohnungen neu gebaut, das sind 80 000 mehr als noch 2011. Damit wird allerdings erst der Wert von 2003 wieder erreicht. Anfang der 1990er Jahre waren es 700 000 genehmigte neue Wohnungen. Der Auftragseingang im Bauhauptgewerbe war 2015 mit 13 Milliarden Euro zwar der höchste seit 2000, aber deutlich unter dem Rekordwert von 1994 mit 21,7 Milliarden Euro. Die Steigerung des Wohnungsbaus reicht nicht aus. Laut einer Studie des IW Köln müssten 450 000 neue Wohnungen jährlich gebaut werden. Gebaut wird vor allem in Ballungszentren, wo die Nachfrage am höchsten ist und wenn möglich eher in mittlerem bis höherem Preissegment. Eine Studie der DZ-Bank geht davon aus, dass in Ballungszentren wie Hamburg, München und Köln 90 Prozent der Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen nicht bezahlbar sind. Die Zahl der Sozialwohnungen nimmt dagegen weiter ab, die zusätzlich eingeplanten Mittel sind lächerlich gering.

Der Wohnungsmangel wird also weiter zunehmen und die Mietbelastung der Haushalte auch. Bereits jetzt muss der durchschnittliche Haushalt 27 Prozent des verfügbaren Einkommens für Miete ausgeben. Armutsgefährdete Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen, müssen 52 Prozent ihres Geldes für die Miete ausgeben. Die wirtschaftliche Entwicklung des Kapitalismus führt zur ungleichmäßigen Entwicklung verschiedener Länder, wie in Europa drastisch zu sehen ist, aber auch innerhalb eines Landes. Während bis zu 1,5 Millionen Wohnungen in wirtschaftlich schwachen Gebieten leer stehen, fehlen in den aufsteigenden Ballungsgebieten Wohnungen. In Frankfurt am Main beispielsweise nimmt der Wohnungsbau zwar zu, die Einwohnerzahl aber auch. Die Zahl der Wohnungssuchenden ist auf Rekordniveau, die Zahl der Vermittlungen sinkt dagegen immer weiter, ebenso wie die Sozialwohnungen. Der Wohnungsversorgungsgrad – also das Verhältnis von Wohnungen je 100 Haushalten – ist auf dramatische 93,7 gesunken.

Während die einen gar nicht schnell genug beim Schnäppchen-Wohnungskauf sein können, dürfte bei den anderen beim Abendessen die Frage lauten: „Schatz, wie sollen wir bloß die Miete bezahlen?“ Sie sind übrigens die Mehrheit.

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"Zwei Wohnungsfragen beim Abendessen", UZ vom 15. April 2016



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