Bundespräsidentschaftskandidat besucht Obdachlose und fordert andere Wohnungpolitik

Zwei Millionen Gesichter

Von Markus Bernhardt

Am vergangenen Dienstag hat der Bundespräsidentschaftskandidat der Linkspartei, Professor Dr. Christoph Butterwegge, die diesjährige Weihnachtsfeier der Verkäufer des Düsseldorfer Straßenmagazins „fiftyfifty“ im Kulturzentrum zakk besucht. Als Armutsforscher und Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien beschäftigt sich der Wissenschaftler seit Jahrzehnten mit den Themen Sozialstaat, demografischer Wandel, Armut sowie Generationengerechtigkeit. Butterwegges Themen sind heutzutage mehr als aktuell. So ist die Zahl der wohnungslosen Menschen in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen: Sie wuchs von 248 000 Personen im Jahr 2010 auf derzeit 335 000 Menschen. Darunter befinden sich 29 000 Kinder und 306 000 Erwachsene.

Butterwegge war gemeinsam mit Christian Leye, dem Landessprecher der NRW-Linkspartei, zu der Weihnachtsfeier gekommen, um Solidarität mit den über 130 anwesenden Wohnungslosen zu zeigen. „Armut hat viele Gesichter. In NRW sogar 2,1 Millionen Gesichter. Denn genau so viele Menschen erhielten hier Ende 2015 Leistungen der sozialen Mindestsicherung. Vor allem Kinder, betagte Menschen, Erwerbslose und Geringverdiener sind von Armut betroffen“, konstatierte Leye.

Butterwegge selbst, der sich im Rahmen der Weihnachtsfeier an der Essensausgabe beteiligte, kritisierte in einem kurzen Redebeitrag die politischen Zustände in der BRD. „Während die Statistiker beispielsweise genau erfassen, wie viele Bergziegen und Zwerghasen es in Deutschland gibt, fehlen offizielle Zahlen darüber, wie viele Menschen ohne Wohnung dastehen. Umso notwendiger ist die Forderung, für eine solide Datengrundlage zu sorgen, die es bisher nur in den wenigsten Bundesländern gibt“, sagte er.

Besonders hob der Armutsforscher die Situation von wohnungslosen Migrantinnen und Migranten hervor. „Schon jetzt haben etwa ein Drittel der Wohnungslosen einen Migrationshintergrund – Tendenz steigend“, konstatierte er am Dienstag. Butterwegge kritisierte außerdem, dass mittels „einer halbherzigen ‚Mietpreisbremse‘ für Teilwohnungsmärkte, wie sie die Große Koalition nach langem Zögern eingeführt hat“, das Problem nicht zu lösen sei. „Es resultiert aus dem heutigen Finanzmarktkapitalismus, dessen Hauptakteure das Immobiliengeschäft erobert haben, als man fast überall städtische Wohnungsbaugesellschaften privatisierte und Private-Equity-Firmen wie Blackstone, Cerberus oder Fortress massenhaft kommunale Wohnungsbestände aufkauften, die für sie attraktive Spekulationsobjekte darstellten.“ Vormals preisgünstige Mietwohnungen seien teilweise systematisch heruntergewirtschaftet, saniert und zu teuren Eigentumswohnungen gemacht worden. Nötig wäre dem Armutsforscher zufolge eine Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus. „Ohne einen grundlegenden Kurswechsel in der Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik wird die Obdachlosigkeit in Deutschland weiter zunehmen“, warnte Butterwegge.

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"Zwei Millionen Gesichter", UZ vom 9. Dezember 2016



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