Zwei-Klassen-Modell

Von UZ

Mit der Schulreform von 2010 hat die damalige schwarz-grüne Koalition Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu heute 59 Stadtteilschulen zusammengelegt. Die Schulleiter von 51 dieser Schulen haben im Juni mit einem Brief an Schulsenator Ties Rabe (SPD) protestiert: Die Stadtteilschule werde zur Restschule, sie fordern eine „gute, inklusive Schule“. Denn das Gymnasium als eigenständige Schulform wollte der Senat nicht antasten – „Zwei-Säulen-Modell“ nennt der Senat die Umwandlung des dreigliedrigen in ein zweigliedriges Schulsystem. Kritiker der Schulreform machten klar, dass ökonomische wie demokratische Gründe für eine möglichst lange gemeinsame Beschulung aller Schülerinnen und Schüler sprachen. Aber um das Bildungsprivileg des gehobenen Bürgertums und der Möchtegern-Aufsteiger aus der Mittelschicht zu sichern, wurde die Gesamtschule abgeschafft. Statt „Eine Schule für alle“ einzurichten, sollte das Gymnasium als Hort bürgerlicher deutscher Bildung konserviert werden und den Kindern aus gutem Hause erspart bleiben, mit den „Schmuddelkindern“ in eine Klasse zu gehen.

Restschule per Senatsbeschluss: Stadtteilschule „Helmuth Hübener“ in Hamburg-Barmbek-Nord

Restschule per Senatsbeschluss: Stadtteilschule „Helmuth Hübener“ in Hamburg-Barmbek-Nord

( Doris Antony/CC BY-SA 3.0/commons.wikimedia.org )

Die Eltern durchschauten den Trick schnell, mit dem die herrschenden bürgerlichen Kreise ihren Kindern einen Vorteil in der Konkurrenz um Ausbildungs- und Arbeitsplätze verschaffen wollten. So schwer war das auch nicht zu durchschauen. Die Lehrkräfte an Gymnasien werden besser bezahlt als die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen an den Stadtteilschulen und erteilen weniger Unterrichtsstunden als diese. Von der schweren Aufgabe der Inklusion, der Einbeziehung von „Kindern mit besonderem Förderbedarf“ in den allgemeinen Unterricht, sind die Gymnasien fast völlig ausgenommen. Wer sich den Anforderungen des Gymnasiums nicht einfügt, fliegt. Rund 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler müssen nach der 6. Klasse das Gymnasium wieder verlassen. Diese zum guten Teil enttäuschten und frustrierten jungen Menschen sollen von den Stadtteilschulen erneut motiviert und integriert werden.

Die Anmeldungen für die 5. Klasse im neuen Schuljahr haben gezeigt, dass immer mehr Eltern, die der Losung „Aufstieg durch Bildung“ folgen, ihre Kinder am Gymnasium anmelden. Rund 55 Prozent der Schülerinnen und Schüler wurden an Gymnasien angemeldet, immer weniger an Stadtteilschulen. Den Stadtteilschulen fehlen zudem die starken Schülerinnen und Schüler. Nur 297 der rund 6 000 Fünftklässler an den Stadtteilschulen haben eine Gymnasialempfehlung. Die Zahlen zeigen: Die Stadtteilschule ist bereits zur Restschule geworden.

Profitiert haben davon vor allem die privaten Bildungseinrichtungen. Nachhilfeinstitute machen inzwischen ein Milliardengeschäft. Privatschulen bieten sich Eltern an, denen das heutige Gymnasium nach dem Massenansturm von Schülerinnen und Schülern nicht mehr elitär genug ist.

Im Fernsehen wird bereits diskutiert, ob der „Schulfriede“, mit dem die bürgerlichen Parteien die gegenwärtige Schulstruktur für mindestens zehn Jahre festschreiben wollten, nicht aufgekündigt werden muss. Im bürgerlichen Spektrum von Parteien und veröffentlichter Meinung wird allerdings vorwiegend über Korrekturen am bestehenden System diskutiert. So fordern starke Kräfte im Umfeld der CDU die Umwandlung der Stadtteilschule in eine integrierte Haupt-und Realschule. Die SPD und ihr Schulsenator wollen die Stadtteilschule zu einem „Gymnasium light“ machen („Mehr Leistungsorientierung“). Andere – wie die Initiative „G9 jetzt“ – wollen den Leistungsdruck am Gymnasium ein wenig entschärfen.

Dabei liegt die Alternative zum Zwei-Säulen-Modell auf der Hand: die „Eine Schule für alle“. Ideologisch ist sie bereits mit der Diskussion um die Inklusion von „Kindern mit besonderem Förderbedarf“ vorbereitet. Niemand soll ausgegrenzt werden. Aber warum soll das nur für „Kinder mit besonderem Förderbedarf“ gelten? Ein modernes Schulwesen, das aus wirtschaftlicher Sicht alle Bildungspotenziale ausschöpfen und aus gesellschaftlicher Sicht mehr Chancengleichheit herstellen will, muss alle jungen Menschen einbeziehen. In vielen Ländern der Welt ist das bereits durchgesetzt. Fachlich ist das in Deutschland in den Gesamtschulen, die Hamburg vor sechs Jahren abgeschafft hat, erprobt.

Das Zwei-Säulen-Modell sei gescheitert, schreiben die Schulleiter der Stadtteilschulen. Sie weisen darauf hin, dass die längst widerlegten Argumente von den Vorteilen eines gegliederten Schulwesens nun auch durch die integrative Arbeit der Stadtteilschulen widerlegt worden sind. „Die für unsere Schulform ermittelten Lernzuwächse, die erreichten Abschlüsse, das soziale Engagement der Schulen und die zahlreichen Bildungspreise für herausragende Talente sind Zeugnis dieser guten Schulen.“ Aber die Stadtteilschulen sollen nicht nur die Inklusion, sondern auch die Beschulung der Flüchtlingskinder alleine lösen, während sich die Gymnasien dieser Aufgabe fast vollständig entziehen. Die Stadtteilschulen werden in eine absurde Konkurrenz mit den Gymnasien gebracht, die sie unter den gegebenen Bedingungen nicht gewinnen können. Inklusion dürfe sich nicht allein auf Kinder mit besonderem Förderbedarf beziehen, schreiben die Schulleiter. „Gute, inklusive Schule nutzt die Chancen einer umfassenden Inklusion: Geschlecht, Behinderung, Begabung, Sprache und Kultur sind Schätze unserer sich verändernden Gesellschaft“, heißt es in dem Schreiben. Die DKP Hamburg fordert, die Initiative „Eine Schule für alle“ wiederzubeleben und den Kampf um ein modernes, demokratisches Schulwesen aufzunehmen.

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"Zwei-Klassen-Modell", UZ vom 2. September 2016



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