Adenauer, der ehemalige OB Kölns, und der Kommunist Eugen Zander

Zwei Häftlinge 1944

Von Ludwig Elm

zwei haeftlinge 1944 - Zwei Häftlinge 1944 - Adenauer, Theorie & Geschichte, Zander - Theorie & Geschichte

( Foto: US-Army history images/ wikimedai.org/ public domain)

Köln lag in Trümmern. Ein ausgebrannter Panzer der Wehrmacht am Kölner Dom, 4. April 1945. Einen Monat später ernannte die US-Besatzungsmacht Adenauer zum Oberbürgermeister der Stadt. Als dieser hatte er in den folgenden Monaten die Chance, Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit aller antifaschistischen und demokratischen Kreise der Stadt zu schaffen. Doch Adenauer nutzte diese Chance nicht. Er folgte in diesen Monaten des Jahres 1945 – obgleich ihm ein Kommunist wenige Monate zuvor wohl das Leben gerettet hatte – seiner antikommunistischen Überzeugung.  Im Oktober 1945 wurde er seines Amtes wieder enthoben: Er habe sich nicht genug um die Ernährungsversorgung der Bevölkerung gekümmert.

 

Mit einem förmlichen Schreiben wandte sich Konrad Adenauer am 4. Juli 1952 wegen einer Personalie an den Kölner Oberstadtdirektor Willi Suth. Er habe nach dem Krieg als Oberbürgermeister Eugen Zander, der langjährig im Dienste der Stadt Köln stehe, als „Garteninspektor im Beamtenverhältnis“ eingesetzt. Zander sei nach einiger Zeit in das Angestelltenverhältnis überführt worden, wohl wegen seiner kommunistischen Einstellung. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn er ins Beamtenverhältnis überführt werden könnte. Er hat seinerzeit als Kapo im Konzentrationslager Messe sehr viel Gutes getan. Ich glaube, dass er mir das Leben gerettet hat.“ (Adenauer. Briefe 1951–1953. Bearbeitet von Hans Peter Mensing, Berlin 1987, S. 242) In einem beigefügten persönlichen Brief an Suth, seinen Schwager, betonte Adenauer die Dringlichkeit des Anliegens.

Der maßgeblich und regierungsoffiziell von Adenauer ab Oktober 1950 eingeleitete Ausschluss von KommunistInnen aus dem öffentlichen Dienst behinderte sein eigenes Begehren im Fall Zander. In einer 1985 erschienenen Biographie ist zu lesen, dass er in einem Brief vom 3. Februar 1954 an seinen Sohn Max, inzwischen Kölner Oberstadtdirektor, nochmals nachsetzen musste: „Wahrscheinlich wirst Du wissen, wer Inspektor Zander ist, und dass ich ihm, der damals im KZ Kapo war, mein Leben verdanke. Ist es wirklich ganz unmöglich, Z. in das Beamtenverhältnis zu übernehmen? Bitte prüfe die Angelegenheit doch noch einmal nach. Mit vielen Grüßen, Dein Vater.“ (Peter Koch: Konrad Adenauer: Die Biographie, (1985), Düsseldorf 2004, S. 120)

„Unter den Fittichen“ eines Kommunisten

Als einer der führenden Politiker der katholischen Zentrumspartei (1918 – 1933), Oberbürgermeister der Stadt Köln (1917 – 1933) und Präsident des Preußischen Staatsrats (1919 – 1933), war Adenauer Mitte März 1933 – begleitet von nazistischen Hetzkampagnen und Drohungen – unter diskriminierenden Umständen aus dem Spitzenamt in der viertgrößten Stadt des Deutschen Reiches gedrängt worden. Das im April 1933 gegen ihn eingeleitete Dienststrafverfahren wurde Anfang Juni 1934 eingestellt. Am Tag des Röhm-Putsches, dem 30. Juni 1934, wurde er im zeitweiligen Wohnsitz Neubabelsberg verhaftet, in Potsdam inhaftiert und – da sich Verdachtsmomente nicht bestätigten – am 2. Juli freigelassen. Er konnte als Pensionär gerichtlich erträgliche Bedingungen erstreiten und sich 1937 auf sein in Rhöndorf erbautes Wohnhaus zurückziehen. Adenauer lehnte bis Kriegsende jeden Kontakt zu Persönlichkeiten und Gruppen des Widerstandes sowie jegliche Beteiligung an deren Bestrebungen ab.

Die Gestapo hatte rechtzeitig für krisenhafte politische Situationen Namenslisten für Massenverhaftungen vorbereitet, auf denen sich auch zahlreiche prominente Politiker der Weimarer Republik befanden. Nach dem Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 löste sie die Verhaftungswelle „Gewitter“ aus. Adenauer wurde als einer der führenden Zentrumspolitiker am 23. August nach einer Hausdurchsuchung verhaftet und über die SD-Zentrale in Bonn noch am gleichen Tag in das Lager Messe Köln eingeliefert.

Der seit Anfang 1936 inhaftierte Kommunist Eugen Zander war nach achtjähriger Haft im Zuchthaus Siegburg ins KZ eingewiesen und im Sommer 1944 Kapo im Gefängnis auf dem Messegelände Köln-Deutz, einem Außenlager des KZ Buchenwald. „Er war erschüttert, als er mich sah.“ So Adenauer später auf der Schallplatte „Aus meinem Leben“; als früherer Gartenarbeiter der Stadt Köln, habe Zander „auch in meinem Hausgarten“ gearbeitet. „Er war ein sehr anständiger Mann, der sein Bestes für mich tat.“ (Adenauer im Dritten Reich. Bearb. von H. P. Mensing, Berlin 1991, S. 414 f.) Paul Weymar gab in seiner 1955 erschienenen autorisierten Biographie „Konrad Adenauer“ mit Zander geführte Gespräche und dessen Erinnerungen wieder: Adenauer sei von ihm in dem mit einigen Prominenten eingetroffenen Transport bemerkt worden und er habe beschlossen, den früheren Oberbürgermeister unter seine Fittiche zu nehmen. Er quartierte ihn für die Zeit im Lager Köln in seiner Kammer ein. Auch beim Besuch anderer Häftlinge sei über Politik, Religion, Kunst und Wissenschaft diskutiert worden. Zander erinnerte sich an Adenauers Ansichten zur Lage nach dem Krieg: „Das unnatürliche Bündnis zwischen Amerika und Russland würde dann zerfallen, erklärte er uns, die Welt würde aufgeteilt in einen demokratischen und einen kommunistischen Machtblock, und das besiegte Deutschland müsse sich diesmal endgültig für Ost oder West entscheiden, wenn es nicht zerrieben werden wolle zwischen den Mühlsteinen der Weltmächte.“ (Paul Weymar: Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie, München 1955, S. 209)

Nachdem Zander den Namen Adenauers auf der Liste für einen nächsten Transport nach Buchenwald gesehen hatte, informierte er ihn und riet, sich krankschreiben zu lassen. Von einem der inhaftierten Ärzte sowie dem Lagerarzt unterstützt, kam es zur Verlegung des prominenten Häftlings in das Kölner Krankenhaus Hohenlind. Sein Retter entging dem in diesem Fall vermiedenen Weg nicht; er kam nach Buchenwald und erlebte dort nach mehr als neun Jahren Zuchthaus und KZ die Befreiung.

Aus „Buchenwald, 12. V. 45“ kam ein handschriftliches Schreiben, das in der repräsentativen Rhöndorfer Ausgabe der Briefe Adenauers im Faksimile vollständig wiedergegeben wurde: „Aus dem K. L. Buchenwald senden Ihnen, werter Herr Dr. Adenauer, die besten Grüße und Wünsche für eine erfolgreiche und glückliche Zukunft in unserem vom Nazi-Terror befreiten Vaterland. Bald hoffen wir auch wieder in unserem geliebten Köln zu sein. Die ehemalige Lagerleitung des A. E. R. Messeturm – Eugen Zander und Ewald Bieg.“ Adenauer notierte daneben: „Grüße der kommunistischen Lagerleitung Messe-Köln“. (Adenauer. Briefe 1945–1947. Bearb. Von H. P. Mensing, Berlin 1983, S. 70 f.) Er veranlasste als von den Amerikanern wieder eingesetzter Oberbürgermeister, dass die Kölner Häftlinge aus Buchenwald, Dachau und Theresienstadt mit Bussen abgeholt wurden.

Forderungen und Widerstände des Neubeginns

Die Sprecher der Kölner „Buchenwalder“, Max Reetz, Eugen Zander und Hermann Zilles, kamen am 31. Mai 1945 mit dem OB Adenauer zu einer Besprechung zusammen. In einem überlieferten Bericht hielten sie Verlauf und Ergebnisse fest. Zilles erklärte: „Die Tatsache, dass wir wegen unseres Kampfes gegen das Nazi-Verbrechertum jahrelang in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern gesessen haben, gibt uns nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, mitverantwortlich am Wiederaufbau unserer Vaterstadt Köln zu arbeiten. Wir haben deshalb eine Liste von Buchenwalder Kameraden, die für leitende Posten bei Stadtverwaltung und Polizei geeignet sind, zusammengestellt und bitten Sie, Herr Oberbürgermeister, zu prüfen, ob Sie diese Kameraden zur mitverantwortlichen Arbeit heranziehen können.“ (Reinhold Billstein: Neubeginn ohne Neuordnung, 2. Aufl., Köln 1985, S. 48) Adenauer erklärte sich dazu grundsätzlich bereit; er freue sich über die Bereitschaft zur Mitarbeit.

Es handele sich, ergänzte Zilles, bei der Liste mehrheitlich um Kameraden, die aus religiösen oder rassistischen Gründen im KZ waren. Er bot an, einige Kommunisten anzugeben. „Dr. Adenauer lehnte dies jedoch mit der Begründung ab, dass er zur Besetzung von gehobenen Positionen das Einverständnis der Besatzungsmächte einholen müsse; bei der Einstellung der Amerikaner im politischen Leben sei zu erwarten, dass diese sämtliche Kommunisten ablehnen würden. Er selbst könne diese Einstellung nicht vertreten, da er wie bereits ausgeführt auch auf die Mitarbeit der Kommunisten Wert lege.“ (Ebenda, S. 49) Zilles verwies auf die verzweifelte Stimmung in der Kölner Bevölkerung sowie Missstände, die zu beheben sind, wenn es gelinge, „alle Anti-Nazi-Kräfte zusammenzufassen“ und geeignete Leute zur gestaltenden Arbeit heranzuziehen. Abschließend erklärte Adenauer „nochmals seine grundsätzliche Bereitschaft, die Buchenwalder Kameraden in Stadtverwaltung und Polizei einzusetzen und sagte eine sofortige Prüfung der Liste und Beantwortung unserer Anfrage zu.“ (Ebenda, S. 50)

Die Doppelbödigkeit der Aussagen und des Verhaltens Adenauers wurden bald sichtbar. Der Kölner Kommunalpolitiker Robert Görlinger (SPD) schrieb am 22. Juli 1945 in einem Bericht an den britischen Geheimdienst, dass er mit dem OB eine Unterredung hatte, „in der ich gezwungen war, mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen, dass er nicht die Voraussetzungen geschaffen habe für eine Zusammenarbeit aller antifaschistischen und demokratischen Kreise der Kölner Bevölkerung“. Das frühere Zentrum dominie­re in der Stadtverwaltung und ziehe führende Verwaltungsleute vor allem aus den eigenen Kreisen bis zu Juristen der früheren Deutsch-Nationalen heran. Adenauer habe dem Kommandanten der Militärregierung am 28. Juni zur Weitergabe an General Eisenhower eine Denkschrift überreicht, „wo er zum Ausdruck bringt, dass der Zeitpunkt gekommen sei zur Prüfung, ob nicht die strengen Bestimmungen über die Ausmerzung der Nazis gemildert werden können.“ (Ebenda, S. 56 f.) Der in der Weimarer Republik als Gewerkschafter, in der Arbeiterwohlfahrt sowie Stadtverordneter und Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion (1925 – 1933) in Köln tätige Görlinger war 1933 nach Frankreich emigriert und erlebte Internierung, Verhaftung und Gefängnis in Köln sowie ab 1943 bis zur Befreiung das KZ Sachsenhausen. Ab 1945 wirkte er in leitenden Funktionen, darunter in der Kölner Kommunalpolitik, als MdL sowie MdB.

In einem Brief vom 14. September 1945 benannte Görlinger Intrigen von Konservativen gegen antifaschistische Kommunalpolitiker in Aachen und berichtete über „eine sehr scharfe Auseinandersetzung“ mit Robert Lehr, bis 1933 Politiker der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und Oberbürgermeister von Düsseldorf; nunmehr CDU und ab Oktober 1945 Oberpräsident der Provinz Nordrhein, 1949 MdB, 1950 bis 1953 Bundesinnenminister. „Ich erklärte ihm, dass wir nicht gewillt sind, uns auf die Basis von vor 1933 zu begeben, wo insbesondere im Rheinland das Zentrum die Besetzung der ganzen Verwaltungsstellen als das ihnen angestammte Recht betrachten, wobei sie gnädig bereit sind, der sozialistischen Arbeiterschaft den einen oder anderen Posten zu überlassen und dabei die vorgeschlagenen Personen von allen Seiten betrachten und erwarten, dass ihr Entgegenkommen dankbar anerkannt wird. Die antidemokratische Haltung dieser Kreise zeigt sich in steigendem Maße.“ (Ebenda, S. 61) Mit Schlagworten von „Fachleuten“ und „Sachverständigen“ werde die Beamtenherrschaft verlangt. „Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass ein großer Teil der jetzt führenden Männer des Zentrums nichts vergessen und nichts hinzugelernt hat und für den Neuaufbau unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unbrauchbar ist.“ (Ebenda, S. 62) Der antifaschistische Ortsausschuss in Köln appellierte in seinen Richtlinien vom 23. Juli an den notwendigen „Zusammenschluss aller Nazigegner“ und nannte einen Katalog sofortiger konsequent antifaschistischer, basisdemokratischer und sozialer Aufgaben.

Am 6. Oktober 1945 wurde Adenauer von der nunmehr zuständigen britischen Militärregierung aus dem Amt des Oberbürgermeisters von Köln entlassen. In dem Entlassungsschreiben, das ihm im Amtsgebäude der Militärregierung Brigadier John Barra­clough, Militärgouverneur der Nord-Rheinprovinz, überreichte, wurde die Unzufriedenheit mit den Fortschritten und der Nichterfüllung von Verpflichtungen erklärt sowie jeder weitere Anteil an der Verwaltung oder am öffentlichen Leben untersagt. „Sie werden weder direkt noch indirekt irgendeiner wie auch immer gearteten politischen Tätigkeit nachgehen.“ (Konrad Adenauer: Erinnerungen 1945–1949, (1965) Augsburg 1996, S. 35)

Bei Nichtbefolgung der Anweisungen werde ihm durch das Militärgericht der Prozess gemacht. Die bereits im Sommer 1945 erkennbaren fortschrittsfeindlichen Umtriebe nahmen bald an Wirksamkeit zu und und ein illiberaler Antikommunismus nach innen und außen wurde zum hauptsächlichen ideologisch-politischem Vorwand und Gehalt von der bald wieder als „Einigkeit und Recht und Freiheit“ firmierten Restauration. Das eröffnete Adenauer als Galionsfigur der westzonalen und bundesdeutschen Entwicklungen den Weg zur Kanzlerschaft der Jahre 1949 bis 1963 und zum langjährigen Vorsitz in der CDU. Er wurde Partner und Mitgestalter des kapitalistisch regenerierten und modernisierten Europa sowie der NATO, der weit ins nächste Jahrhundert international wuchernden militaristischen Daseins- und Lebensform eines zunehmend globalisierten wie zerstörerischen Kapitalismus.

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"Zwei Häftlinge 1944", UZ vom 20. Oktober 2017



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