Die französische Regierung unterdrückt den seit drei Wochen laufenden Streik der Raffineriearbeiter bei TotalEnergies und Esso-ExxonMobil seit Donnerstag vergangener Woche mit Gewalt und verfassungswidriger Repression. Mit dem Streik möchten die Beschäftigten Tarifverhandlungen erzwingen. Sie fordern 10 Prozent mehr Lohn.
Am 11. Oktober hat Premierministerin Élisabeth Borne die Präfekten angewiesen, einen Teil der Belegschaften mehrerer Treibstoffdepots zwangsweise zu rekrutieren. Die gesetzliche Grundlage dafür speist sich aus dem Verteidigungsgesetz und dem Gesetz zur Funktion der Gebietskörperschaften. Demnach darf die Regierung einen Teil der streikenden Belegschaft eines Betriebs zur Arbeit verpflichten, wenn der Streik unmittelbar die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder „Bedürfnisse der Nation“ gefährdet. Beschäftigten, die sich einer Zwangsrekrutierung verweigern, drohen bis zu sechs Monate Haft und eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro.
„Réquisition“ heißt das auf Französisch, wörtlich „Anforderung“. Die Anwendung dieses Rechts sei „nicht notwendig und ist illegal“, erklärte der kommunistische Gewerkschaftsverband CGT in einer Pressemitteilung. Der Verband scheiterte vor zwei Gerichten mit Versuchen, einstweilige Verfügungen gegen die Repressionsmaßnahme der Regierung zu erwirken. Die CGT erinnerte daran, dass der Kassationshof, das höchste Gericht Frankreichs, 2010 geurteilt hatte, das in der Verfassung verbriefte Streikrecht sei höher einzuordnen. Die Réquisition dürfe nur angewandt werden, wenn tatsächlich essentielle Bereiche wie der Betrieb von Rettungs- und Einsatzfahrzeugen gefährdet seien. Dafür halte Frankreich „strategische“ Treibstoffvorräte parat, so die CGT. „Warum nutzt (die Regierung) die nicht?“
Nach ersten Zwangsrekrutierungen am Donnerstag vergangener Woche bei TotalEnergies in Mardyck und ExxonMobil in Gravenchon ist seit Montag auch das Treibstoffdepot von TotalEnergies in Feyzin von dieser Repressionsmaßnahme betroffen.
CGT-Generalsekretär Philippe Martinez reagierte mit einem Aufruf zum Generalstreik am 18. Oktober. Der Generalstreik richtet sich nicht nur gegen den Angriff der Regierung auf das Streikrecht. Der Aufruf dazu betont auch die Notwendigkeit „signifikanter Lohnsteigerungen“, höherer Renten sowie besserer Lebens- und Lernbedingungen.
Die Raffineriebeschäftigten riskieren ihre Gesundheit während langer Schichten und arbeiten mitunter wochenlang ohne freie Tage durch. Dazu kommen Benzindämpfe in den Treibstoffdepots: Die Lebenserwartung von Raffineriearbeitern liegt im Schnitt sieben Jahre unter der anderer Industriearbeiter. Die Beschäftigten verlangen, an den absurd hohen Gewinnen der Energiekonzerne beteiligt zu werden.
Ihr Streik war notwendig geworden, weil die Geschäftsführungen von Total und ExxonMobil sich geweigert hatten, mit den Gewerkschaften zu verhandeln. TotalEnergies hat in der Nacht auf den 14. Oktober ein spalterisches Angebot vorgelegt, das die ebenfalls im Energiesektor aktiven Gewerkschaften CFDT und CFE-CGC angenommen haben. Die darin enthaltene Lohnsteigerung von 7 Prozent genügt der CGT nicht, sie besteht auf 10 Prozent. Weite Teile der französischen Arbeiterklasse goutieren das, obwohl gerade sie von der Treibstoffknappheit infolge des Arbeitskampfes betroffen sind. Über 60 Prozent der Produktionskapazität der Raffinerien stehen still, was vor allem im Großraum Paris und im Norden Frankreichs zu langen Schlangen an den Tankstellen führt. Die CGT streikte in dieser Woche an fünf Standorten weiter. Premierministerin Borne drohte weitere Zwangsrekrutierungen an.
Unabhängig von den Gewerkschaften mobilisiert das progressive Wahlbündnis NUPES (UZ vom 13. Mai) für einen Heißen Herbst. Am 16. Oktober demonstrierten 140.000 Menschen in Paris unter dem Motto „Gegen das teure Leben“. Die Forderungen dort ähneln denen der CGT: deutliche Lohnerhöhungen, Deckelung der Lebenshaltungskosten und Einführung einer Übergewinnsteuer. Gewerkschaften und Parteien wie die Französische Kommunistische Partei mobilisieren zudem gegen die geplante Rentenreform und Reform der Arbeitslosenversicherung. Diese beiden „Reformprojekte“ der Regierung haben das selbe Ziel wie der Angriff auf das Streikrecht: Die Umverteilung von unten nach oben auf die Spitze zu treiben.