UZ-Serie „Kommunale Finanzen“ von Vincent Cziesla

Zwang gegen die Städte

In den vergangenen Wochen war in dieser Serie viel von „schleichenden Prozessen“ zu lesen: Die Unterfinanzierung der Kommunen führt zu einem stillen Sozialabbau. Gewählte Räte haben nur noch wenig zu entscheiden, weil ihnen die Mittel für die Umsetzung von Beschlüssen fehlen. Privatisierungen und Förderprogramme leiten staatliche Gelder in Bahnen, die den Konzernen mehr nützen als den Gemeinden. Werden diese Phänomene gemeinsam betrachtet, ergibt sich ein neoliberales Programm, das auf verschlungenen Pfaden – über die öffentlich unbeachteten Mechanismen der Gemeindefinanzierung – verwirklicht wird. Dass die bürgerliche Kommunalpolitik gut integriert ist und in der Regel zu wenig Widerstand leistet, liegt auf der Hand. Das hat weltanschauliche Gründe, liegt aber auch an den vorhandenen Strukturen, die die Gemeinden in Konkurrenz zueinander halten. Dennoch gibt es immer wieder kommunale Beschlüsse, die den Regierungswünschen zuwiderlaufen. Um allzu eigenständige Gemeinderäte und Bürgermeisterinnen zur Ordnung zu rufen, existiert ein ganzes Arsenal an Zwangsmaßnahmen. Wenn Ideologie und strukturelle Einengung nicht mehr ausreichen, wird die Brechstange ausgepackt.

Davon ist keineswegs nur die Finanzpolitik betroffen. Im vergangenen Jahr kam es zu zahlreichen Eingriffen in die Arbeit von kommunalen Gremien. Nachdem Stralsund und Königs Wusterhausen zu Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg aufgerufen hatten, schaltete sich die Kommunalaufsicht ein. Der Beschluss von Stralsund, das eigene Rathaus für Verhandlungen zur Verfügung zu stellen, wurde vom Innenministerium gerügt und für rechtswidrig erklärt. Dem Bürgermeister von Erkelenz droht ein Disziplinarverfahren, weil er sich geweigert hat, die Räumung des Weilers Lützerath anzuordnen.

In Bezug auf den kommunalen Haushalt gibt es verschiedene Druckmittel, die sich in den Details von Land zu Land unterscheiden. Allen ist gemein, dass sie die Kommunen dazu zwingen sollen, Sparprogramme umzusetzen und den Haushaltsausgleich zu erreichen. Dabei werden demokratisch gefasste Beschlüsse aufgehoben oder neue Entscheidungen von oben diktiert. An dieser Stelle soll es um die grundlegenden Verfahrensschritte und Eskalationsstufen solcher Angriffe auf die kommunale Selbstverwaltung gehen.

Der Gemeindehaushalt ist grundsätzlich eine Selbstverwaltungsangelegenheit und formal nicht genehmigungspflichtig. Dennoch muss er der Kommunalaufsicht vorgelegt werden, die ihn beanstanden kann, wenn Rechtsverstöße festgestellt werden. Der häufigste Verstoß: ein unausgeglichener Haushalt. Nach der Beanstandung tritt in vielen Ländern die sogenannte „vorläufige Haushaltsführung“ in Kraft. Das bedeutet: Der beschlossene Haushaltsplan wird ignoriert, die Gemeinde kann nur noch Ausgaben tätigen, zu denen sie rechtlich verpflichtet ist. Neue freiwillige Aufgaben können nicht wahrgenommen werden. Beförderungen und Stellenausweisungen werden auf Eis gelegt, Ratsbeschlüsse nicht mehr umgesetzt, wenn sie Kosten verursachen.

Um die vorläufige Haushaltsführung zu verlassen, kann der Gemeinderat einen neuen, genehmigungsfähigen Haushalt aufstellen oder bestimmte Auflagen erfüllen. Dazu gehört in einigen Bundesländern die Verpflichtung, ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen. Darin muss die Kommune darstellen, wie sie in den kommenden Jahren wirtschaften und ihr Defizit bekämpfen will. Auch diese Konzepte müssen genehmigt werden. Wieder haben die Aufsichtsbehörden Einflussmöglichkeiten, um Einsparungen zu verlangen und demokratische Entscheidungen zurückzudrehen. Im Zuge dieses Prozesses werden freiwillige Leistungen gestrichen oder Steuern erhöht. All das kommt häufiger vor. Jedes Jahr scheitern hunderte Kommunen am Haushaltsausgleich. Allein in Nordrhein-Westfalen erwarteten 47 Gemeinden im Jahr 2022 die Aufforderung, ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen. Die damit verbundenen Zwänge sind meist ausreichend, um die Gemeinderäte in das gewünschte Spardiktat zu zwingen. Gelingt dies nicht, stehen weitere Eskalationsmöglichkeiten zur Verfügung, die nur selten angewendet werden, jedoch als Drohkulisse immer präsent sind.

Im Jahr 2017 schickte die Landesregierung in NRW einen Sparkommissar nach Haltern am See und stellte die Kommune somit unter direkte staatliche Aufsicht. Begründet wurde die Maßnahme durch ein Defizit und einen nicht korrigierten Rechenfehler im Haushaltsplan. Sparkommissare sind offiziell beratend tätig und geben Empfehlungen zur Konsolidierung. Der Rat darf formal selbst entscheiden, hat allerdings kaum noch Gestaltungsspielraum. Wird den Vorschlägen nicht gefolgt, droht die Entsendung eines Staatskommissars, der den Rat und den Bürgermeister in Haushaltsfragen ablöst. Er muss kein gewähltes Gremium konsultieren, um Konsolidierungsmaßnahmen zu beschließen. Die Übernahme der Geschäfte durch den Staatskommissar kommt also einer Fremdverwaltung der Kommune gleich. Von der „Herzkammer der Demokratie“ kann spätestens dann keine Rede mehr sein.

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"Zwang gegen die Städte", UZ vom 3. Februar 2023



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