Mit dem aktuellen Report „Die Mittelschicht in Deutschland unter Druck“ aus dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen wird – vielleicht wenig überraschend – festgestellt, dass die Mittelschicht in Deutschland schrumpft, während die Anzahl von Haushalten mit unteren und oberen Einkommen steigt.
Die vorgestellten Zahlen sagen aus, dass der Anteil von Haushalten mit „mittlerem Markteinkommen“ von 56,4 Prozent (1992) auf 48 Prozent (2013) zurückgegangen ist. Betrachtet werden also Haushalte, nicht Einzelpersonen, die vom IAQ in „Unterschicht“, „Mittelschicht“ und „Oberschicht“ eingeteilt werden. Als Scheidungsmerkmal legen die Wissenschaftler vom IAQ das sogenannte Medianeinkommen (auch mittleres Einkommen) zugrunde, bei dem es genauso viele Haushalte mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt.
Die „Unterschicht“ wird demnach mit unter 60 Prozent des mittleren Einkommens beschrieben, die „Mittelschicht“ mit 60 bis 200 Prozent – daher der immer noch hohe Anteil dieser Gruppe – und die „Oberschicht“ mit 200 Prozent und mehr des mittleren Einkommens. Während die „Mittelschicht“ in dieser Aufteilung schrumpft, kann sowohl bei „Unter-“ und „Oberschicht“ Zuwachs vermeldet werden: Der Anteil der Haushalte mit unteren Einkommen stieg demnach von 13,9 Prozent im Jahr 1992 auf 17,2 Prozent 2013, für die oberen Einkommen erhöhte sich der Anteil im gleichen Zeitraum von 29,7 Prozent auf 34,7 Prozent.
Für dieses Auseinanderdriften wird im IAQ-Report nicht zuletzt das Ende der DDR verantwortlich gemacht: „Die Systemkonkurrenz im kalten Krieg erleichterte die Durchsetzung dieser Ansprüche (am wirtschaftlichen Wachstum teilzuhaben, LM) im Westen Deutschlands. Alle politischen Parteien förderten den Ausbau des Wohlfahrtsstaates als attraktive Alternative zum ostdeutschen Weg.“
Zudem verweist das IAQ auf eine heute fehlende flächendeckende Tarifbindung. „Die Branchentarifverträge galten für große und kleine Betriebe sowie für qualifizierte und unqualifizierte Beschäftigte. Schwächere Beschäftigte profitierten von der Durchsetzungskraft der verhandlungsstarken Gruppen, so dass das Lohnniveau aller Beschäftigten gleichermaßen angehoben wurde.“
Die Folge sind dramatische Verschiebungen innerhalb der Einkommen der Arbeiterklasse, die trotz der vom IAQ vorgenommenen groben Einteilung in Einkommens“schichten“ anhand der Zahlen nachvollzogen werden können. So sind unfreiwillige Teilzeit und sogenannte geringfügige Beschäftigung bzw. Minijobs für die Verarmung eines bedeutenden Teils der Arbeiterklasse verantwortlich. Zwei von drei Beschäftigten, die der „Unterschicht“ zugerechnet werden, sind nach Angaben des IAQ im Niedriglohnsektor beschäftigt. Zudem liegt der Anteil der Vollzeitbeschäftigten (35 Stunden und mehr pro Woche) hier nur bei 42 Prozent. Die „working poor“ Deutschlands, die trotz Arbeit dauerhaft in Armut leben müssen, werden also doppelt schlecht bezahlt: Erstens weil sie pro Arbeitsstunde schlecht bezahlt werden und zweitens weil die Anzahl der bezahlten Arbeitsstunden (die ja nur noch selten der tatsächlich geleisteten Arbeit entspricht) unzureichend ist.
Gerhard Bosch, Thorsten Kalina: Die Mittelschicht in Deutschland unter Druck, IAQ-Report 04/2015, www.iaq.uni-due.de/iaq-report/