Wer Bosch nur mit Zündkerzen und Schlagbohrmaschine in Verbindung bringt, kennt nur ein Zipfelchen des Ganzen. Bosch ist der größte Autozulieferer der Welt und greift jetzt buchstäblich nach den Wolken: „Bosch steigt in das Cloud-Geschäft ein und bietet damit alles aus einer Hand für das Internet der Dinge“, hieß es im März in der deutschen Wirtschaftspresse. „Cloud“ (deutsch: Wolke) steht dabei für ein rechner-, unternehmens- und länderübergreifend zur Verfügung stehendes Riesenrechenzentrum (hinter dem wieder viele einzelne Rechenzentren stehen können), in dem Daten und Programme (Apps) Informationen liefern, entsprechend den Bedürfnissen der Benutzer. Die automatisierte Parkplatzsuche z.B. wird als mögliche Wunderanwendung angepriesen. Was auch immer davon letztlich realisiert wird, Bosch begibt sich in Konkurrenz zu Amazon, Apple, Google, Microsoft und auch SAP, die schon um die Größe des Abteils in der Wolke kämpfen. Das kostet Geld und das hat Bosch. Auf 15 Mrd. Euro wird die zu Recht als Kriegskasse bezeichnete Finanzreserve beziffert.
Wie ist Bosch in die Position gelangt, dass ein einzelnes Unternehmen über solche Mittel und über solche Macht verfügt, Vorzeigemonopole des US-Finanzkapitals herauszufordern?
Der 25-jährige Robert Bosch gründet 1886 die Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik. Der Aufstieg ist entscheidend mit den Verbesserungen der Zündkerze verbunden, die von Mitarbeitern Boschs erfunden wurden. Der Aufstieg ist so rasant und eng verbunden mit der Entwicklung der deutschen Automobilindustrie nicht zuletzt in Konkurrenz zu Ford, dass Bosch schon 1913 Niederlassungen auf allen fünf Kontinenten hatte und über 80 Prozent des Umsatzes im Ausland erzielt wurden. Und: Bei Kriegsbeginn ist fast alles motorisierte Kriegsgerät aller kriegführenden Länder mit Bosch-Zündkerzen ausgerüstet. Bosch galt bis dahin als dem demokratischen und sozialen Fortschritt zugetaner Kapitalist. Kautsky wohnte nach Aufhebung des Sozialistengesetzes bei ihm, Clara Zetkin hatte Verbindung ins Haus Bosch. Die Bosch-Tochter Paula wurde von Claras Mann, dem Maler Friedrich Zundel, porträtiert (und später geheiratet). Doch 1913 ist Krise auch beim Bosch. Es wird im Werk Feuerbach mit Lohnkürzungen, Verlängerung der Arbeitszeit, Entlassungen gedroht. Die Gewerkschaft (DMV) ruft zum Streik auf. Bosch sperrt aus und legt das Werk vorübergehend still. Hatte es bisher geheißen: Man muss auch den Arbeiter mitkommen lassen, damit er mehr zum „Gedeihen des Unternehmens“ (Profit für den Kapitalisten) beitragen kann, lernen die Arbeiter nun auch die Knute kennen.
1936 in der Festschrift „50 Jahre Bosch“ wird dieses „neue“ Gesicht von Bosch umkränzt und seiner faschistischen Bestimmung zugeführt: „Damit war entgegen dem bis dahin von R. Bosch gepflegten Zusammengehörigkeitsgedanken eine Kluft entstanden. Ihre jeweilige Überbrückung hat in den folgenden Jahrzehnten mitunter viel Geschick und guten Willen erfordert, bis schließlich der Nationalsozialismus wiederum dem Gedanken der Betriebsgemeinschaft zum Durchbruch verhalf.“
Bosch gehörte nicht zu jenem „alldeutschen Flügel“, dem schwerindustriellen, besonders aggressiven Teil des deutschen Finanzkapitals, der etwa mit der Industrielleneingabe vom 19. November 1932 die Machtübertragung an Hitler gefordert hatte. Aber er wusste nach dem Machtantritt des Faschismus auch gut auf der Nazi-Pfeife zu blasen. Sein Vertrauter Hans Walz wurde zum Betriebsführer, war Wehrwirtschaftsführer, war im „Freundeskreis Reichsführer SS“ mit ausgesuchten Spitzen der deutschen Wirtschaft verbunden. Schließlich waren der Krieg und seine Vorbereitungen wie eine Profitmaschine für Bosch. Im Krieg selber wurde nicht nur Stuttgart mit Zwangsarbeiterlagern auch für Bosch überzogen. Mindestens 20 000 Zwangsarbeiter insgesamt mussten gnadenlos für Bosch schuften. Vom Walz-Nachfolger Hans L. Merkle (der als der „Pate“ der „Deutschland AG“ galt und in der Unternehmerpresse gern als „Gottvater“ tituliert wurde) stammt denn auch die infame Formel zu den erbärmlichen Entschädigungszahlungen, um die man nach über 60 Jahren nicht mehr umhin kam: Man sehe „in der Beschäftigung von Zwangsarbeitern keine moralische Schuld, wenn auch eine materielle Verpflichtung der deutschen Wirtschaft“. Es war dem Druck der Sammelklagen aus den USA, aber auch dem unermüdlichen Einsatz so hervorragender Stuttgarter Widerstandskämpfer und Kommunisten wie Gertrud Müller und Alfred Hausser zu verdanken, dass die kapitalistischen Unterstützer und Nutznießer des deutschen Faschismus, die Menschenschinderfirmen, doch noch bezahlen mussten.
Hans Walz überdauerte nicht nur das 1000-jährige Reich. Er sorgte auch gleich für die publizistische Weißwäsche nach dem Krieg. Als ersten Biographen (1946) und Legendenbildner Robert Boschs konnte er Theodor Heuss gewinnen, den „Liberalen“, der 1933 für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte und 1949 erster Präsident der Spalterrepublik BRD wurde. Seither gelten Bosch und natürlich Walz als Widerständler. Carl Goerdeler, der von den Nazis gehenkt wurde, gilt als der Mann von Bosch und Walz. Goerdeler aber, muss man wissen, steht für antikommunistische Diktatur ohne Hitler und für „die unerklärte bedingungslose Kapitulation den Westmächten gegenüber, bei verstärkter Weiterführung des Krieges gegen die Sowjetunion.“
Der Wiederaufstieg nach 1945 mit Hans Walz an der Spitze (bis 1963 und gekrönt mit dem großen Bundesverdienstkreuz mit Stern) sieht Bosch auf vielen Geschäftsfeldern aktiv. Mit der wieder einsetzenden westdeutschen Rüstung ist Bosch gleich wieder bei der Elektroausrüstung des berüchtigten Schützenpanzers HS-30 unter Kriegsminister Franz J. Strauß mit dabei. Und ohne Zündkerzen, Antriebssysteme, Einspritztechnik und damit ohne Bosch bewegen sich eben auch mörderische Dinge wie Panzer, Kriegsschiffe und Fluggeräte nicht.
Gut vernetzt ist Bosch allein schon durch die weltweiten Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Kreditgebern. Aber es ist auch die Einbettung in das Milieu der Finanzoligarchie. Etwa durch Heirat der Bosch-Erbin Eva mit Gero Madelung, dem langjährigen Chef der Rüstungsschmiede MBB, heute Herzstück von Airbus. Ein entscheidendes Wort redet Bosch im VDA (Verband der Automobilindustrie), im BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie), im Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, in Aufsichtsräten wie z.B. der BASF, aber auch in der Forschung bei der Max-Planck-Gesellschaft oder Fraunhofer-Gesellschaft.
Die Robert Bosch GmbH erzielt heute mit fast 375 000 Beschäftigten (1970: 120 000), etwa 71 Milliarden Euro Umsatz, fast drei Mrd. Euro Profit. Bosch hat Standorte in über 50 Ländern der Welt und ist ein führendes Glied in der Kette des deutschen Monopolkapitalismus. Das Schuften der Kollegen lohnt sich für die Boschs: Das Vermögen der Bosch-Erben wird auf ca. 3,2 Mrd. Euro taxiert. Den wenigen Kindern und Enkeln des alten Bosch gehören unmittelbar 8 Prozent der GmbH, aber sie mischen tatkräftig in der Robert Bosch Stiftung mit. Dieser Stiftung gehören 92 Prozent der GmbH.