Den Gelbwesten ist nicht beizukommen. Sie trotzen der neoliberalen Politik Macrons, der nach deutschem Vorbild im Eiltempo eine Art Agenda 2010 durchsetzen will. Polizeigewalt und die mediale Dauerschleife mit Videos von vermeintlichen und tatsächlichen Gewalttaten der Gelbwesten schreckten nicht genügend ab, um die Proteste zum Erlahmen zu bringen. Vorletzte Woche erfolgte sogar der Schulterschluss mit der linken Gewerkschaft CGT, linke Politiker zeigten sich auf Gelbwesten-Demonstrationen. Eine gefährliche Situation für Macron.
Am Rande der Gelbwesten-Proteste vergangenen Samstag in Paris wurde nun der neorechte Philosoph Alain Finkielkraut angepöbelt und bedroht. „Faschist, bleib zu Hause!“, sei gerufen worden und: „Zionist!“ Macron reagierte umgehend und twitterte von einer „Negation all dessen, was wir sind und was uns zu einer großen Nation macht“. Für ihn ist es die Gelegenheit, die öffentliche Debatte um soziale Fragen, wie sie von den Gelbwesten vorgebracht werden, in eine Debatte um Antisemitismus umzulenken und Linke unter Druck zu setzen, die sich den Gelbwesten angenähert haben.
In Britannien sind am Montag sieben Abgeordnete aus der Labour-Partei ausgetreten. Sie kritisieren vor allem den Brexit-Kurs und den Umgang mit antisemitischen Tendenzen in der größten Oppositionspartei. Die „Sunday Times“ meldete, 34 Prozent der britischen Wähler seien der Ansicht, dass Jeremy Corbyn, Vorsitzender der Labour-Partei, ein Antisemit sei. Die Medienkampagne gegen ihn stützt sich im Wesentlichen darauf, dass Corbyn sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt.
Der Antisemitismusvorwurf dient in beiden Fällen der Spaltung einer Linken, die sich bemüht, soziale Fragen in den Mittelpunkt zu rücken. Antisemitismus bekämpfen aber heißt, das Übel bei den Wurzeln zu packen. Soziale Fragen den Rechten zu überlassen und vor Massenbewegungen zurückzuschrecken ist keine Option. Dem Antisemitismus offensiv entgegenzutreten schon.