Nummer 2/2021 der Marxistischen Blätter ist ausgeliefert. Schwerpunktmäßig gehen die Autoren der Frage nach: „Wer soll für die Krise zahlen?“ Es gelte, so die MB-Redaktion im Editorial, sich „auf harte Verteilungskämpfe einzustellen und uns dafür fit zu machen, damit Krisenlasten nicht weiter einseitig auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden. Und zwar auf den verschiedensten Feldern: in der Tarifpolitik, in der Sozialpolitik, mit dem Steuersystem und auf kommunaler Ebene. Die Autoren unserer Schwerpunktbeiträge – allesamt aktive gewerkschaftliche, kommunale, politische Interessenvertreter arbeitender Menschen – beleuchten Auswirkungen der (Corona-)Krise auf diesen Feldern und formulieren Forderungen.“
Wir drucken mit freundlicher Genehmigung des Verlags den gekürzten Beitrag von Vincent Cziesla zur Lage der Kommunen ab.
Was haben öffentliche Schwimmbäder, Museen, Fußballplätze und die meisten Buslinien miteinander gemein? Ihre Existenz hängt von kommunalen Entscheidungen ab und damit auch von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinden. Die Liste von sogenannten „freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben“ ist lang. Fast alle Kultureinrichtungen, Parks und Sportanlagen, Jugend- und Freizeiteinrichtungen und der ÖPNV gehören dazu. Sogar wesentliche Sozialaufgaben werden freiwillig erbracht und sind deshalb jederzeit von Kürzungen und Sparmaßnahmen bedroht. Im Gegensatz zu den kommunalen Pflichtaufgaben gibt es keine Weisung, die ihre Durchführung erzwingt. Bei der Finanzierung sind die Gemeinden auf sich allein gestellt, sofern nicht zufällig Fördergelder für die passenden Zwecke beantragt werden können. Über Erbringung, Umfang und Ausgestaltung entscheidet der Gemeinderat, wenn genügend Finanzmittel zur Verfügung stehen.
Von der kommunalen Wirtschaftsförderung einmal abgesehen, kommen diese „freiwilligen“ Leistungen in erster Linie arbeitenden Menschen zugute. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität, Bildung, Mobilität und sozialen Sicherheit der Arbeiterklasse. Als Teil der Daseinsvorsorge müssen sie nicht profitabel sein; sie können also kostengünstig erbracht werden und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst schaffen. Außerdem bilden sie den erfahrbaren Aspekt der kommunalen Selbstverwaltung und nehmen dadurch eine politische Schlüsselposition ein: Für den Erhalt des Schwimmbades kann vor Ort gemeinsam gekämpft werden. Wenn es im parlamentarischen Raum Schnittstellen für kollektives Handeln und eine Abkehr von Stellvertreterpolitik und „Zuschauerdemokratie“ gibt, dann im Verteilungskampf um die Ausgestaltung und Verteidigung der kommunalen Infrastruktur.
Die Vertreter des Kapitals sprechen hingegen gern von „Luxus“, den man sich leisten kann, oder eben nicht. Gerade in Krisenzeiten rücken sie die freiwilligen Aufgaben in den Fokus von Kürzungsprogrammen. Mit der „Kommunenstudie“ der Wirtschaftsberaterfirma „Ernst & Young“ (EY) preschte im Januar 2021 bereits ein wichtiger neoliberaler Think-Tank vor. „Die langfristigen Folgen der Pandemie für die öffentlichen Finanzen werden erheblich sein. Und Bund und Länder werden nicht dauerhaft in der Lage sein, kommunale Finanzlöcher zu stopfen. Alle Beteiligten stehen daher vor schwierigen Jahren und weiteren unpopulären Sparmaßnahmen“, erklärte der EY-Partner Prof. Dr. Bernhard Lorentz zur Veröffentlichung des Papiers.
Die Krise vor der Krise
Glaubt man den Ausführungen des Bundesfinanzministeriums, herrschten bis 2019 noch paradiesische Zustände: „Die Finanzsituation der Kommunen stellte sich bis zum Ausbruch der Covid-19-Pandemie insgesamt sehr positiv dar. Der kommunale Finanzierungssaldo belief sich in den Jahren 2012 bis 2019 bundesweit kumuliert auf rund +36,3 Milliarden. Euro.“
Die amtlichen Zahlen widersprechen dieser Bewertung. Im Jahr 2019 erwirtschafteten die Kommunen einen rechnerischen Haushaltsüberschuss von insgesamt 4,5 Milliarden Euro, 2018 bundesweit sogar 8,86 Milliarden Euro. Doch diese Zahl verschleiert die ungleiche Verteilung der finanziellen Mittel. Allein 2018 lebte jeder vierte Deutsche in einer Kommune mit einem „Haushaltssicherungskonzept“. Also in einer verarmten Gemeinde, die nicht mehr über ihren eigenen Haushalt bestimmen konnte und gezwungen war, ihre Ausgaben auf ein Minimum zu beschränken.
Völlig abwegig werden die rückblickenden Jubelrufe, wenn dem vermeintlichen Überschuss der Investitionsbedarf gegenübergestellt wird. Der Sanierungsstau in der kommunalen Infrastruktur betrug im Jahr 2019 knapp 147 Milliarden Euro. Ein Anstieg von 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wichtig ist, dass es sich hierbei nur um den von den Kommunalverwaltungen „wahrgenommenen Investitionsrückstand“ handelt. Das bedeutet, dass zahlreiche notwendige Investitionen, etwa in den Klimaschutz, nicht eingerechnet sind. Knapp 55 Prozent des Sanierungsbedarfes verorteten die Kommunen in den Bereichen „Schulen“ (44,2 Milliarden Euro) und „Straßen“ (37,1 Milliarden Euro). Für den ÖPNV, der im Rahmen der Verkehrswende eine zentrale Rolle spielen muss, sahen die Gemeinden einen Investitionsbedarf von gerade einmal 0,3 Milliarden Euro. Für „Sportstätten und Bäder“ nahmen die Stadtverwaltungen einen Rückstand von nur 10,3 Milliarden Euro wahr.
44 Prozent der Kommunen, die sich zu den bestimmenden Faktoren des Sanierungsstaus äußerten, beklagten einen Mangel an finanziellen Mitteln für Investitionen. Einige konnten nicht einmal den Eigenanteil für die Inanspruchnahme von Fördermitteln aufbringen. Die deutschen Kommunen waren schon vor der Pandemie nur noch zum Teil handlungsfähig und weit davon entfernt, eine fortschrittliche und selbstbestimmte Politik betreiben zu können. Das lag nicht nur am Geld, sondern auch am beispiellosen Kahlschlag in der kommunalen Verwaltung. Der neoliberale Traum vom „schlanken Staat“ hat die Stadtverwaltungen längst zum überforderten Flaschenhals werden lassen. Zwischen 2008 und 2018 wurden allein in den Bau- und Planungsämtern geschätzte 10.000 Stellen gestrichen. Folgerichtig benannten 39 Prozent der Gemeinden den eigenen Personalmangel als Ursache für ausbleibende Investitionen.
Die Auswirkungen der „Corona-Krise“
Kreise, Städte und Gemeinden stehen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie an vorderster Front. Sie sind nicht nur zuständig für die Gesundheitsämter, die kommunalen Krankenhäuser und die öffentlichen Pflegeeinrichtungen, sondern agieren auch als Schulträger und Ordnungsbehörden. Zahlreiche kommunale Einrichtungen wie Schwimmbäder, Musikschulen und Bibliotheken wurden im vergangenen Jahr nur selten genutzt oder ganz geschlossen. Die dort Beschäftigten und ihre Familien tragen die Lasten des aktuellen Pandemie-Krisenmanagements der Regierung in Bund und Ländern.
Wenn es um die kommunalen Corona-Folgen geht, stehen die wegbrechenden Steuereinnahmen im Zentrum der Debatte. Die aktuelle Steuerschätzung prognostiziert für das Jahr 2020 einen Einbruch der Gewerbesteuer um 12,4 Milliarden Euro (22,4 Prozent) im Vergleich zu 2019. Auch im Jahr 2021 soll die wichtigste kommunale Steuer um 7 Milliarden Euro hinter den ursprünglichen Prognosen zurückbleiben.
Mit steigenden Kosten ist im Bereich der Sozialleistungen zu rechnen. Die Kommunen tragen einen Teil der sozialen Transferaufwendungen selbst. So beteiligen sie sich aktuell zu 26 Prozent an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II. Der Deutsche Städtetag erwartet Sozialausgaben von insgesamt 64,2 Milliarden Euro im Jahr 2020 und einen stetigen Anstieg in den kommenden Jahren. Davon sind strukturschwache Gemeinden mit einem höheren Anteil an Transferleistungsbeziehern stärker betroffen. Mehrausgaben entstehen auch in den Bereichen Gesundheit und Infektionsschutz. Insbesondere bei den Gesundheitsämtern, die in der Vergangenheit möglichst klein gehalten wurden, sind hohe zusätzliche Personalkosten zu erwarten. Gleiches gilt für die Investitionskosten im Schulbereich (Stichwort: Digitalisierung).
Mit dem sogenannten „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ erklärten Bund und Länder ihre Bereitschaft, die einbrechenden Einnahmen bei der Gewerbesteuer für das Jahr 2020 auszugleichen. Sieht man auf die ersten (geschätzten) Bilanzen, scheint dies weitestgehend gelungen: So erwarten die Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern einen Rückgang ihrer Gesamteinnahmen von nur 4,3 Prozent. Auch die Aufstockung der Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung wurde mit diesem Paket angehoben. Allerdings unterschlägt diese Erfolgsgeschichte entscheidende Faktoren. Der Durchschnittswert kann die unterschiedliche Verteilung der Mittel nicht abbilden. Während es in einigen Gemeinden eine Überkompensation der Schäden gibt, fahren andere größere Verluste ein. Außerdem tauchen zahlreiche Verluste nicht in den kommunalen Bilanzen auf. So forderte die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die Kämmereien auf, die krisenbedingten Schäden in einer Sonderbilanz zu isolieren. Dort sollen die Verluste gesammelt und ab dem Jahr 2025 über 50 Jahre lang abgeschrieben werden. In den Kernhaushalten sind sie daher zunächst nicht zu sehen. Einen Teil der Hilfsgelder wollen sich einige Länder außerdem von den Kommunen zurückholen. Die Stadt Gelsenkirchen rechnet beispielsweise bereits mit einer Rückzahlung von 16 Millionen Euro an das Land.
Der kommunale „Durchlauferhitzer“
Seit vielen Jahren sucht das Kapital nach Wegen, um die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge voranzutreiben. Eine Hauptrolle spielt die Europäische Union mit ihrer Forderung nach „offenen Binnenmärkten“ und der „Beseitigung von Investitionshindernissen“. Zentral ist hierbei das sogenannte „Beihilfeverbot“:
„Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
Diese Klausel führt in der kommunalpolitischen Praxis zu regelmäßigen Streitfällen. Grundsätzlich sind alle Märkte innerhalb der Europäischen Union einem freien Wettbewerb unterworfen, dies gilt zunächst auch für die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Doch gerade bei kommunalen Unternehmen sind staatliche „Beihilfen“ an der Tagesordnung. Daseinsvorsorge und Binnenmarkt stehen im Gegensatz zueinander. Zahlreiche öffentliche Aufträge müssen inzwischen europaweit ausgeschrieben werden. Privatisierungen und „Öffentlich-Private Partnerschaften“ sind das Gebot der Stunde. Von dieser grundsätzlichen Zielsetzung ausgenommen sind Leistungen, bei denen „zu normalen Marktkonditionen die Erfüllung des Gemeinwohlauftrags wirtschaftlich nicht darstellbar ist“. Als Beispiel dient (noch) die kommunale Wasserversorgung, die eigentlich ein unerwünschtes staatliches Monopol darstellt, aber gebilligt wird, wenn sich der Markt „auf solche Dienste als permanente Grundlage und Infrastruktursicherung verlassen“ kann. In der EU-Strategie werden also öffentliche Leistungen geduldet, die innerhalb der bestehenden Strukturen nicht profitabel betrieben werden können oder eine (wenigstens indirekte) Subvention des privatwirtschaftlichen Handelns darstellen.
Nur wenige Gemeinden können dem steigenden Privatisierungsdruck auf Dauer widerstehen. Ihre schlechte wirtschaftliche Lage zwingt sie zur Aufgabe von Leistungen oder zum Verkauf kommunaler Unternehmen. Zahlreiche Stadtwerke gehören inzwischen zumindest teilweise privaten Eigentümern. Wo ökonomischer Druck nicht ausreicht, wird die Privatisierung mit der Brechstange erzwungen. Als Beispiel dafür dient der ÖPNV, der nach einer Novelle des Personenbeförderungsgesetzes vorrangig „eigenwirtschaftlich zu erbringen“ ist. Grundlage für diese Regelung war wieder einmal das EU-Recht.
In einer Stadt, in der wesentliche Aufgaben privatisiert sind, gibt es keinen Raum für demokratische Selbstverwaltung mehr. Das Gleiche gilt für Gemeinden mit Mangel an Geld und Personal. Schon vor der Krise waren die Spielräume gering. Die kommunalen Mittel standen kaum noch zur Entwicklung von freiwilligen Leistungen zur Verfügung. Investitionen tätigten viele Kommunen hauptsächlich im Rahmen von Förderprogrammen, mit denen die öffentlichen Gelder in die gewünschten Bahnen gelenkt wurden. Die Gemeinden sind mehr und mehr zum „Durchlauferhitzer“ geworden, der öffentliches Geld in den privaten Markt pumpt. Die Krise wird diese Entwicklung aller Voraussicht nach beschleunigen; zumindest dann, wenn es keine oder zu wenig gesellschaftliche Gegenwehr gibt.
Ebenfalls im März erscheint die neue Ausgabe der „Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung“. Thematischer Schwerpunkt sind diesmal „Gesundheitssystem und Corona-Krise“. Die Redaktion stellt fest: „Die Corona-Krise hat sich als Crash-Test für das bundesdeutsche Gesundheitswesen erwiesen. Sie hat Schwachstellen, innere Widersprüche und dessen sozialpolitischen Klassencharakter offengelegt.“ Weiter heißt es: „Die Covid-19-Pandemie unterstreicht, dass Gesundheit und Krankheit gesellschaftspolitische Dimensionen haben. Der vorherrschende Fokus auf Infektionsbekämpfung und Impfungen droht allerdings, die soziale Bedingtheit des Gesundheitsthemas in den Hintergrund zu drängen.“
Editorial und Inhaltsverzeichnis sind online abrufbar unter:
www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de