Zum Tod von Kurt Gossweiler

Von Renate Schönfeld

Sein Buch „Wider den Revisionismus“ hatte Kurt Gossweiler dem 80. Jahrestag der Oktoberrevolution gewidmet und allen, die der Sache des Roten Oktober treu geblieben sind.

Kurt, der am 5. November 1917 in Stuttgart geboren wurde, stand sein Leben lang zur Sache. Am 15. Mai starb er im Alter von 99 Jahren. Den 100. Geburtstag seiner Frau Edith konnten beide noch gemeinsam erleben. Sie hielt ihm nicht nur den Rücken für seine Arbeit frei, sie hatte auch viele seiner Schreibarbeiten übernommen und ihn in seiner Arbeit unterstützt. Wir, seine Freunde und Genossen, möchten ihr unsere herzliche Anteilnahme aussprechen. Obgleich er in den letzten Jahren nicht mehr aktiv am politischen Geschehen und an Diskussionen teilnehmen konnte, wussten wir, dass er da war. Er fehlt nun.

Mit Stuttgart war Kurt Zeit seines Lebens verbunden, obgleich er in der Kindheit mit seiner Mutter nach Berlin gezogen war, dort die Karl-Marx-Schule in Neukölln besuchte und in der Hufeisensiedlung wohnte. Bereits als Schüler schloss er sich dem von Herbert Ansbach geleiteten kommunistischen Sozialistischen Schülerbund an. In diese Zeit gehört, dass er in seinem kommunistischen Elternhaus auch Erich Mühsam begegnete. Als Student der Volkswirtschaftslehre war er aktiv im illegalen kommunistischen Jugendverband KJVD. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, aber 1943 desertierte er zur Roten Armee. Während der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion besuchte er die Antifa-Schule und wirkte dort auch als Lehrender. Außerdem gehörte er dem Nationalkomitee Freies Deutschland an. Nach der Kriegsgefangenschaft kehrte er 1947 nach Berlin zurück und wurde Mitglied der SED. In der DDR lehrte er an der Humboldt­universität und an der Akademie der Wissenschaften. An der HU hatte er selbst promoviert und sich habilitiert.

Sein Hauptgebiet als Historiker war bis 1989 die Faschismusforschung, er gehörte zu den bedeutendsten Kennern des Faschismus und war international bekannt und anerkannt. Sein Schwerpunkt lag in der Erforschung des Verhältnisses der Monopolbourgeoisie zum Faschismus.

Nach der vorläufigen Niederlage des Sozialismus seit 1989 hatte er ein anderes Forschungsinteresse. Er schreibt dazu: „Meine Erlebnisse auf sowjetischer Seite haben meine kommunistische Einstellung und die Überzeugung gefestigt, dass die Sowjetunion auf dem richtigen, von Lenin gewiesenen Wege voranschreitet. Und sie haben mich befähigt, sehr früh zu erkennen, dass unter Führung Chruschtschows die KPdSU unter dem Vorwand des Bruchs mit dem sogenannten „Personenkult“ in Wahrheit den Bruch mit dem Marxismus-Leninismus und den Weg des der Restauration des Kapitalismus beschritt. Allerdings war ich lange Zeit – bis 1988 – davon überzeugt, dass das nie gelingen werde.“

Mit der Rolle Chruschtschows und der Gorbatschows hat er sich in verschiedenen Publikationen auseinandergesetzt, zum Beispiel in der „Taubenfußchronik“. Zur Konterrevolution äußerte sich Kurt in der Dankesrede anlässlich seines 90. Geburtstages, den er mit Freunden und Verbündeten feierte: „Der unerwartete – aber mit Sicherheit nur zeitweilige – Sieg der Konterrevolution hat meine Forschungen von ihrem ursprünglichen Gegenstand, dem Faschismus, umgelenkt auf die Suche nach der Antwort auf die Frage nach den Ursachen unserer keineswegs unvermeidlichen Niederlage. Diese Niederlage hat uns tief getroffen, sie ist eine Katastrophe nicht nur für die Völker der ehemals sozialistischen Länder, sondern für die ganze Menschheit. Es genügt, sich vor Augen zu führen, wo überall vorher Frieden war und wo danach imperialistische Kriege entfesselt wurden und immer weitere Kriege drohen.“

Persönlich erlebte er die Zerschlagung des Sozialismus wie viele andere als ein Loch, in das er fiel. Die Folge davon war, dass auch menschliche Kontakte zerbrochen waren, und die, deren Land die DDR war, wurden geächtet. Spreu und Weizen hatten sich getrennt. Auch dazu äußerte er sich in seiner Dankesrede: „Aber in den dunkelsten Zeiten nach der sogenannten Wende hat sich die Dialektik des Geschichtsgangs damit bestätigt, dass selbst die bösesten Ereignisse auch Gutes hervorbrachten: sie führten Menschen zusammen, die – ohne es zu wissen – schon lange zusammengehörten, die ohne die bösen Ereignisse sich wohl nie begegnet wären: ich meine damit einmal die Zusammenführung von Kommunisten wie ‚Kled‘, also Karl-Eduard von Schnitzler, und Marta Rafael, Heinz und Ruth Keßler, Ulrich Huar, Hermann Leihkauf und mich u. a. mit Theologen wie Hanfried und Rosemarie Müller-Streisand, Pfarrerin Renate Schönfeld und anderen.“ In diesem Zusammenhang nennt er auch parteigebundene und parteilose Kommunisten aus der BRD und anderen Ländern, darunter auch aus Österreich.

Eine besondere Bedeutung hatte für Kurt ein jahrelanger Briefwechsel mit Peter Hacks. Dieser brachte die Bedeutung seines Schaffens treffend auf den Punkt: „Es gibt ja schon wieder ein paar wohlgemeinte Bücher, die Tatschen enthalten. Es gibt eine überaus kleine Zahl von Büchern, die vom höchsten Stand des sozialistischen Bewusstseins ins Wesen packen, und ich denke, dass das Ihrige sich an deren Spitze gestellt hat. Wenn ein Standardwerk ein Hauptwerk über einen Gegenstand ist, dann, lieber Herr Gossweiler, haben sie unserem Jahrhundert das Standardwerk geschrieben.“

Mit dem Tod von Kurt Gossweiler ist eine Lücke entstanden. Aber er hinterlässt seine Bücher, Schriften und Reden, die angesichts der Aggressivität des Imperialismus immer wichtiger werden. Deshalb ist es einigen Freunden ein Bedürfnis, ihn im Herbst mit einem Symposium zu ehren, auf dem er mit Sicherheit zu Wort kommen wird.

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"Zum Tod von Kurt Gossweiler", UZ vom 26. Mai 2017



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