Referat auf 2. Tagung des Parteivorstandes der DKP

Zum Stand der Krise

Es geht heute um den aktuellen Stand des Klassenkampfs, der, wie es im Manifest heißt „vor unseren Augen“ stattfindet. Marx und Engels weisen da aber schon darauf hin, dass wir Kommunisten zu seiner Einschätzung Theoriearbeit leisten müssen: Ich meine den Absatz aus dem Kapitel II ‚Proletarier und Kommunisten‘: „Die Kommunisten …haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus. Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung.“

Die aktuellen Bedingungen des Klassenkampfs entwickeln sich in der gegenwärtigen zyklischen Krise, die wir einschätzen müssen, um uns für die entsprechenden Folgen aufzustellen.

Wir tragen Fakten zusammen und versuchen, sie auf unserer theoretischen Grundlage einzuordnen, um nicht in Spekulation abzugleiten. Deshalb zunächst Stichworte zu den Grundbegriffen, auf denen wir aufbauen. Dann komme ich zur Situation der Klassen in der diesmal auch von der Pandemiesituation geprägten zyklischen Krise.

In der marxistischen Krisentheorie geht es um den Zusammenhang zwischen den Begriffen Kapitalakkumulation, zyklische Krise, Produktivkraftentwicklung und Kredit, Imperialismus und allgemeine Krise, Staat, Krieg und Sozialismus. Ich skizziere jetzt in acht kurzen Aussagen den Theorierahmen, auf dessen Grundlage wir uns an die aktuelle Krise herangearbeitet haben:

  1. Das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis beruht auf der historischen Trennung der Gesellschaft in zwei Hauptklassen. Die Kapitalisten als Privateigentümer der Produktionsmittel sind in der Konkurrenz gezwungen, ihr Kapital zu vermehren, d.h. Mehrwert zu akkumulieren. Die Arbeiterklasse ist mangels Produktionsmittel zur Lohnarbeit mit den Produktionsmitteln der Kapitalisten gezwungen.
  2. Daraus entsteht der Grundwiderspruch: die Produktion ist gesellschaftlich, die Aneignung privat. Deshalb sind Krisen im Kapitalismus unvermeidlich, weil gesetzmäßig zu viel Kapital akkumuliert wird im Verhältnis zur kaufkräftigen Nachfrage.
  3. Aus der Krise kommen die stärkeren Kapitalisten heraus durch Übernahme der Absatzmärkte schwacher Konkurrenten. Die profitstärksten Kapitale, d.h. die mit der besten Ausbeutungs- und Produktionstechnik, haben den besten Zugang zu Kredit und damit zu maximaler Akkumulation. Durch den Wettlauf zur Eroberung der Märkte entsteht wieder Überkapazität.
  4. Der krisenhafte Zyklus der Kapitalakkumulation von etwa 7- 10 Jahren hängt an der schubweisen Erneuerung des fixen Kapitals, d.h. der Produktionstechnik. Mit jedem Zyklus setzten sich technisch und finanziell neue Größenordnungen durch.
  5. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsteht aus der Verbindung zwischen hochkonzentriertem industriellem und Bankkapital das imperialistische Finanzkapital. Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, damals der Aufstieg der Elektro- und Chemieindustrie und der Fließfertigung, prägt die Entwicklung der kämpfenden Klassen: In der Bourgeoisie bildet sich die Monopolbourgeoisie mit der Tendenz zur Reaktion heraus, in der Arbeiterklasse die Arbeiteraristokratie mit der Tendenz zum Opportunismus.
  6. Auch dieser gewaltige Schub der Produktivkraftentwicklung stellte sich im Kapitalismus gegen die unmittelbaren Produzenten, die Arbeiter. Weil die Märkte aufgeteilt waren entstand chronische Überkapazität und Massenarbeitslosigkeit. Das ist die ökonomische Grundlage der allgemeinen Krise des Kapitalismus.
  7. Der Staat ist nicht mehr ideeller Gesamtkapitalist, der bürgerlich-demokratisch gleiches Recht für alle Kapitale herstellt, sondern ist Herrschaftsinstrument zwar der gesamten Kapitalistenklasse, aber im Wesentlichen zum Nutzen der Finanzoligarchie. Die sichert sich im Staatsapparat Zugriff zur Macht, mit allen Mitteln.
  8. Der hohe Vergesellschaftungsgrad, die allgemeine Krise und der staatsmonopolistische Kapitalismus prägen den zyklischen Verlauf der Akkumulation im Imperialismus mit der Perspektive Sozialismus oder Krieg.

Jetzt zur Entwicklung der aktuellen Krise:

In den Statistiken der Bundesbank war im Sommer letzten Jahres deutlich geworden, dass die Wirtschaft der BRD ihren zyklischen Höhepunkt im 3. Quartal 2018 überschritten hatte und in eine neue zyklische Krise eintritt. Die verheerenden weltweiten Folgen der letzten zyklischen Krise mit ihrem Tiefpunkt 2009 sind noch keineswegs überwunden, weder was die Abwälzung der Lasten auf die Arbeiterklasse und die breiten Volksmassen angeht, noch in Bezug auf die Brüchigkeit des imperialistischen Wirtschafts- und Finanzsystems, chronische Überkapazitäten der Industrie und entsprechende Massenerwerbslosigkeit. Die Charakteristika der allgemeinen Krise des Kapitalismus zeigen sich deutlich, nicht nur in der Ökonomie. Die brüchige Fassade der bürgerlichen Demokratie zeigt Risse. Die Krise schwelte nach 2009 besonders in der EU weiter, weil ein echter Aufschwung ausblieb, der die nicht abgeschriebenen „faulen“ Kredite in den Bankbilanzen saniert hätte. Der Schwelbrand im Eurosystem wurde schließlich ab 2012 von den massiven Eingriffen der EZB durch die Flutung der Märkte mit so genanntem „billigem Geld“ und Nullzins zwar eingedämmt, das Finanzsystem wurde damit aber weiter unterhöhlt. Mangels bereinigender Wirkung der Krise trat auch keine massenhafte Erneuerung der Produktionskapazitäten (des fixen Kapitals) ein. Die Investitionen nahmen trotz Nullzins und Geldschwemme nicht zu. Das wäre aber die Voraussetzung für einen echten Aufschwung gewesen. Bürgerliche Ökonomen griffen zu Sprachregelungen wie „Konjunkturdelle“ oder „Atempause des Wachstums“, um das Zusteuern auf eine neue zyklische Krise zu beschönigen. Immer brav auf der Oberfläche wurde gestritten, ob das Wachstum eher bedroht wäre durch den so genannten „Handelskrieg“ zwischen den USA und China oder den Brexit, beides angeblich betrieben von einer Art bescheuerter Clowns. Die bürgerlichen Ideologieproduzenten schaffen keine halbwegs rational erscheinenden Erklärungen mehr für die Probleme, die herrühren von der Überakkumulation von Kapital, sichtbar in Überkapazitäten, im Zuviel an Produktionsmitteln und Betrieben im Verhältnis zur beschränkten Massenkaufkraft. Dem Dogma vom heiligen Markt wird jetzt wieder an die Seite gestellt das Hilfsdogma von der sozialdemokratischen Bändigung des Raubtiers Markt, wie schon in den Krisen seit den 60er Jahren, zuletzt 2003 und 2009. Darauf wird in der Diskussion einzugehen sein.

Der Ausweg aus der letzten Depressionsphase war nur noch Dank der steigenden Massenkaufkraft in der Volksrepublik China möglich. Zur Illustration: Die BRD exportierte in die VR China im Jahr 2000 für 5 Milliarden Euro, 2007 für 30 und 2019 für 90 Milliarden Euro.

In der Pandemie-Situation wird deutlich, dass das Geschäftsmodell des deutschen Imperialismus an seine Grenzen kommt: Die Kapitalkraft, mit der die EU dominiert wird beruht auf dem Lohndumping der Agenda-Politik. Die dadurch bedingte Schwäche der Massenkaufkraft muss durch immer neue Exportoffensiven überwunden werden. Dominanz in der EU und Sozialpartnerschaftsideologie im Inneren bedingen sich gegenseitig.

Die zyklische kapitalistische Krise und ihre Entwicklung im Rahmen der Allgemeinen Krise wurde also durch die aktuelle Pandemie keineswegs ausgelöst, wird aber dadurch verstärkt. Sie wird mindestens so tief wie 2009, wahrscheinlich tiefer. In den internationalen Beziehungen, in denen sich der deutsche Imperialismus bewegt, steigt die Spannung vor Allem zwischen den USA und der VR China. Der deutsche Imperialismus behält seine Krisen-Strategie bei, passt aber die taktische Reaktion an. Das ist nicht so zu verstehen, dass ein Mastermind der Regierung sagt, was sie zu tun hat. Im Gegenteil: Die herrschenden Kapitalisten kämpfen in erbitterter Konkurrenz um Einfluss in ihrem Staat, dominiert von einigen Dutzend Finanzoligarchen, die sich noch erbitterter die kleiner werdenden Brocken abjagen. Krise als Bewegungsform der Akkumulation bedeutet: „Je ein Kapitalist schlägt viele tot“, wie wir von Marx gelernt haben (MEW 23, S. 654ff und 790).

Von Lenin haben wir gelernt, dass sie dabei Allianzen eingehen, die auf dem Boden des Privateigentums immer nur vorübergehend sein können, im Imperialismus letztlich mit dem Ziel, bei der Neuaufteilung der Weltmärkte nicht abgeschlagen zu werden. Das Klasseninteresse der Systemverteidigung wird dabei ständig vom Konkurrenzkampf durchkreuzt (LW 22, S. 276, 278, 281).

Der deutsche Imperialismus hatte seine Digitalisierungs-Offensive gestartet, um auch aus dieser Krise stärker herauszukommen. Dabei geht es nicht nur um eine neue technische Basis, sondern wie immer im Kapitalismus bei Umwälzungen der Betriebsweise auch um stärkere Ausbeutung der Arbeitskraft. In der BRD richtet sich der Angriff besonders auf den Normalarbeitstag und das Normalarbeitsverhältnis. Der Imperialismus ist aber auch dadurch gekennzeichnet, dass er auch aus anderen Völkern möglichst viel auspresst, um Ruhe an der Heimatfront, auch für die Aufrüstung, zu erkaufen. Soweit der Stand im Oktober letzten Jahres.

In dieser Lage forderten im November DGB und BDI bzw. die ihnen nahestehenden Wirtschaftsinstitute einträchtig ein staatliches Investitionsprogramm von etwa 500 Milliarden Euro. Der BDI als Lobbyverband der Industrie wird dominiert von der Großindustrie im Gegensatz zum BDA, dem Lobbyverband der so genannten „Arbeitgeber“ in dem auch die nichtmonopolistischen Kapitalisten mitreden dürfen. Ein wichtiger Unterschied für den Klassenkampf ist, dass die Großindustrie Einfluss auf den DGB hat durch Betriebsratsspitzen, die sich an Co-Management-Strategien orientierten, auf dem Boden der vorherrschenden Sozialpartnerschaftsideologie. DGB und BDI forderten also bereits im November 500 Milliarden Steuergeld zur Vermeidung eines Nachfrageeinbruchs an. Das zeigt, dass die zyklische kapitalistische Krise bereits Monate vor dem Ausbruch der Pandemie absehbar war und massive Staatseingriffe der Großen Koalition geplant waren. Der einträchtige „Vorschlag“ von BDI und DGB war ein Test um herauszufinden, mit welchen Widerständen die Regierung mit einem 500 Milliarden Konjunkturprogramm aus den Reihen der nichtmonopolistischen Bourgeoisie zu rechnen hätte. Die hat ohne direkten Zugang zur Staatsmacht weniger Möglichkeiten, die Rückzahlung von Staatsschulden auf andere Schultern abzuladen und muss befürchten, vom Monopolkapital mit zur Kasse gebeten zu werden. Die Aufschreie gegen das BDI-DGB-Papier vom November blieben aber aus von ihrem Lobbyverband, dem BDA. Der meldet sich auch gern über die „Mittelstands- und Wirtschaftsunion“ der CDU zu Wort, auch von dort kam kein Protest gegen das DGB/BDI-Papier.

Alles bevor Corona und Pandemie die Schlagzeilen beherrschte.

Inzwischen, immer noch vor Corona, vernetzte sich die deutsche und französische Finanzoligarchie mit dem Ziel, sich in der EU gegen die technologische und damit militärische und ökonomische Vorherrschaft der USA aufzustellen. Konkret geht es ihnen darum, Geldströme in ihre Richtung umzuleiten über staatsmonopolistische Maßnahmen im Rahmen der EU.

Seit Dezember 2019 haben BRD und Frankreich Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission installiert und Thierry Breton als Binnen- und Rüstungskommissar. Nach einigem Gegrummel über die Methoden der Auswahl, die ja mit den Grundsätzen der bürgerlichen Demokratie in der Tat nichts zu tun haben, war es eine der ersten Aufgaben der neuen Kommissionspräsidentin, den sprachlichen Rahmen zu klären, in dem die EU-Digitalaufrüstung dargestellt werden soll. Propagandafachleute sprechen von „Framing“ (s. UZ 19.06., S.13). Von der Leyen klärte die Sprachregelung bereits im Berufungsschreiben für ihren Vizepräsidenten Josep Borell, dem neuen EU-Außen- und Sicherheitskommissar: Da hieß es, die „globale Machtverschiebung“ setze drei so genannte „Transformations“-Themen: „Klima“, „digitale Technologie“ und „Geopolitik“. In der konkreten Aufgabenbeschreibung für Borell geht es dann nicht mehr ums Klima, sondern darum, dass – Zitat -„in den nächsten fünf Jahren mutige Schritte zu einer echten Europäischen Verteidigungsunion unternommen werden müssen“ – Zitatende – in enger Abstimmung mit den Zuständigen für die Bereiche der Technologie.

Der Begriff „Transformation“ wurde zur taktischen Durchsetzung mit der „Klima“-Frage aufgeladen, um damit ähnlich wie mit dem Begriff „Globalisierung“ eine quasi naturgegebene Entwicklung zu unterstellen. Von der Leyen propagierte Mitte Februar im Rahmen der Kriegs- und Rüstungsmesse namens „Münchner Sicherheitskonferenz“, der Siko, den Zusammenhang zwischen der „technologischen Souveränität“ Europas und dem von ihr vorgeschlagenen „Green Deal“. (HB 19.2. S.5). Der Ausdruck „Green Deal“ steht bereits in Zusammenhang mit der erwarteten Krise: Er soll verweisen auf den „New Deal“ der USA unter Roosevelt, der angeblich durch hohe Staatsausgaben für Infrastrukturinvestitionen die USA aus der Weltwirtschaftskrise nach 1929 herausgebracht habe. Tatsächlich wurde dort die Arbeitslosigkeit erst 1941 nach dem Kriegseintritt der USA überwunden – ein Zusammenhang, den Frau von der Leyen geflissentlich umgeht. Die EU-Kommission hatte da schon ganz ohne Pandemie vorgerechnet, dass die EU-Länder 190 Milliarden Euro pro Jahr investieren müssten, also rund eine Billion in fünf Jahren, um gegen China und die USA technologisch aufzuholen; das war im Handelsblatt vom 17. Februar zu lesen. (S.10). Auf derselben Siko riefen die US-Außen- und Kriegsminister offiziell den kalten Krieg gegen die VR China aus, konnten aber keine einmütige Gefolgschaft aus Frankreich und Deutschland erzielen. Macron konterte mit der Forderung nach digitaler und nuklearer Souveränität der EU.

In derselben Woche wurden dann in Europa die ersten großen Fachmessen wegen der Corona-Pandemie abgesagt, in Paris wurde der erste Corona-Tote registriert. Nach der Entwicklung in China und Italien reagierte die BRD-Regierung schließlich Mitte März mit den Kontaktbeschränkungen – ein Lockdown war es ja gerade nicht – um die exponentielle Ausbreitung der Pandemie zu bremsen. Die Finanzoligarchie sah bei stockendem Absatz in der fortschreitenden Krise kein Problem darin, einzelne ausgewählte Betriebe vorübergehend dicht zu machen, auch um damit einen Vorwand für die Inanspruchnahme von „Staatsknete“ zu haben. Bei der Masse derer, die ihre Geschäfte schließen mussten ergaben sich schnell existenzielle Probleme.

Die Regierung unserer Oligarchen war deshalb bald im Konflikt zwischen dem Interesse der Masse der Einzelunternehmer – so schnell wie möglich die Beschränkungen aufheben – und dem Gesamtinteresse des Kapitals, die Kapitalverwertung insgesamt abzusichern. Entscheidend dabei ist allerdings das Interesse der Finanzoligarchie, die aber sowohl den Rest ihrer Klasse, die nichtmonopolistischen Kapitalisten bei der Stange halten muss als auch die Arbeiterklasse und die kleinbürgerlichen werktätigen Schichten.

Ende März sahen die Oligarchen bereits Licht am Ende des Tunnels, weil China wieder anfing zu produzieren und zu kaufen. Der VW-Konzern z.B. hat im letzten Jahr 40 Prozent der Fahrzeuge in China abgesetzt. Anders sieht es bei den meisten Kapitalisten ohne China-Stütze aus, die auf einen schnellen „Exit“ von den Beschränkungen drängten und damit auch das Risiko einer wieder exponentiellen Verbreitung der Pandemie in Kauf nahmen.

Die zyklische Krise wurde vor der Pandemie von den großen Konzernen in der Größenordnung der Krise von 2009 erwartet, d.h. ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um knapp 6 Prozent (2009 – 5,7 Prozent). Entsprechend hatten sie Cash-Reserven aufgebaut oft in zweistelligen Milliardenhöhen.

Mit Hilfe der Krisenprogramme versucht die Finanzoligarchie und ihre Regierung die Krise nun in diesem Rahmen zu halten.

Wirtschaftsminister Altmaier, der allerdings dafür bezahlt wird, ein optimistisches Bild zu zeichnen, hat vor zwei Wochen seine Schätzung vorgelegt, nach der das gelingen würde:

Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts soll unter 6 Prozent bleiben (5,8 Prozent). Dank der bereits vor Corona vorbereiteten Kurzarbeitsregelung ist die gemeldete Arbeitslosenzahl bisher nicht über 3 Millionen gestiegen. Von den gut 10 Millionen angemeldeten Kurzarbeitern waren bis zu 7 Millionen im April und Mai tatsächlich in Kurzarbeit geschickt worden. Damit war ein größerer Nachfrageeinbruch im Inland verhindert worden.

Die Nachfrage hängt aber in der BRD-Ökonomie zu ca. 50 Prozent am Export, angeführt vom Autoabsatz. Von dem wurde im 1. Halbjahr nach Schätzungen weltweit nur die Hälfte der bereits reduzierten Planung realisiert. Zwei Drittel des BRD-Exports bleiben in Europa, vor allem den EU-Ländern. Daher stimmt die BRD den 750 Milliarden EU-Hilfsmaßnahmen zu.

Weitere 15 Prozent des Exports gehen etwa je hälftig nach China und in die USA. Im so genannten „Handelskrieg“ der USA gegen China ist die BRD deshalb vorsichtig und muss auf baldige Stabilisierung in beiden Ländern hoffen. In den USA ist mit einem Ansteigen der Massenkaufkraft wegen der hohen Arbeitslosigkeit nicht zu rechnen, während die Autoverkäufe in China nach Ende des Lockdown wieder zunehmen.

Wie sieht es realistisch aus, ohne Altmaiers Optimismus?

Im Inland soll der Einbruch der Kaufkraft durch die Verlängerung der Kurzarbeitsregelung und der Insolvenzregelung stabilisiert werden. Die Größenordnung des Problems wird in folgenden Zahlen deutlich: 2009 hatten 25.000 Betriebe Kurzarbeit für gut 3 Millionen Kollegen angemeldet (HB 20.05. S.19) von denen knapp 1,5 Millionen dann tatsächlich in Kurzarbeit geschickt wurden. Derzeit haben ca. 750.000 Betriebe über 10 Millionen zur Kurzarbeit angemeldet, von denen zwischen 3 und 7 Millionen dann tatsächlich kurzarbeiten. Bei den rund 5 Millionen Klein- und Kleinstunternehmern sollten die Soforthilfen den Einbruch dämpfen. Wie stark die Kaufkraft tatsächlich geschrumpft ist, ist schwer zu sagen, weil sich die Nachfragestruktur durch die Pandemiesituation geändert hat. So ist der Umsatz im Handel in den ersten sieben Monaten 2020 um 2,6 Prozent gestiegen. Das Ergebnis setzt sich aber zusammen aus plus 6 Prozent für den Lebensmittelhandel, minus 28 Prozent für den stationären Handel mit Textilien, Schuhen etc. und plus 20 Prozent für den Internet- und Versandhandel (HB7.9. S.13).

Von den etwa 5 Millionen kleinen Selbstständigen und Kleinbetrieben stehen nach Schätzungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform knapp 1 Million vor dem Aus, wenn die Regeln zur Insolvenzanmeldung ab 1. Oktober bzw. für Überschuldung ab 1. Januar wieder in Kraft treten.

Für große Unternehmen erhöht der Bund den Garantierahmen zur Kreditabsicherung um 357 Milliarden Euro auf nun 820 Milliarden Euro. Dazu kommen Steuergeschenke. Auch dadurch gehen die Steuereinnahmen zurück. Die Steuerlast wird in der BRD allerdings zu etwa zwei Dritteln mit der Lohn- und Umsatz-bzw. Mehrwertsteuer von der Masse der Bevölkerung getragen, die so schon letztlich die Hilfspakete für die Kapitalisten finanzieren wird. Das Kurzarbeitsgeld wird sogar aus unseren eigenen Sozialkassen bezahlt, bis die leer sind, geschätzt Ende des Jahres.

Zunächst wird der Bund zur Finanzierung der „Rettungspakete“ neue Kredite in Höhe von über 200 Milliarden Euro aufnehmen, das entspricht 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2019. Die Maßnahmen der Bundesländer kommen hinzu. Der Fetisch „Schwarze Null“ wurde für 2020 aufgehoben. Über die Konstruktion des Propagandainstruments „Schwarze Null“ wäre anschließend vielleicht auch zu diskutieren.

Im März gingen die KFZ-Neuzulassungen in der BRD um 38 Prozent zurück, im April um fast zwei Drittel (HB 11.5.S21), inzwischen hat sich die Lage etwas verbessert. Für den weltweiten Automarkt für 2020 insgesamt wird aber ein Rückgang gegenüber 2019 von 27 Prozent angenommen (HB 09.09. S. 5). An der Autoindustrie hängt ein großer Teil der Löhne in vielen Branchen, weshalb sie wie 2009 trotz Milliardengewinnen und -Rücklagen eine generelle Auto-Kaufprämie forderte. Das konnte sie aber im Gegensatz zu 2009 nicht durchsetzen. Die Maßnahmen sind stark auf eine Förderung der Digitalbranchen ausgelegt (UZ 19.06., S.3). Das „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ des Koalitionsausschuss vom 3.6., das so genannte „Eckpunktepapier“ trägt den Titel „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“. Wer fragt, wessen Wohlstand, wessen Zukunft erhält die Antwort in der programmatischen Einleitung: „Dazu bedarf es nicht nur der Reaktion auf die Auswirkungen der Krise, sondern viel mehr eines aktiv gestalteten innovativen Modernisierungsschubs … Diese Krise wird einschneidende Veränderungen bewirken, Deutschland soll gestärkt daraus hervorgehen.“

Die geänderten Machtverhältnisse in der deutschen Finanzoligarchie und im Rahmen der Gesamtstrategie des deutschen Imperialismus werden sichtbar. Macht verteilt sich nach Kapitalkraft, d.h. nach erwarteten zukünftigen Marktanteilen und Gewinnen. Auf der Kapitalstärke bauen die Netzwerke der Finanzoligarchie auf, mit denen sie die Gesellschaft überzogen haben, die Allianzen, von denen eingangs mit Hinweis auf Lenin die Rede war (LW22 S. 305). Überraschend ist die Zielrichtung insgesamt nicht: In den bisherigen Krisenzyklen nach 1945 ist es dem deutschen Imperialismus jedes Mal gelungen, innerhalb Europas stärker als die Konkurrenten herauszukommen. Im weltweiten Rahmen stellt sich zunehmend die Frage nach der relativen Stärke der EU im Verhältnis zu den USA und China.

Das optimistische Szenario von Altmaier wird natürlich auch nicht von allen bürgerlichen Ökonomen geteilt. Das Handelsblatt Research Institute (HRI) prognostizierte z.B. im Juni trotz all der Regierungsmaßnahmen für 2020 in der BRD einen Rückgang des BIP von 9,0 Prozent, einen Rückgang an Ausrüstungsinvestitionen von 13,6 Prozent und einen Einbruch des Exports um 20 Prozent. (HB 19.6., S.10). Wegen der Wahlen 2021 empfahl man, zumindest bis dahin das Kurzarbeitergeld zu verlängern um Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden, was inzwischen erledigt ist, und ein Hilfsprogramm zum Mieterschutz aufzulegen gegen Massenobdachlosigkeit. Das darf man im SPD-Wahlprogramm erwarten.

Auch das internationale Umfeld hat sich nicht stabilisiert. Die Krise in den Hauptexportmärkten der BRD ist ja keineswegs vorbei. Die Prognosen für die großen europäischen Märkte Frankreich, Britannien, Italien und Spanien verschlechtern sich mit den wieder zunehmenden Infektionszahlen. Dort ist mit einem noch stärkeren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts als in der BRD, also von über 10 Prozent, zu rechnen.

Für China kann man berechtigte Hoffnung haben, dass das Wiederaufflammen des Virus nicht zu einer neuen Epidemie und weitgehendem ökonomischen Stillstand führt. Für die USA wäre aber die Annahme, dass sich die Krise nach den Präsidentenwahlen nicht vertieft, sicher zu optimistisch. Auch werden nach den USA-Wahlen die Einflussversuche, die sich gegen Wirtschaftsbeziehungen der BRD mit Russland und China richten, nicht aufhören.

Inzwischen gibt es fast täglich neue Konjunkturdaten, mal optimistischer, mal pessimistischer. Für eine realistische Einschätzung scheint wichtig die aktuelle Schätzung vom DIW (HB 11/13.9), dass die Investitionen im laufenden Jahr um fast 20 Prozent (19 Prozent) unter dem bereits schwachen Stand von 2019 liegen werden. Anfang dieser Woche meldete das statistische Bundesamt (HB 16.9), dass die Aufträge in der Autoindustrie trotz der Nachholbestellungen nach dem Einschnitt im 2. Quartal weiter unter dem Vor-Corona-Stand vom Februar liegen (-2,4 Prozent), in der Maschinenbauindustrie sogar 13 Prozent darunter.

Wegen der zwei Schwachpunkte der BRD-Wirtschaft, Abhängigkeit vom Export und der Autoindustrie, ist mit einer Stabilisierung auch im nächsten Jahr eher nicht zu rechnen. BDI und DGB fordern bereits wieder einträchtig Krisenprogramme vom Staat, mindestens 500 Milliarden, unter dem bewährten Propaganda-Titel „Digitalisierung und Dekarbonisierung“ (HB 8.5., S.7). Inzwischen sind auch die Grünen auf dieses Trittbrett gesprungen und fordern vom Staat, nicht so bald zur schwarzen Null zurückzukehren und stattdessen ebenfalls ein 500 Milliardenprogramm für die nächsten Jahre. (HB 11/12/13.09., S. 9).

Hier ist zurückzukommen auf den eingangs erwähnten Hinweis von Lenin zu imperialistischen Absprachen: Die Konkurrenz unter den Finanzoligarchen durchkreuzt ständig ihr Klasseninteresse an der Systemerhaltung.

Bei der Diskussion um die staatlichen Milliarden der Hilfspakete setzten sich die bereits vor der Pandemie gesetzten Prioritäten des deutschen Imperialismus durch, d.h. technologisches und damit militärisches Aufholen gegen den US-Imperialismus. Es zeigte sich dabei die Machtverschiebung zugunsten derjenigen der BRD-Monopole, die sich stärker auf digitale Technologie stützen wie Siemens, SAP, Bosch und Telekom. Die haben in der monopolistischen Konkurrenz die Nase vorn, wenn es darum geht, den Wohlstand ihrer Aktionäre zu sichern und die Zukunftsfähigkeit ihrer Marktbeherrschung zu stärken. VW, BMW und Daimler, 2009 noch Platzhirsche, hinken hinterher und versuchen nun mit Hinweis auf die von ihnen ausgequetschten Zulieferer Staatsgelder locker zu machen für die so genannte digitale Transformation. Die nichtmonopolistischen Kapitalisten spielen im Kampf um die staatlichen Milliarden nur die Rolle von Bündnispartnern. Das liegt auch daran, dass, wie oben erwähnt, die gewerkschaftliche Interessensvertretung der Arbeiterklasse hauptsächlich über die Betriebsräte der Großunternehmen eingebunden und ruhiggestellt werden kann, dank der vorherrschenden Sozialpartnerschaftsideologie.

Bei der Aufteilung der Milliarden zeigt sich, dass die Absicherung der Monopole und da wieder schwerpunktmäßig der Digitalmonopole so weit im Vordergrund standen, dass die systemabsichernde Eindämmung der Arbeitslosigkeit, der Masseninsolvenzen und Massenobdachlosigkeit durchkreuzt wurde.

Dazu einige Fakten: Die ca. 31 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der BRD (stat. Jahrbuch 2019, letzte Zahlen für 2017) arbeiten in etwa vier (3,8) Millionen Betrieben. Von den 31 Millionen sind aber nur 3,6 Millionen in den nur gut 4.000 (4.733) so genannten Großbetrieben des verarbeitenden Gewerbes, das sind die mit mehr als 250 Beschäftigten. Die Rettung dieser Betriebe stand bei den Maßnahmen im Vordergrund. Dort sind auch die Mehrzahl der Kollegen gewerkschaftlich organisiert, v. a. in der IG Metall. Die anderen etwa 7 Millionen in der verarbeitenden Industrie sind in den kleineren Betrieben, inklusive Bau. Etwa 10 Millionen Kolleginnen und Kollegen sind in Handel, Transport und Gastronomie beschäftigt, auch im Wesentlichen in Kleinbetrieben, bei denen ab Herbst Insolvenzwellen erwartet werden. Rund 10 Millionen Haushalte sind bei einem Einkommensverlust von 100 bis 200 Euro im Monat in Gefahr, die Miete bzw. Kreditzinsen für die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können (HB 3.6., S.37).

Wenn mit den Staatsmilliarden die Abwärtsspirale nicht aufgehalten wird, ist ein pessimistisches Szenario anzunehmen mit einem BIP-Einbruch in der BRD von vielleicht 20 Prozent, das hieße dann auch ein Wegbrechen eines großen Teils der produzierenden Industrie mit weiteren Folgen für die anderen Bereiche der Wirtschaft. Das würde Erwerbslosigkeit für weitere Millionen in der Arbeiterklasse bedeuten, noch mehr Millionen ruinierte Kleinbürger, Börsencrash, Eurokrise, Systemkrise und entsprechende Notstandsmaßnahmen. Deutlicher als je seit der deutsche Imperialismus sein Überleben an der Seite des US-Imperialismus 1948 durch die Spaltung Deutschlands sicherte, zeigt sich seine Überlebtheit, seine Angreifbarkeit und dass alle materiellen Voraussetzungen geschaffen sind, um dieses mörderische System zu überwinden. Das ist den Herrschenden durchaus bewusst, wie in den bekanntgewordenen Strategiepapieren aus Regierung und Kapital deutlich wird.

Die Perspektive der Herrschenden ist vorläufig noch klar auf Einbindung der Arbeiterklasse durch die Ideologie der Sozialpartnerschaft gerichtet, während der Repressionsapparat auch im Bereich der Ideologie ausgebaut wird. Dimitroff bringt es in seiner Rede auf dem VII. Weltkongress der KI auf den Punkt, wenn er sagt, dass die Arbeiterklasse durch die Politik der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie, die von den Führern der Sozialdemokratie betrieben wird, gespalten und gegenüber der angreifenden Bourgeoisie politisch und organisatorisch entwaffnet wird. (VII WK, Verlag M.Bl. 1971, S. 81). Er weist uns aber auch darauf hin, in der Krise auf die Differenzierung innerhalb aller sozialdemokratischen Parteien zu achten, in denen sich neben dem Lager der reaktionären Elemente das Lager derer herausbildet, vor allem in den Gewerkschaften, die Zweifel an der Richtigkeit der Politik der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie hegen und damit die Voraussetzung für die Aktionseinheit schaffen, der mächtigen Waffe zu unserer Verteidigung.

Um in dieser Situation die Bedeutung der Verankerung der Kommunisten in der Gewerkschaft, um die Bedeutung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse zu begreifen, muss man Lenins „linken Radikalismus“ und Dimitroffs Rede auf dem VII. Weltkongress nicht unbedingt studiert haben. Es wird aber helfen.

Stephan Müller mit AG Krise der KAZ-Fraktion Ausrichtung Kommunismus, auf Grundlage des Artikels „Das Virus heißt Corona, die Krise Imperialismus“ in der KAZ 372, leicht gekürzt abgedruckt in UZ. 34/35.

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