Das 49-Euro-Ticket ist eine gewollte Totgeburt

Zum Abgewöhnen

Mitte des vergangenen Jahres gab es das 9-Euro-Ticket. Es war wohl eher aus Versehen eingeführt worden; ein Zufallsprodukt. Trotz vieler problematischer Aspekte – so waren die Bahnbeschäftigten und ihre Gewerkschaften nicht einbezogen worden; der Fahrgästeansturm erwies sich für sie als enorme Belastung – gab es einen erstaunlichen Erfolg: 50 Millionen Tickets wurden im 3-Monats-Zeitraum verkauft. Es gab auch einen kleinen Verlagerungseffekt von der Straße zur Schiene. Das 9-Euro-Ticket hatte vor allem eine enorm positive soziale und interessante verkehrspolitische Wirkung: Millionen Menschen unternahmen Reisen, die sie sich sonst kaum hätten leisten können. Dabei entdeckten Hunderttausende erstmals die Bahn. Millionen Menschen bekamen Appetit auf mehr. Das war eine ideale Ausgangsbasis, um auf diesem für die Verkehrswende entscheidenden Gebiet einen großen Schritt nach vorn zu machen.

Was sich danach unter dem offiziellen Stichwort „Nachfolge-Ticket“ ereignete, war auf sieben Ebenen ein Desaster. Erstens: Die Einführung des neuen Tickets wurde systematisch hinausgezögert, sodass es jetzt erst volle acht Monate nach Auslaufen des 9-Euro-Tickets eingeführt wird. Von „Nachfolge“ kann da keine Rede mehr sein. Zweitens: Das Ticket hat sich im Preis verfünffacht. Auch hier erübrigt sich der Begriff „Nachfolge“. Bereits jetzt sind Preiserhöhungen vorgesehen. Es gab Untersuchungen, die besagten, dass 29 Euro ein idealer Preis sein könnten.

Drittens: Das Ticket soll es nach aktuellem Stand nur elektronisch geben. Damit wird bewusst eine zusätzliche Hürde errichtet. Grundsätzlich gilt: Ein Leben ohne Smartphone muss möglich sein. Der Mensch ist ein soziales Wesen – kein digitales. Viertens: Das Ticket ist nicht so konzipiert, dass damit endlich mit dem Tarifwirrwarr im ÖPNV aufgeräumt werden würde. Wäre das der Fall, müssten rund 20.000 unnütze Jobs im Ticketing-Verwaltungsbereich abgeschafft werden – und das gesamte System der weitgehend privatisierten Nahverkehre würde ad absurdum geführt. Das galt es zu verhindern. Fünftens: Es gibt, anders als zum Beispiel mit den Mobilitätskarten in Österreich, kein ergänzendes Ticket für den Fernverkehr. Hier bleibt es bei den extrem überteuerten Bahncards und Flexpreisen. Damit wird es Verlagerungen vom Schienen-Personenfernverkehr in den Nah- und Regionalverkehr geben, was dort zu enormen Belastungen von Material und Personal führen dürfte.

Sechstens: Es gibt keinerlei Vorbereitungen auf das neue Ticket. Die Ko-Finanzierung durch den Bund ist völlig unzureichend. Ein Ausbau der Angebote im ÖPNV und im Schienenpersonennahverkehr ist nicht nur nicht vorgesehen. Es findet das Gegenteil statt: ein weiterer Abbau von ÖPNV-Angeboten aufgrund der Finanznot der Kommunen und Länder – auch als Resultat der selbst verschuldeten Energiepreisexplosion. Und schon gar nicht ist geplant, die Personale in diesen Bereichen aufzustocken, was jedoch dringend notwendig wäre. Siebtens: Es gibt keine begleitenden Maßnahmen zur Begrenzung des Straßenverkehrs und des Luftverkehrs. Die massive Subventionierung in diesen Bereichen bleibt bestehen. Die dringend erforderlichen Tempolimits von 30, 80 und 120 Stundenkilometern kommen nicht zustande.

Zynisch kann man sagen: Nach drei CSU-Verkehrsministern, die massiv die Straße förderten, war klar, dass ein FDP-Verkehrsministerin diese Politik nochmals steigern dürfte. Entsprechend musste der völlig unbeabsichtigte Teilerfolg des 9-Euro-Tickets vergessen gemacht werden. Passend fordert Herr Wissing, der Straßenbau müsse fortgesetzt und sogar beschleunigt werden.

Der Autor ist einer der Sprecher von Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene

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"Zum Abgewöhnen", UZ vom 3. März 2023



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