Einen Tag vor dem 81. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, dem bis zum Kriegsende 27 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, spricht der Historiker und SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in seiner „Grundsatzrede zur Zeitenwende“ in Berlin von knapp 80 Jahren deutscher „Zurückhaltung“, nach denen Deutschland in der internationalen Politik nun den „Anspruch einer Führungsmacht“ verfolgen solle. Weiter meint er: „Friedenspolitik bedeutet deshalb für mich, auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen.“
Was passiert, wenn Deutschland die Rolle einer „Führungsmacht“ einnimmt, wissen wir aus der deutschen Geschichte. Knapp 80 Jahre deutsche Zurückhaltung? Klingbeil vergisst in seiner Rechnung die Jahre 1942, 1943, 1944, 1945, vergisst die ab März 1942 direkt in die Gaskammern von Auschwitz führenden Züge, die Auslöschung des Ortes Lidice im Juni 1942, den Vernichtungskrieg im Osten, wo allein in Belarus die Bewohner von 628 Dörfern bei lebendigem Leib in ihren Dörfern verbrannt wurden, die unzähligen Massaker der deutschen Wehrmacht und der SS auch in Frankreich, Italien, Jugoslawien, Griechenland und anderen besetzten Ländern.
Es scheint, als soll der „Schlussstrich“ nun von einer rot-grünen Bundesregierung gezogen werden, um die aktuellen Aufrüstungspläne und Führungsmachtansprüche durchzusetzen.
Damit knüpft die Ampel-Regierung direkt an die rot-grüne Koalition an, die Deutschland 1999 mit der Beteiligung am völkerrechtswidrigen NATO-Krieg gegen Jugoslawien wieder zu einem kriegsführenden Land gemacht hat – mit der perfiden Behauptung, dadurch ein „zweites Auschwitz“ zu verhindern.
Außerdem zeugen Klingbeils Ausführungen, Europa solle als erster klimaneutraler Kontinent Vorbild für alle werden, von einer völligen Ignoranz gegenüber globalen Ausbeutungsverhältnissen und kolonialen Hintergründen.
Die Überlebenden von Nazi-Terror, Vernichtungskrieg und Völkermord haben aus der Tatsache, dass sie nur überleben konnten, weil der deutsche Faschismus mit militärischer Gewalt besiegt wurde, nicht den Schluss gezogen, Friedenspolitik bedeute auch in Zukunft „militärische Gewalt als legitimes Mittel der Politik zu sehen.“ Sie haben sich eingesetzt für eine starke internationale Gemeinschaft, die mit Verhandlungen und Verträgen den Frieden sichert. Ihnen bleiben wir verpflichtet.
Dieser „Zeitenwende“ und der damit verbundenen Aufrüstung und Militarisierung von Politik und Gesellschaft setzen wir unseren entschiedenen Widerstand entgegen.