Zulauf bei Streiks

Lucas Zeise im Gespräch mit Alice Bernard, Partei der Arbeit Belgiens (PTB)

UZ: Du bist in der PTB verantwortlich für Gewerkschaftsfragen und die Betriebsgruppen. Kannst Du uns kurz schildern, welche quantitative Bedeutung die Betriebsgruppen in Eurer Partei haben?

Alice Bernard, 55, wohnt in Seraing (bei Lüttich) und ist seit 2011 in der Abteilung für Betriebsgruppen und Gewerkschaftsfragen der PTB tätig.

Alice Bernard, 55, wohnt in Seraing (bei Lüttich) und ist seit 2011 in der Abteilung für Betriebsgruppen und Gewerkschaftsfragen der PTB tätig.

( Solidaire)

Alice Bernard: Wir sind seit Anfang der 70er Jahre auf die Organisation in den kapitalistischen Betrieben und im Öffentlichen Dienst ausgerichtet. Aber erst in den letzten Jahren war die Partei beim Aufbau starker Betriebsgruppen erfolgreich. Die Zahl der Sektionen in den Betrieben stieg in den letzten fünf Jahren um 150 Prozent. Die Zahl der Parteimitglieder in den Betrieben und im Öffentlichen Dienst ist um 75 Prozent gestiegen. Ungefähr ein Fünftel der Basisgruppen sind Betriebsgruppen.

UZ: Wie werden die Betriebsgruppen zusammengefasst? In erster Linie regional oder nach Branchen? Oder beides?

Alice Bernard: In erster Linie regional. Die Vorsitzenden der Betriebsgruppen kommen monatlich zusammen, um die aktuelle soziale und politische Lage zu diskutieren und unser öffentliches Auftreten vorzubereiten. In Lüttich zum Beispiel sind alle Gruppen seit März mit den Veranstaltungen zum 1. Mai beschäftigt. Wir organisieren auch einmal im Jahr auf nationaler Ebene Branchentreffen, für Mitglieder, die in bestimmten Sektoren arbeiten – Gesundheitswesen, Öffentlicher Nahverkehr usw.

UZ: In welchen Branchen und Betrieben seid Ihr stark?

Alice Bernard: Wir haben Gruppen in verschiedenen großen und sehr großen Betrieben – im Metallsektor, im Öffentlichen Dienst wie Post und Eisenbahn, aber auch in großen Handelsketten, in Schulen, in der städtischen Verwaltung, in den Häfen, in den Krankenhäusern, usw.

UZ: Welche Rolle spielen Sozialdemokraten und christliche Organisationen im Betrieb? Gibt es mit ihnen Zusammenarbeit?

Alice Bernard: In den meisten Betrieben gibt es sozialdemokratische und christliche Gewerkschaften. Wir unterstützen Gewerkschafter und ihre Gewerkschaften, die mit ihren Vorstellungen und Aktionen offensive Forderungen außerhalb des engen Rahmens der Marktgesetze vertreten. Wir unterstützen eine breite Vision und einen partizipativen Ansatz der Gewerkschaftsarbeit.

Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Gewerkschaftern, die jederzeit ihren Arbeitsplatz verlassen können, um gewerkschaftliche Arbeit zu machen. Die Vorgesetzten haben zahlreiche Mittel, dieses Recht zu begrenzen oder es außer Kraft zu setzen: Erpressung und Bedrohung bzw. „Bestrafung“, indem ihre Arbeit von Kollegen gemacht werden muss, während die Gewerkschafter unterwegs sind. Jede soziale Aktion erfordert die Bildung einer gewerkschaftlichen Gegenmacht im Unternehmen.

UZ: Arbeitet Ihr viel mit Betriebszeitungen? Wer stellt sie her, wer verteilt sie?

Alice Bernard: Wir haben seit diesem Jahr wieder Betriebs- oder Branchenzeitungen. Sie werden von den Mitgliedern hergestellt. Jemand aus der Gruppe sammelt die Artikel bei den Mitgliedern und legt sie der Gruppe vor. Die Zeitung wird dann von Mitgliedern der Stadtteilgruppen an den Betriebstoren verteilt.

UZ: Wie gewinnt Ihr neue Genossinnen und Genossen im Betrieb? Was macht Ihr mit neuen Genossen? Gibt es Schulungen?

Alice Bernard: Die Mitglieder diskutieren mit Kollegen und gewinnen so neue Mitglieder. Es kommen auch neue Mitglieder über das Internet. Und wenn es Streiks oder Demos gibt, gewinnen die Genossen neue Mitglieder.

Die Genossen kommen monatlich zu gemeinsamen Projekten zusammen. Zum Beispiel kulturelle Stadtführungen, Ausstellungsbesuche oder ein Abend im Kino, die Planung der nächsten Ausgabe der Betriebszeitung, die Organisation eines Debattenabends über eine aktuelle Frage, die gemeinsame Herstellung von Plakaten oder Transparenten für eine Demo oder das Sammeln von Unterschriften im Kollegenkreis gegen die Fernsehsteuer oder für die Millionärssteuer.

In der Partei hat jeder ein Recht auf Fort- und Ausbildung. Schulungen sind ein wichtiger Teil der Bewusstseinsbildung und der emanzipatorischen Politik. Die marxistische Bildung ist Teil des Rückgrats der Partei und sie ist umso wichtiger, da wir nun eine schnell wachsende Partei sind.

UZ: Greifen Eure Betriebsgruppen direkt in die Auseinandersetzung um Löhne und Arbeitsbedingungen ein? Spielen sie eine Rolle bei allgemeinpolitischen Fragen auf nationaler oder regionaler Ebene?

Alice Bernard: An erster Stelle haben wir jetzt zahlreichere Analysen und Studien für die Werktätigen. Wir haben durch Studien über die Steuern – wir erstellen jedes Jahr eine Liste von Betrieben, die keine oder sehr wenig Steuer bezahlen –, über die Renten, über das Gesundheitssystem sowie über die Preissteigerungen im Energiesektor an Autorität gewonnen. Unsere Unterstützung der Werktätigen in ihrem Widerstand hat dazu geführt, dass wir wissenschaftliche Analysen über das Lohnniveau, den Index, der die Lohnentwicklung an die Preissteigerungen koppelt, die Mehrwertsteuer, die Schließung von ArcelorMittal und von Ford Genk angefertigt haben. Während des Wahlkampfes 2014 haben wir mehr als 5 000 Fragebögen in den Unternehmen ausfüllen lassen. In fast allen Gruppen haben die Mitglieder politische Diskussionen mit ihren Kollegen angestoßen. Während des sozialen Kampfes gegen die rechte Regierung haben unsere Betriebsgruppen ihre Arbeitskollegen über die antisozialen Maßnahmen informiert.

UZ: Wo seht Ihr die größten Defizite in Eurer Arbeit? Was habt Ihr Euch für die unmittelbare Zukunft vorgenommen? Wo ist aktuell der Schwerpunkt Eurer Arbeit?

Alice Bernard: Wir sind noch weit davon entfernt, in den Unternehmen die entscheidenden Beiträge zur Entwicklung des sozialen Kampfes zu liefern.Wir müssen mehr Aufmerksamkeit und Kraft für den Aufbau von stabilen Betriebsgruppen in der verarbeitenden Industrie und den Schlüsselsektoren aufbringen, den Arbeitern mehr Material bereitstellen und Kreativität für neue Initiativen in den Sektionen entwickeln. Wir müssen mehr und mehr junge Parteimitglieder in den Betrieben einsetzen, vorzugsweise Arbeiter und Arbeiterinnen, um unsere Basisgruppen zu leiten. Das sind unsere prinzipiellen Herausforderungen für die kommenden Jahre.

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"Zulauf bei Streiks", UZ vom 28. April 2017



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