Zukleistern hilft nicht

„Europa lässt sich nicht spalten”: Als Appell mochte ja vielleicht noch durchgehen, was Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck da vergangene Woche anlässlich der Einigung der EU auf ihren neuen Erdgas-Sparplan äußerte.

Joerg Kronauer - Zukleistern hilft nicht - - Die letzte Seite

Ein solcher Appell wäre aus Habecks Perspektive auch nachvollziehbar, denn tun sich größere Risse in der Union auf, dann sinken ihre Chancen, sich in ihrem erbitterten Machtkampf gegen Russland zu behaupten. Habeck formulierte sein „Europa lässt sich nicht spalten“ aber als eine einfache Tatsachenbehauptung, und als solche ist sie falsch.

Risse in der EU gab es im Ukraine-Krieg von Anfang an. Da waren die Differenzen etwa zwischen Deutschland auf der einen, den baltischen Staaten und Polen auf der anderen Seite, die – die USA im Rücken – stets eine schwerere Aufrüstung der Ukraine und härtere Sanktionen gegen Russland forderten als die Bundesrepublik. Sollte es in der Frage, wie man gegen Moskau vorgeht, einmal nicht mehr nur quantitative, sondern qualitative Differenzen geben, droht hier durchaus ein ernster Bruch.

Dann war da zudem Ungarn, das bei den Sanktionen bremste; Ministerpräsident Viktor Orbán fordert inzwischen offen, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln. Konnte man Ungarns Einspruch noch als irrelevantes Gemeckere eines kleinen, außerdem ultrarechts regierten Mitgliedslandes abtun, so wird das inzwischen schwieriger: In der Frage, ob die Ukraine weiterhin hemmungslos aufgerüstet werden soll, gibt es mittlerweile Widerstand nicht mehr nur aus Ungarn, sondern auch aus Italien.

Weitere Risse zeichnen sich nun mit Blick auf den Erdgas-Sparplan ab. Was, wenn kein russisches Erdgas mehr fließen sollte? Spanien und Portugal hätten, ist man ehrlich, damit kein großes Problem: Sie erhalten ihr Gas – it’s the geography, stupid – ohnehin nicht aus Russland, sondern zum Teil per Pipeline aus Nordafrika, ansonsten in Form von Flüssiggas. Sollen sie sich nun harten Sparvorgaben – im Klartext: krassem Erdgasmangel – aussetzen, wenn womöglich bald Deutschland, das ihnen einst in der Eurokrise ohne Skrupel brutale Spardiktate aufzwang, darbt?

Ungarn wiederum will seine Erdgaskäufe in Russland sogar noch erhöhen. Was, wenn Moskau Budapest weiter beliefert, über TurkStream, während Berlin das Gas ausgeht? Heftiger Konflikt ist da programmiert.

Auch zwischen Frankreich und Deutschland laufen die Dinge nicht so rund, wie beide es glauben machen wollen. Paris hat – scheinbar generös – angeboten, der Bundesrepublik Gas zu liefern, keine immensen Mengen, aber immerhin. Nur: Das geht unter den aktuellen Bedingungen, im Winter aber wohl nicht mehr. Umgekehrt liefert Deutschland Frankreich zurzeit Strom, weil Paris Probleme mit seinen Atommeilern hat. Wird das noch geschehen, falls es auch in der Bundesrepublik mit dem Strom eng wird? Wer die Anfangsphase der Covid-19-Pandemie noch in Erinnerung hat, mag das bezweifeln: Damals zog Berlin – die Ausbreitung des Virus über die Grenze befürchtend – in Windeseile die Grenze hoch, sehr zum Verdruss der Bevölkerung im Nachbarland. Natürlich schworen hinterher alle, es nie wieder zu solchen Auseinandersetzungen kommen zu lassen. Wenn es allerdings an Energie fehlt, dann werden die Kosten, der materielle Druck, schnell immens.

Dass die EU ihren Erdgas-Sparplan nicht, wie ursprünglich geplant, als rechtlich verbindliches Instrument, sondern nur als mehr oder weniger unverbindliche Handreichung verabschieden konnte, das zeigt: Die Risse sind längst vorhanden. Es wäre ein Wunder, würden sie nicht, sobald der Druck zunimmt, sobald die Krise härter wird, größer und tiefer. Dass sich aus diesen Rissen künftig keine Spaltung ergeben könnte, das ist Unsinn – in Habecks Fall ist es reines Wunschdenken. Und es lässt ahnen: Umfassende Wirtschaftskriege sind ebenso wenig „gut und leicht zu gewinnen“ wie einfache Handelskriege, von denen das ein gewisser Donald Trump einst annahm – irrtümlich, wie man heute weiß.

Der Aufmarsch – Geschichte und Hintergründe des Ukraine-Konflikts
mit Jörg Kronauer, Siegen, 30. 8., 19 Uhr, Siegerlandhalle
Veranstaltung des Aktionsbündnisses Friedensbewegung Siegerland

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.



UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
Unsere Zeit