Der russische Erdölkonzern Rosneft baut seine Aktivitäten in der Bundesrepublik aus und mindert damit Deutschlands Abhängigkeit von der transatlantischen Ölindustrie. Während die Öffentlichkeit über den geplanten Rosneft-Aufsichtsratsvorsitz von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) diskutiert, hat das Unternehmen seinen Anteil an der deutschen Öleinfuhr auf 25 Prozent ausgeweitet, ist zur Nummer drei in der deutschen Mineralölverarbeitung aufgestiegen und bereitet eine weitere Stärkung seiner Stellung in der Bundesrepublik vor. Vorbild ist die überaus enge deutsch-russische Erdgaskooperation, die Berlin maßgeblichen Einfluss auf die Versorgung Westeuropas mit russischem Gas verschafft. Dominanter Einfluss auf die Versorgung der EU bei gleichzeitig wachsender Eigenständigkeit gegenüber den Energieriesen der transatlantischen Ära gilt als günstig für die von Berlin angestrebte eigenständige deutsch-europäische Weltpolitik.
Russlands mächtigster Ölkonzern
Rosneft, 1993 gegründet, hat in der ersten Amtszeit von Präsident Wladimir Putin eine neue, stets wachsende Bedeutung erhalten. Machten in den 1990er Jahren in der russischen Ölbranche vor allem einzelne schwerreiche Oligarchen das große Geschäft, so hat der Staatskonzern Rosneft sich seit den 2000er Jahren immer größere Anteile am russischen Erdölmarkt angeeignet; zum Beispiel konnte er den zerschlagenen Yukos-Konzern des Oligarchen Michail Chodorkowski übernehmen. 2012 kaufte er das russisch-britische Joint Venture TNK-BP; seitdem hält BP einen Anteil von 19,75 Prozent an Rosneft, dem inzwischen mächtigsten Erdölkonzern Russlands, der heute zu den größten Öl- und Gasunternehmen der Welt gehört. Unter seinem Chef Igor Setschin, der Präsident Putin nahesteht, treibt der Konzern seine Internationalisierung voran. Der Versuch, die Zusammenarbeit mit ExxonMobil und dessen damaligem Vorsitzenden Rex Tillerson auszubauen, scheiterte zwar an den US-Russlandsanktionen. Im Dezember 2016 hat Rosneft aber 19,5 Prozent seiner Anteile an ein Joint Venture aus dem Schweizer Rohstoffhändler Glencore und der Qatar Investment Authority (QIA), dem Staatsfonds des Emirats, verkauft. Zudem wird über einen Einstieg von CEFC China Energy verhandelt. Entsprechend multinational ist der Aufsichtsrat des Konzerns besetzt: Ihm gehören etwa BP-Chef Robert Dudley sowie Vertreter von ExxonMobil, Glencore und der QIA an.
Globale Expansion
Rosneft ist aktuell mit Nachdruck dabei, seine Geschäfte im Ausland auszuweiten. Am 2. Juni hat der Konzern eine neue Vereinbarung mit BP zur strategischen Kooperation in der Erdgasbranche beschlossen. Bereits im Mai hat er sich auf ein Kooperationsabkommen mit der italienischen ENI geeinigt. Seit einigen Tagen ist die Übernahme der indischen Essar Group für 12,9 Milliarden US-Dollar unter Dach und Fach; es soll sich um die bislang größte ausländische Direktinvestition in Indien handeln. Rosneft ist in Ägypten in die Förderung eines Offshore-Erdgasfeldes eingestiegen und hat im Februar eine Kooperationsvereinbarung mit der libyschen National Oil Corporation (NOC) getroffen. Ebenfalls im Februar konnte die Firma erste Förder- und Liefervereinbarungen mit der kurdischen Regionalregierung im irakischen Erbil schließen. Deren Ministerpräsident Nechirvan Barzani hatte vor Jahren Gespräche in Berlin über einen möglichen Einstieg deutscher Konzerne in die irakisch-kurdische Ölförderung geführt, die aber zu keinem Ergebnis kamen. Nun liefert Rosneft Öl aus der irakisch-kurdischen Autonomieregion in die Bundesrepublik.
Aufstieg in Deutschland
Bei alledem ist für Rosneft die Zusammenarbeit mit Deutschland von erheblicher Bedeutung. Der Konzern hat seine Geschäfte in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren intensiviert und stellt inzwischen gut ein Viertel der gesamten deutschen Rohöleinfuhr. Zudem ist er an drei der zwölf großen deutschen Raffinerien beteiligt: Er hält 54 Prozent an der Raffinerie PCK in Schwedt, 25 Prozent an Bayernoil (Neustadt an der Donau) und 24 Prozent an Miro (Karlsruhe), der zweitgrößten deutschen Raffinerie. Mit über zwölf Prozent der deutschen Verarbeitungskapazitäten ist Rosneft bereits die Nummer drei in der Mineralölverarbeitung der Bundesrepublik. Am 18. Mai hat die Firma in Berlin ihre deutsche Niederlassung eröffnet, um ihre Aktivitäten noch effizienter ausbauen zu können. Chef der Rosneft Deutschland GmbH ist der Brite Brian Chesterman.
Einstieg ins Tankstellengeschäft
Geht alles nach Plan, dann wird Rosneft in den kommenden Jahren 600 Millionen Euro in der Bundesrepublik investieren. So soll die 1963 in Betrieb genommene Druschba-Pipeline verlängert werden, um in Zukunft nicht nur PCK in Schwedt, sondern auch Bayernoil und Miro mit russischem Erdöl zu beliefern. Beide werden seit den 1960er Jahren über die transalpine Pipeline mit Rohöl unter anderem aus Nordafrika versorgt; es könnte nun durch russisches Öl ersetzt werden. Darüber hinaus prüft Rosneft den Einstieg in das deutsche Tankstellennetz. Im Gespräch ist unter anderem, einen Teil des Netzes zu übernehmen, das die französische Total in Deutschland unterhält. Es wird bereits jetzt von Rosneft beliefert. Mit einer Stärkung der Stellung des Konzerns in der Bundesrepublik nähme zugleich die Bedeutung der deutsch-russischen Erdölkooperation weiter zu.
Verteilzentrum für die EU
Damit verläuft die Entwicklung auf dem Erdölsektor parallel zu derjenigen in der Erdgasbranche. Bei der Versorgung Westeuropas mit Erdgas sichert sich die Bundesrepublik mit den beiden Röhren der Nord-Stream-Pipeline und der aktuell geplanten Erweiterung um zwei Stränge im Rahmen von Nord Stream II eine dominante Stellung bei der Verteilung russischen Gases im Westen der EU; die Nord-Stream-II-Pipeline ist zwar noch erbittert umkämpft, wird aber von der Bundesregierung entschlossen verteidigt. Auf operativer Ebene hat Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder die Realisierung beider Nord-Stream-Projekte stets mit aller Kraft gefördert. Parallel haben deutsche Energiekonzerne direkten Zugriff auf russische Erdgasquellen erhalten – ein altes Ziel der deutschen Energiewirtschaft.
Eigenständige Weltpolitik
Gelänge es nun, die deutsch-russische Kooperation auch beim Erdöl zu intensivieren, dann könnte das den Einfluss der transatlantischen Erdölkonzerne auf die Energieversorgung Deutschlands schwächen – ganz im Sinne einer eigenständigen deutsch-europäischen Weltpolitik. Ein eventueller Rosneft-Aufsichtsratschef Schröder würde auf dem Ölsektor dazu genauso beitragen wie zuvor in der Erdgasbranche.