Deutsches Kapital fürchtet Schwächeanfälle

Zugbrücke hoch!

Seit gut hundert Jahren wissen wir dank der Imperialismus-Studien von Wladimir Iljitsch Lenin, was die Phase des Kapitalismus, in der wir immer noch leben, gegenüber der vorhergehenden Phase bis zum Weltkrieg kennzeichnet: „Für den alten Kapitalismus, mit der vollen Herrschaft der freien Konkurrenz, war der Export von Waren kennzeichnend. Für den neuesten Kapitalismus, mit der Herrschaft der Monopole, ist der Export von Kapital kennzeichnend geworden.“

Der deutsche Imperialismus verdankt seine starke Stellung zwar auch seiner Fähigkeit zum massenhaften Export von Waren etwa im Maschinenbau, aber mehr noch der in Jahrzehnten gewachsenen Möglichkeit des Erwerbs von Kapitalanteilen an ausländischen Firmen – von Pharmazieunternehmen bis zur Beteiligung etwa der Lufthansa an der Swissair, der Austrian Airlines und anderen.

Wie klar den herrschenden Kreisen der Ernst der Lage am Beginn des sich jetzt entfaltenden Krisenschubs ist, machen zwei jüngste Ereignisse klar. Am 20. Mai meldete das „Handelsblatt“, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wolle die Übernahmen deutscher Firmen im Gesundheitssektor erschweren: „Dabei geht es um Unternehmen, die Impfstoffe, Arzneimittel oder Corona-Schutzausrüstung entwickeln oder herstellen. Um bei geplanten Erwerben durch Investoren außerhalb der EU genauer hinschauen zu können, soll die Außenwirtschaftsordnung verschärft werden.“ Eingeführt werden solle eine Meldepflicht bei Beteiligungen von über 10 Prozent – als vorbeugende Abwehr gegen Impfstoff- oder gar Plastikkittelproduzenten aus den USA oder China.

Zweites Beispiel ist die Lufthansa, die in der gegenwärtigen Krise einen Absturz ihrer täglichen Passagierzahlen von 350.000 auf 3.000 zu verkraften hat. Nahezu unterschriftsreif ist ein Rettungspaket von 9 Milliarden Euro. Ähnlich wie andere von Insolvenz bedrohte Unternehmen wehrt sich auch die Airline mit Händen und Füßen gegen einen zu starken Einfluss des Staates und damit den Hauch einer Möglichkeit des Volkes, über die von ihm gewählten Vertretungen beispielsweise auf Arbeitsabbaupläne oder soziale Besitzstände Einfluss nehmen zu können. Also darf es nach Ansicht dieser Kreise keine Sperrminorität von 25 Prozent plus einer Aktie am deutschen Prestigeflieger geben. Die gegenwärtigen Pläne laufen auf 20 Prozent und die Möglichkeit der Aufstockung in besonderen Fällen hinaus, deren Begründung die „Frankfurter Allgemeine“ am 22. Mai so benennt: „Weiteres Geld soll der Konzern über eine Wandelanleihe bekommen, die in Aktien getauscht werden und dem Bund später eine Sperrminorität verschaffen könnte. Dazu soll es aber nur kommen, sofern eine feindliche Übernahme von Lufthansa abgewehrt werden müsste.“

Gegen die Pharmaziepläne von Altmaier gab es Widerstand vom Industrieverband BDI. Das greift eine Auseinandersetzung des letzten Jahres auf (siehe UZ vom 17. 5. 2019). Damals hatte der Wirtschaftsminister mit seinen Plänen, im Rahmen einer „Nationalen Industriestrategie“ die BRD-Wirtschaft gegenüber den USA und China stärker zu verbunkern, heftigen Gegenwind geerntet. Nicht zu Unrecht fürchteten die damals noch sieggewohnten Exportmonopole, dass eine solche Abwehrstrategie ihnen das Geschäft des eigenen Waren- und vor allem Kapitalexports erschweren könnte.

Diese Gegenwehr ist nun deutlich schwächer. Offensichtlich schwant der herrschenden Klasse, dass Deutsch-Europa aus dieser Krise nicht gestärkt, sondern geschwächt hervorgehen könnte, und zieht vorsorglich schon mal die Zugbrücken hoch.

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"Zugbrücke hoch!", UZ vom 29. Mai 2020



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