Die Bürokratenseele, der das Mietshaus gehört, marschiert im Stechschritt auf die Bühne, den Aktenordner unterm Arm. Der Aktenordner fordert von Emmi (Ruth Reinecke), ihren scheinbaren Untermieter und wirklichen Freund und zukünftigen Mann Ali (Taner Sahintürk) aus der Wohnung zu werfen.
In „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder bringt Regisseur Hakan Savas Mican den alltäglichen Rassismus auf die Bühne des Gorki-Theaters. Die geilen Blicke von Emmis Putzfrauen-Kolleginnen verfolgen deren Beziehung zu Ali, dem zwanzig Jahre jüngeren Marokkaner. Die Front der Putzfrauen präsentiert den Besen. Als Emmis Nachbarn und Kolleginnen „Zwei kleine Italiener“ grölen, klingen sie brutal genug, um sich gleich selbst auf den Weg zum Flüchtlingsheim zu machen.
Das Gruseln hält bis zum nächsten Kalauer. Fassbinders Filmvorlage erzählt die tragische Geschichte zweier einsamer Menschen, die sich finden, an eigenen und fremden Vorurteilen zu scheitern, sich wiederfinden und an den Lebensbedingungen einer Putzfrau und eines Gastarbeiters in der Bundesrepublik der 70er Jahre scheitern werden. Mican übernimmt weitgehend Fassbinders Text, aber er erzählt eine Komödie mit Happy End.
Am Ende des Films bricht die Tragik als Alis Magengeschwür auf, das an den Arbeitsbedingungen und Alis Konflikten gewachsen ist. Am Ende des Theaterstücks stopft Ali sich Orangen in den Mund, schreibt „E+A“ an die Wand und gewinnt Emmi zurück, indem er ihr sagt: „Ich habe dir ein Bild gemalt.“
Das ist lustig, wie vieles an diesem Abend. Die Schauspieler bringen auch Daniel Kahn zum Lachen, der am Klavier sitzt, die Musikbox aus der Filmvorlage spielt und die Handlung live illustriert. Die vielen Scherze lenken nicht völlig davon ab, wie Ruth Reineckes Emmi von der verlegenen älteren Frau zum händeklatschend kichernden Mädchen zur stolzen Frischverheirateten wird, die ihren neugewonnenen, endlos langen Doppelnamen mit einem triumphierenden Zeigefinger aufspießt.
Regisseur Mican verleiht dem Rassismus als Attribute den Stechschritt, den Hitlergruß und den Judenwitz. Das spart sich Fassbinders Original. Dadurch erscheint bei Mican der heutige Rassismus als reines Überbleibsel böser Zeiten, als hätte er keine Ursachen im Heute.
Diese Ursachen deutet der Text auch in Micans Inszenierung an, wenn er von ungleichen Löhnen für die gleiche Arbeit spricht, je nachdem, ob sie von Einheimischen oder Migranten gemacht wird. „Das kann keiner, ohne die anderen leben“, heißt es im Stück. Wenn aber der letzte Satz am von Mican gestalteten Schluss ist: „Zusammen sind wir stark!“, dann zeigt er dem Zuschauer nur das „Zusammen“ zweier Menschen, die sich trotz allem vertrauen und die feindliche Umgebung ausblenden.
Das Fazit der Inszenierung: Wenn wir uns nur genug lieben, wird es so schlimm schon nicht werden.