Zu Euphorie besteht kein Anlass

Markus Bernhardt im Gespräch mit Dietmar Pellmann, Die Linke Leipzig

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( Public domain)

UZ: Rentenpolitik ist in den letzten Tagen wieder zu einem Hauptthema in den Medien geworden. Der DGB hat zahlreiche Aktionen angekündigt, um der Bundesregierung Druck zu machen. Auch die Leipziger Linkspartei hat unter dem Motto „Die Rente geht uns alle an“ mit einer eigenen Kampagne, die sich über mehrere Monate erstrecken soll, begonnen. Weshalb diese Kampagne zum jetzigen Zeitpunkt?

Dr. Dietmar Pellmann (65) ist Mitglied des Stadtvorstandes der Partei „Die Linke“ in Leipzig. Er gehörte als ausgewiesener Sozialpolitiker fast 20 Jahre dem Leipziger Stadtrat und  15 Jahre dem Sächsischen Landtag an

Dr. Dietmar Pellmann (65) ist Mitglied des Stadtvorstandes der Partei „Die Linke“ in Leipzig. Er gehörte als ausgewiesener Sozialpolitiker fast 20 Jahre dem Leipziger Stadtrat und 15 Jahre dem Sächsischen Landtag an

Dietmar Pellmann: Wir haben festgestellt, dass hinsichtlich der bestehenden und zu erwartenden Rentenregelungen bei allen Generationen große Verunsicherung herrscht, die freilich von den Regierenden bewusst geschürt wird. Jung und Alt werden nach dem alten Prinzip „Teile und herrsche“ gegeneinander ausgespielt. So werden vergiftete Beruhigungspillen verteilt und der Focus bewusst auf Nebenschauplätze gelenkt, um ja nicht die Axt an die Wurzel eines insgesamt reformbedürftigen Rentensystems anlegen zu müssen.

UZ: Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer rentenpolitischen Kampagne?

Dietmar Pellmann: Wir wenden uns bewusst an alle Generationen, nicht einmal in erster Linie an die Bestandsrentner. Denn was wir heute gemeinsam erkämpfen, kommt später auch denen zu Gute, für die heute das Rentenalter noch weit weg ist. Dabei möchten wir aufklären und zur Aufhellung der oft komplizierten Sachverhalte beitragen. Deshalb haben wir sieben thematische Flugblätter in einer Reihe „Rentenpolitik aktuell“ erarbeitet, die gern auch von Interessenten in anderen Regionen genutzt werden können. Uns geht es dabei darum, die wirklichen rentenpolitischen Druckpunkte anzusprechen und Forderungen zu formulieren, die selbst in dieser Gesellschaft mehrheitsfähig sein könnten. Im Gegensatz zu konservativen und neoliberalen Vorstellungen nach einer Umstellung auf das Kapitaldeckungsprinzip treten wir für die Verteidigung der gesetzlichen Rente nach dem Umlageverfahren ein, weil wir verhindern wollen, dass Rentenbeiträge zur Profitmaximierung von Versicherungs- und Bankenkonzernen werden. Wir fordern den schrittweisen Übergang zu einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle, also auch Selbstständige, Beamte und Politiker, einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens einzahlen, wobei im Sinne der Solidarität die späteren Rentenansprüche bei einer bestimmten Höhe gedeckelt sind. Natürlich treten wir für die Rücknahme des gesetzlichen Renteneintrittsalters mit 67 ein, das ja durch neue Teilregelungen nicht außer Kraft gesetzt ist. Eine Wohlstand sichernde Rente ist nicht nur anzustreben, sondern sie ist auch möglich, was freilich zumindest die Widerherstellung des Rentenniveaus bei 53 Prozent des letzten Nettoverdienstes, wie zu Zeiten der Kohl-Regierung, verlangt. Inzwischen ist das Rentenniveau bereits auf ca. 48 Prozent gefallen und soll bis 2029 bis auf 43 Prozent sinken, was nichts anderes als das offene Tor zur Altersarmut als Massen­erscheinung wäre. Deshalb sollte die gesetzliche Rentenversicherung aus den gegenwärtigen Einnahmeüberschüssen eine Nachhaltigkeitsreserve bilden, um später darauf zurückgreifen zu können. Schließlich muss nun endlich die Rentenmauer, die Ost und West nach wie vor trennt, eingerissen werden. Das ist keineswegs nur ein berechtigtes Anliegen der Ostdeutschen, sondern gebietet nicht zuletzt die Forderung des Grundgesetzes nach Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland.

UZ: Welche Rolle spielt im Rahmen Ihrer Kampagne die Flexi-Rente, über die die Bundesregierung in dieser Woche entschieden hat und die noch in diesem Monat im Bundestag behandelt werden soll?

Dietmar Pellmann: Natürlich werden wir auch darauf eingehen. Aber zu Euphorie im Interesse der künftigen Rentnerinnen und Rentner besteht kein Anlass. Angeblich soll der Übergang in die Altersrente erleichtert und finanziell versüßt werden. Wenn man weiß, dass die so genannte Flexi-Rente insbesondere von CDU/CSU und einflussreichen Wirtschafskreisen sozusagen als Gegenstück zur Rente mit 63 eingefordert wurde, sollte man hellhörig werden. Natürlich sind auch wir für bessere Möglichkeiten, ab dem 60. Lebensjahr teilweise oder ganz ohne die berüchtigten dauerhaften Strafabschläge in Altersrente gehen zu können. Denn unser Leben ist viel zu kurz, als das wir es bis zum Umfallen in den Zwängen der Erwerbsarbeit zubringen sollten. Aber genau das ist nicht beabsichtigt. Vielmehr soll damit die Verlängerung der Lebensarbeitszeit befördert werden. Das spielt genau denen in die Hände, die die Altersgrenze am liebsten ganz aufheben würden, aber auf jeden Fall schon heute für die Rente mit 70 sind.

UZ: Gibt es bei aller Unvollkommenheit dieser Flexi-Rente nicht ohnehin Gerechtigkeitslücken, die die Bundesregierung offenbar bewusst in Kauf nimmt?

Dietmar Pellmann: Zumindest drei sind schon auf den ersten Blick erkennbar: Zum ersten betrifft das die Erwerbsminderungsrentner. Sie gehen im Durchschnitt mit 51,6 Jahren in Rente und müssen bis zum Lebensende dauerhafte Abschläge in Kauf nehmen. Zum zweiten werden Hartz-IV-Betroffene mit Vollendung des 63 Lebensjahres mit dauerhaften Abschlägen in Zwangsrente geschickt; bis zum gegenwärtig geltenden gesetzlichen Renteneintrittsalter von 65,6 Jahren reduziert sich ihre Altersrente, die meist ohnehin relativ gering ist, um mehr als 8 Prozent. Schließlich versperrt die längere Arbeitstätigkeit Älterer vielen Jüngeren den Zugang zum Arbeitsmarkt, denn für die Älteren reduzieren sich die Arbeitgeberanteile. Es ist also zunehmend lukrativ Ältere zu beschäftigen, anstatt Junge neu einzustellen.

UZ: Sind die Vorschläge der Bundesregierung denn nicht geeignet, Altersarmut zumindest zu begrenzen?

Dietmar Pellmann: Keineswegs. Wenn überhaupt, dann betrifft die Flexi-Rente in der Regel Beschäftigte, die selbst hohe Rentenansprüche erworben haben. Auf der Strecke bleiben Langzeitarbeitslose und Menschen mit Erwerbsminderung, für die nichts getan wird und daher schon heute als altersarm gelten. Aus zugänglichen statistischen Angaben wissen wir zudem, dass die Zahl derer, die über das 65. Lebensjahr hinaus arbeiten, meist nur einen Minijob haben. In Sachsen sind das immerhin ca. 40000 bei steigender Tendenz. Die meisten von ihnen führen lediglich einfache Tätigkeiten aus, die meist mit ihrem bisherigen beruflichen Alltag wenig zu tun hatten. Sie arbeiten meist nicht etwa weiter, weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, sondern weil sie ihre niedrigen Renten aufbessern wollen und aus unterschiedlichen Gründen die erhebliche bürokratische Hürde der Beantragung von Altersgrundsicherung nicht auf sich nehmen wollen.

UZ: Gehen Sie davon aus, dass das Thema Renten eines der Hauptthemen im anstehenden Bundestagswahlkampf 2017 werden wird?

Dietmar Pellmann: Man könnte es annehmen. Es ist aber eher damit zu rechnen, dass die Parteien der gegenwärtigen Regierungskoalition das Rententhema gern vorher erledigt haben wollen. Denn 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner sind auch 20 Millionen potentielle Wählerinnen und Wähler, die man möglichst bei Laune halten möchte. Daher in der Vergangenheit auch die Regelungen zur so genannten Mütterrente, ein Lieblingskind der Christdemokraten, die Rente mit 63, das Vorzeigeprojekt der SPD, und nun die Flexi-Rente. Selbst die Angleichung des Rentenwertes Ost an den Rentenwert West soll zumindest noch angeschoben werden. Meine Partei, vielleicht auch die Gewerkschaften und Sozialverbände, haben objektiv Interesse, dass die Rente zu einem Schwerpunkt im Bundestagswahlkampf wird, um den Nebelvorhang von den Beruhigungspillen der Bundesregierung zu reißen und auf eine wirkliche Rentenreform zu drängen, deren Bestandteil eine Mindestrente von 1 050 Euro sein sollte. Allerdings dürfte klar sein: Allein auf parlamentarischem Weg wird es nicht zu gerechten Rentenregelungen und nicht zur wirklichen Bekämpfung von Altersarmut kommen. Wir brauchen eine starke außerparlamentarischen Bewegung, die alle Generationen einschließt.

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"Zu Euphorie besteht kein Anlass", UZ vom 23. September 2016



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