Wie Gewerkschafter gewählt haben und warum unsere Analyse nicht nachvollziehbar war

Zu abstrakt und zu fern

Von Rainer Perschewski

Nochmal ein Fünftel weniger an Stimmen als vor fünf Jahren ist schon bitter. Zwei Aspekte möchte ich zur Diskussion beitragen: 1. Unsere Wählerinnen und Wähler sowie unsere Forderungen und 2. Wahlverhalten von Gewerkschaftsmitgliedern.

Bei dem Ergebnis erscheint es müßig, über die 0,1 Prozentpunkte weniger oder mehr zu diskutieren. Bricht man diese Ergebnisse auf die Landes- oder Kommunalebene herunter, lässt sich klar nachvollziehen, wo die DKP ihre (wenigen) Anhänger bei den Wahlen findet. Es ist ein enges politisches Umfeld, denn mit unserer Öffentlichkeitsarbeit dringen wir aufgrund finanzieller und personeller Ressourcen nicht weit.

Das kann nur bedeuten, dass wir mit unseren Anliegen nicht mal in das engere Umfeld durchgedrungen sind. Aus den Debatten in meinem gewerkschaftlichen Umfeld (Gremien, Versammlungen u. ä.) konnte ich nur feststellen, dass es einfacher ist, gegen die NATO zu argumentieren als gegen die Europäische Union. Zwar wird nicht widersprochen, wenn man den Charakter der EU darstellt, aber deswegen die EU zu verlassen und nicht durch entsprechende Verträge zu verändern ging dann doch zu weit. Die gefühlte „grenzenlose Freiheit“ wog höher. Unsere Analyse und richtigen Schlussfolgerungen waren zu abstrakt und nicht gut nachvollziehbar. Da hilft es auch wenig, dass die Partei „Die Linke“ mit dem Veränderungsanspruch herangegangen ist und trotzdem zu den Verlierern dieser Wahl gehört.

Das eigentlich Bittere an den Wahlen ist das Wahlverhalten von Teilen der Arbeiterklasse bzw. dazu noch der organisierten Arbeiterklasse. Hier lassen sich ein paar grundsätzliche Fakten feststellen: Je niedriger der Bildungsabschluss, desto höher das Wahlergebnis der Rechten, und sind die Wählerinnen und Wähler gewerkschaftlich organisiert, dann wählen sie überdurchschnittlich Rechts – wobei sich die Umfrage auf alle Gewerkschaften auch außerhalb des DGB bezieht. Frauen scheinen ein größeres Gespür dafür dazu haben, dass ihnen die Rechten nicht guttun. Der Anteil der Wählerinnen ist bei den Rechten nur halb so groß.

Die DGB-Mitgliedsgewerkschaften sind durch die Entwicklung der letzten Jahre sensibilisiert worden und haben reagiert. Innerhalb ihrer Strukturen ist sowohl eine verstärkte Bildungsarbeit als auch eine Debatte über die Abgrenzung nach rechts begonnen worden. Die EVG hat im Juni zwei AfD-Funktionäre ausgeschlossen und startet jetzt mit weiteren Aufklärungsprogrammen. Auf der DGB-Bundesebene ist ein Arbeitsstab eingerichtet, der sich mit den Entwicklungen auseinandersetzt. Die Schlussfolgerung, ausgerechnet die EU und den grenzenlosen Handel als Lösungsansatz gegen Rechts zu präsentieren, musste aber ins Leere laufen, da die Erfahrungen durch Privatisierungen und Deregulierung andere sind.

Im Referat der Parteivorstandstagung vom 15. und 16. Juni wird nochmal deutlich gemacht, dass das Wahlergebnis Schwächen unserer Verankerung drastisch und massiv aufzeigt. Dem entgegenzuwirken bedeutet, dass wir unsere Aktivitäten stärker an den Erfahrungen der Arbeiterklasse ausrichten müssen. Als Orientierung eignen sich beide genannten Aspekte: In den Diskussionen in Betrieb und Gewerkschaft wird man ungefiltert auf die Sorgen und Nöte gestoßen und kann am besten auf Meinungen reagieren, Einfluss nehmen und auch Schlussfolgerungen für die kommunale Politik ziehen. Einige DGB-Gewerkschaften haben begonnen, deutlich zu machen, wo und wofür sie stehen. Wenn es auch noch zu zaghaft ist, geht es in die richtige Richtung und es ist gerade unsere Aufgabe, diese Debatten aufzugreifen und mit unserem Kenntnisstand der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu füttern.

Ein weiterer Punkt muss sein, die Demagogie der Rechten mit der sie die (überwiegend männlichen) Stimmen erhaschen, zu entlarven und deutlich zu machen, dass Solidarität und Gerechtigkeit Werte sind, die man gegen die Herrschenden erstreiten kann.

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"Zu abstrakt und zu fern", UZ vom 19. Juli 2019



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