Wie beginnt man eine Kolumne über den Glücksspielstaatsvertrag? Wie wäre es mit schlechten Wortspielen von gefallenen Würfeln und gezinkten Karten? Oder mit einem unbelegten Zitat von Oscar Wilde, der (glaubt man dem Internet) den „Pferdeverstand“ rühmte, weil er „Pferde davon abhält, auf künftiges Verhalten der Menschen zu wetten“? Nein, wir fangen besser mit ein paar Zahlen an: Mehr als 400.000 Menschen in Deutschland neigen zu problematischem Spielverhalten oder sind pathologisch spielsüchtig. Das entspricht knapp einem Prozent der erwachsenen Bevölkerung zwischen 16 und 70 Jahren. 75 Prozent der Menschen in dieser Altersgruppe haben schon mindestens einmal um Geld gespielt.
Solche Statistiken werden natürlich mit großem Engagement interpretiert. Sie dienen den Casino-Lobbyisten als Beleg für die Ungefährlichkeit des Spiels und den Moralaposteln als Verlängerung des erhobenen Zeigefingers. Wir hingegen stellen nüchtern fest: Viele Menschen spielen gern und einige werden davon krank. Dass dem so ist, hängt auch mit den gesellschaftlichen Bedingungen zusammen; mit dem Zwang zur Lohnarbeit und mit der verzweifelten Hoffnung, eine Abkürzung zu finden. Leider werden häufig gerade die Menschen süchtig, die nur wenig zu verlieren haben und denen das Kapital für die staatlich geförderte Zockerei am Aktien- oder Immobilienmarkt fehlt.
Am 1. Juli trat nun der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Mit ihm sollte die Spielsucht eingedämmt werden. Doch dabei handelt es sich um ein leeres Versprechen. Der Vertrag setzt vor allem auf den Umbau der Casino-Landschaft und die Neuverteilung der Gewinne. Mindestens 500 Meter müssen zukünftig zwischen zwei Spielhallen liegen. Ist der Abstand kürzer, sind die kommunalen Behörden gezwungen, eine zu schließen. Welche Spielothek geschlossen wird, regelt der Vertrag jedoch nicht. Die Kommunen werden also sehenden Auges in eine unsichere Rechtsposition getrieben und dürfen sich auf eine Klageflut einstellen. Zugleich verlieren sie viel Geld. Denn die Gemeinden erheben sogenannte Vergnügungssteuern auf Automatenspiele. Das können pro Spielhalle durchaus Einnahmen immittleren sechsstelligen Bereich sein, die ersatzlos wegfallen. Mit diesen Geldern werden mancherorts auch Beratungsstellen gegen Spielsucht finanziert.
Während die Spielhallen geschlossen werden, wird das Online-Glücksspiel legalisiert. Bisher fristeten die Internet-Casinos ein kriminelles Schattendasein. Das hielt sie nicht davon ab, Spiele durchzuführen, Geld einzunehmen und sogar öffentlich zu werben. Niemand hinderte sie daran. Nun wird das verbrecherische Wirken der großen Zocker-Syndikate mit einer Generalamnestie belohnt. Sie erhalten Lizenzen, die die Sünden der Vergangenheit vergessen machen. Dadurch können natürlich auch Spielsüchtige fortan rechtssicher und leichter vom heimischen Computer aus am Spieltisch Platz nehmen. Die Sucht wird aus dem öffentlichen Raum gedrängt und zur Privatsache erklärt. Das Minimum an sozialer Kontrolle, das durch den möglichen Einsatz von Sozialarbeitern rund um die Spielhallen noch gegeben war, verschwindet vollends.
Das scheint auch den Machern des Staatsvertrages aufgefallen zu sein und so schufen sie ein Feigenblatt: einen Katalog von Vorschriften für das Spiel im Netz. Er beinhaltet ein Ausgabenlimit von 1.000 Euro im Monat und verbietet bestimmte Spiele. Ausreichend ist das alles nicht. Und wer glaubt schon ernsthaft, dass der Staat, der die Casino-Konzerne offen illegal wirtschaften ließ, nun die Einhaltung von Regeln kontrolliert? Die Regierenden lassen keinen Zweifel daran, dass der Schwarzmarkt weiter brummen soll: Die zuständige Aufsichtsbehörde existiert bisher nur auf dem Papier – ihre Arbeit wird sie frühestens 2023 vollständig aufnehmen.