In den vergangenen vier Jahren 1,6 Milliarden Euro – so viel zahlte das Bundesministerium der „Verteidigung“ (BMVg) für öffentliche Forschungsaufträge mit rüstungsrelevanten Schwerpunkten, wie die „Berliner Zeitung“ vergangene Woche berichtete. Das Gros der Forschungsmittel geht dabei an nicht-öffentliche Einrichtungen wie das Fraunhofer-Institut oder direkt an Unternehmen und Start-ups aus dem militärisch-industriellen Komplex. Dabei ist die Summe der Fördermittel für rüstungsrelevante Forschung so hoch wie nie und auch der Anteil der Aufträge direkt an öffentliche Hochschulen steigt – was angesichts der veranschlagten Durchmilitarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche für die „Kriegsertüchtigung“ wenig verwundert. Bemerkenswert ist jedoch, dass Forschungsmittel für Hochrüstung eben nicht allein aus rüstungsrelevanten staatlichen Mitteln fließen, wie ein jüngst bekannt gewordener Fall an den Universitäten in Rostock und Berlin zeigt.
Am Montag veröffentlichte die Gruppe „Not In Our Name TU“ einen Bericht, in dem die Universität Rostock und die Technische Universität (TU) Berlin beschuldigt werden, gegen ihre Zivilklauseln zu verstoßen – also gegen die Selbstverpflichtung, ausschließlich zivilen und nicht militärischen Zwecken zu dienen. Hintergrund ist, dass beide Universitäten in ein Forschungsprojekt mit der ThyssenKrupp Marine Systems GmbH (TKMS) verwickelt sind, einem Monopol in der maritimen Kriegsindustrie. Es geht um hochautomatisierte und autonome Unterwasserdrohnen, konkret um das „Modifiable Underwater Mothership“ – kurz MUM. Ein vermeintlich ziviles Innovations-Flaggschiff für die Erforschung der Weltmeere: Offshore-Energie, Tiefseebergbau und maritime Wissenschaften sollen davon profitieren, verspricht die Internetpräsenz. Es breche „mit alten Konventionen“ und sei dabei „ressourcenschonend“, heißt es weiter. „Disruptive Innovationen“ ist hier das Schlagwort. Finanziert wurde und wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Unter den „starken Partnern“ finden sich neben der ThyssenKrupp-Rüstungstochter TKMS eben auch die Universität Rostock und die TU Berlin. Dumm nur, dass gerade der vermeintlich zivile, grüne Anstrich beim Rüstungsmonopol weniger haftet.
Bereits im Mai 2023 berichtete UZ von der UDT, der Elite-Konferenz „Undersea Defence Technology 2023“ in Rostock – ein Stelldichein der Unterwasser-Rüstungsindustrie. TKMS präsentierte dort die militärische Weiterentwicklung ihrer 25 Meter langen Meeresgrunddrohne MUM – den „Hunterkiller“: Unterwasserdrohnen, die von Schiffen oder U-Booten abgesetzt werden und Torpedos, Minen oder Sprengbomben ferngesteuert ins Ziel lenken. Daraufhin berichteten auch branchennahe Medien europaweit über die technologische Unterwasser-Wunderwaffe aus dem Projekt MUM. Offenbar war dies kein Grund für die zivil verpflichteten Universitäten in Berlin und Rostock, diese Kooperationen abzubrechen. Wie die Gruppe „Not In Our Name TU“ in ihrem Bericht aufschlüsselt, haben beide Universitäten trotz des öffentlichen Bekenntnisses von TKMS zur militärischen Nutzung von MUM auch in späteren Phasen der Forschungskooperation mitgewirkt, statt zu intervenieren. Die rund eine Million Euro Forschungsgelder, die allein in der zweiten Phase des Projekts die Kassen der TU Berlin füllten, werden womöglich dazu beigetragen haben, dass Kontrollgremien wie eine Ethikkommission eher den zivil-grünen Anstrich als den eigentlich olivgrünen Forschungszweck in ihrer Bewertung berücksichtigten.
ThyssenKrupp hatte noch diplomatisch verlautbaren lassen, dass das MUM-Projekt nicht für militärische Zwecke vorgesehen sei. Umgekehrt sind aber eben jene Zwecke auch nicht auszuschließen. Ein Klassiker der Dual-Use-Strategie, mit der versucht wird, der historisch begründeten Verbannung des Militärs aus den öffentlichen Universitäten durch ein ziviles Antlitz zu entkommen. Der Fall an der TU Berlin und der Uni Rostock zeigt jedoch, dass sich die großen Monopole mittlerweile sehr sicher sind in ihrem „Zeitenwende“-Testosteron. So sicher, dass das „zivile“ Schwindeln im Rüstungstaumel einen weiteren „starken“ Partner im MUM-Projekt zur Intervention bewegte: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) warnte in einer völkerrechtlichen Analyse vor der hohen militärischen Konversionsgefahr des MUM-Projekts. Es sei fraglich, ob das autonome und modulare Design des Unterseedrohnen-Systems mit internationalem Seerecht übereinstimme, schlussfolgerten die drei Wissenschaftler des Instituts für maritime Sicherheit am DLR. Wohlgemerkt: das DLR ist eine Forschungseinrichtung, die die militärische Nutzung ihrer Forschungen nicht grundsätzlich ausschließt.
Die Militarisierung der Hochschulen nimmt ihren Lauf – in Rostock, Berlin, Bayern, Bremen und Hessen. Keine Woche ohne mediales Dauerfeuer auf die rund 70 bekannten etablierten Zivilklauseln an deutschen Hochschulen. Der Unterwasserdrohnen-Fall an der TU Berlin und der Universität Rostock zeigt jedoch, dass durch Dual-Use-Forschungen auch mit zivilen Mitteln militärische Zwecke verfolgt werden können – trotz etablierter Zivilklausel. Die friedenspolitische Errungenschaft ist eben nur so wirksam, wie sie auch an den Hochschulen gelebt wird. Die Recherchen der Gruppe „Not In Our Name TU“ sind auch deshalb ein positives Zeichen.