Ziel ist Entsolidarisierung

Werner Sarbok im Gespräch mit Monika Münch-Steinbuch

Mit massiven Informationskampagnen und Umfragen werben der Deutsche Pflegerat und andere Verbände für die Einrichtung von Pflegekammern. Darüber sprachen wir mit Monika Münch-Steinbuch.

UZ: Wie steht die Gewerkschaft ver.di zu den Pflegekammern?

Monika Münch-Steinbuch: ver.di hält eine Pflegekammer für unnötig. Das Hauptanliegen der Pflege – bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und mehr Vergütung – darf durch eine Kammer nicht bearbeitet werden, das ist Aufgabe von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Aus- und Weiterbildung sind bereits durch staatliche Vorgaben geregelt, eine Absicherung durch Rahmentarifverträge löst die Kostenfrage zugunsten der Pflege. Pflegerisches Disziplinarrecht ist unnötig, da für Pflegekräfte als Arbeitnehmer die Arbeitsgerichtsbarkeit gilt. Zwangskammern mit Zwangsbeiträgen entsprechen nicht dem gewerkschaftlichen Demokratieverständnis.

Allerdings: Wenn sich Pflegekammern trotz aller Gegenwehr nicht verhindern lassen, will ver.di über die Kammerwahlen ihren Einfluss zugunsten der Beschäftigten in der Pflege geltend machen.

UZ: Warum lehnst du die Pflegekammer ab?

Monika Münch-Steinbuch ist Fachärztin und kandidiert auf Platz 6 der DKP-Liste zu den EU-Wahlen.

Monika Münch-Steinbuch ist Fachärztin und kandidiert auf Platz 6 der DKP-Liste zu den EU-Wahlen.

Monika Münch-Steinbuch: Trotz ihrer ehrenwerten Ziele sind Pflegekammern teure Bürokratiemonster, die nichts zur Überwindung des Pflegenotstands beitragen können. Die Pflegekräfte haben je nach Umfrage ein gleich hohes Ansehen in der Bevölkerung wie die Ärzte, knapp hinter den Feuerwehrleuten. Die Pflege hat kein Imageproblem, sondern ein Durchsetzungsproblem, was die Personalbemessung betrifft, was Arbeitszeiten, Vereinbarkeit von Beruf und Leben betrifft, was die Umsetzung beruflicher Standards am Arbeitsplatz betrifft. Keine Pflegekammer kann in die betrieblichen Wirklichkeit, die ja 1,3 von 1,5 Millionen Pflegekräfte betrifft, auch nur im Entferntesten eingreifen. Das können nur die Betriebs- und Personalräte zusammen mit einer starken gewerkschaftlich organisierten und bewussten Belegschaft in den Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen. Denn die übergroße Mehrheit der Pflegekräfte gehört von Einkommen und Position im Arbeitsprozess her zur Arbeiterklasse.

Keine Pflegekammer kann die Ursache des Übels beseitigen, – das sind DRGs, Privatisierung und Profitwirtschaft im Gesundheitswesen des Kapitalismus.

Die Befürworter der Pflegekammern produzieren Illusionen und Hoffnungen, die letztlich die Solidarisierung der Pflegekräfte untereinander und mit den anderen Berufsgruppen in den Krankenhäusern erschweren, ja behindern – gerade in den letzten Jahren bei der Auseinandersetzung um die Personalbemessung in der Pflege.

Die Pflegekammern verkünden hehre Ziele wie Selbstverwaltung der Pflege, damit sie mit einer Stimme spricht, oder einheitliches Berufsethos oder Akademisierung der Pflege und Fortbildungspunkte, und wenn was schief geht in der pflegerischen Alltagshetze, schlägt die Berufsgerichtsbarkeit zu und wälzt Arbeitgeberdefizite auf die Pflegenden ab.

UZ: Mit welchen Aufgaben und Kompetenzen sollen die Pflegekammern ausgestattet werden?

Monika Münch-Steinbuch: Pflegekammern sind Körperschaften öffentlichen Rechts unter Rechtsaufsicht der Bundesländer, ebenso wie Ärztekammern, und können daher mit Aufgaben betraut werden, für die normalerweise die Landesbehörden zuständig sind. Dazu gehören das Festlegen von Richtlinien für die Mitglieder, die Weiterbildung für Pflegekräfte zum Beispiel zur Fachpflegekraft für Anästhesie und Intensivmedizin sowie die Ausbildung in der Altenpflege.

Sachgerechte professionelle pflegerische Versorgung nach aktuellen pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen, Qualitätssicherung in der Pflege, Identifikation der Pflegenden mit ihrem Berufsstand und Selbstverwaltung – das ist Anspruch der Kammerbefürworter.

Die wichtigste Erwartung in die Einrichtung von Pflegekammern ist allerdings, das Ansehen der Pflegenden in der Gesellschaft so zu fördern, dass ein Umgang mit Ärzten und Politik auf Augenhöhe stattfindet. Die Angehörigen der Pflegeberufe sollen mit einer Stimme sprechen, ungeachtet ihrer Position im Gefüge des Gesundheitswesens. Es geht also um Standesvertretung, Standesaufsicht und Standesförderung.

UZ: Wer steckt hinter den Befürwortern?

Monika Münch-Steinbuch: Die Bildung von Pflegekammern wird hauptsächlich vorangetrieben vom 1998 gegründeten Deutschen Pflegerat e. V. und seinen elf Mitgliedsverbänden und von Fördervereinen zur Pflegekammergründung. Der größte dieser Verbände ist der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe e. V. mit 27 000 Mitgliedern, dann die DRK-Schwesternschaft mit 20 000 und der Deutsche Hebammenverband mit 18 500 Mitgliedern, alle anderen bleiben unter 9 000 Mitgliedern. Dazu gehören zahlreiche Verbände wie die Bundesfachvereinigung Leitender Krankenpflegekräfte in der Psychiatrie e. V. und der Bundesverband Pflegemanagement.

UZ: Wie ist heute der Stand in den verschiedenen Bundesländern?

Monika Münch-Steinbuch: Bis jetzt gibt es erst in drei Bundesländern eine Pflegekammer, und zwar in Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen. Diese drei haben sich zur Konstituierenden Sitzung der Gründungskonferenz einer Bundespflegekammer zusammengeschlossen und erheben Vertretungsanspruch für alle Pflegekräfte.

In den übrigen Bundesländern wird versucht, mit massiven Informationskampagnen und Umfragen die politisch Verantwortlichen zur Einrichtung einer solchen Kammer zu bewegen.

UZ: Wie ist die Resonanz bei den examinierten Pflegekräften?

Monika Münch-Steinbuch: Viele Pflegekräfte setzen angesichts des Pflegenotstands, geringer Einkommen und mangelnder Durchsetzungsmöglichkeiten im Berufsalltag große Hoffnungen in Pflegekammern. Aber die examinierten Pflegekräfte in der Alten- und Krankenpflege sind Pflichtmitglieder. Durch die Kammer vertreten werden auch die Auszubildenden in diesen Berufen sowie Kranken- und Altenpflegehilfskräfte, die freiwillig Mitglied sein können.

2012/13 gab es in Rheinland-Pfalz 44500 Pflegekräfte, davon etwa 6 000 Schülerinnen und Schüler. Davon haben sich trotz 80 000 verteilten Infoflugblättern nur 9 321 (21 Prozent) für die Abstimmung über die Einrichtung einer Pflegekammer registrieren lassen, davon beteiligten sich 7 033 an der Abstimmung und 5 335 davon stimmten der Errichtung einer Pflegekammer zu. Das waren zwar 75,9 Prozent der Abstimmungsteilnehmer, aber nur 12 Prozent aller Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz!

In Niedersachsen mit 90 000 Pflegekräften wurde der Sozialministerin Ende März 2019 eine Liste mit 50 000 Unterschriften überreicht – für die Auflösung der Pflegekammer. Anlass war die Festsetzung der Beiträge auf 0,4 Prozent des Bruttoeinkommens nach Abzug der Werbungskosten.

Ausgehend von der Pflegeeinrichtung Elmshorn läuft auch in Schleswig-Holstein noch bis Juli 2019 eine Petition zur Auflösung der Pflegekammer, nachdem die CDU das Wahlversprechen einer „freiwilligen Kammermitgliedschaft“ nicht umgesetzt hat. 2,8 Millionen Euro im Jahr für eine Pflegekammer aufzubringen, das sehen die Zwangsverkammerten mit ihren sauer erarbeiteten Löhnen offenbar nicht ein.

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"Ziel ist Entsolidarisierung", UZ vom 17. Mai 2019



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