Scholz kündigt die lang geplanten nächsten Aufrüstungsschritte an

Ziel: Die Gesellschaft militarisieren

Es wird spannend, wenn er uns morgen seinen Blick auf die aktuelle Lage erläutert“, twitterte in Vorfreude das Verteidigungsministerium. Als Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Freitag im Berliner Hotel Interconti ans Rednerpult der diesjährigen Bundeswehrtagung trat, versprach er etwas, wofür er sonst nicht gerade bekannt ist, nämlich „Klartext“. Vor den 400 anwesenden Uniformträgern der drei Teilstreitkräfte breitete Scholz seine „ungeschönte Analyse“ aus: Es sei eines der „hartnäckigsten Missverständnisse“, dass es beim 100 Milliarden Euro schweren Aufrüstungsprogramm nur ums Geld gehe, „Brunnen bohren, humanitäre Hilfe absichern, Fluten eindämmen, in Pandemiezeiten beim Impfen helfen“ war gestern. Die Bundeswehr müsse sich wieder auf die Landes- und Bündnisverteidigung, sprich: aufs Kämpfen, konzentrieren. Dem Primat von Militär und Rüstung haben sich in Zukunft „alle anderen Aufgaben“ unterzuordnen. In Kürze werde das Konzept einer „Nationalen Sicherheitsstrategie“ vorgelegt, das „staatliche und private Akteure“ in die Pflicht nehmen soll. Scholz redet damit der Militarisierung der gesamten Gesellschaft das Wort. „Unsere Armee“ befinde sich auf dem Weg, „die am besten ausgestattete Streitkraft in Europa“ zu werden. Über die hierfür in Zukunft erforderlichen Geldmittel brauche sich die Bundeswehr keine Sorgen zu machen: „Bitte denken Sie nicht, dass das jetzt mit dem Sondervermögen nur eine Ausnahme ist“. Für Aufrüstung und Militäreinsätze werden in den nächsten Jahren die Haushaltstitel Soziales, Arbeit, Bildung, Kultur und Verkehr Zukunft bluten müssen, denn „wir müssen die Bundeswehr wieder als zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge betrachten, jeden Tag“ (Christine Lambrecht).

Auch das Verbot von Waffenexporten in Krisen- und Kriegsgebiete ist bereits als unnötiger Ballast abgeworfen. Mit den bisherigen Restriktionen habe man „gebrochen und bewiesen: Wir scheuen keine Veränderungen!“. Deutschlands „Führungsrolle“ in der kommenden Phase der NATO-Weiterentwicklung stehe fest, ob bei der „Verstärkung der Ostflanke“, der Kompetenz zur Organisierung massiver Truppenbewegungen, der „Kaltstartfähigkeit“ der NATO-Einsatzgruppen oder der Entsendung von 30.000 Soldaten für die neue, weltweit einsetzbare Allzweckwaffe der NATO, das „New Force Model (NFM)“. Lambrecht legte in ihrem Redebeitrag auf der Veranstaltung des regierungsaffinen Think-Tanks „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)“ am 12. September noch eine Schippe drauf: „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz, sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht. Auch im Militärischen“. Die Tatsache, dass Deutschland im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege mit Millionen Toten angezettelt hat, lässt indes keinen Zweifel an neuen militärischen Abenteuern aufkommen, denn „das Deutschland, das diese Verbrechen begangen hat, gibt es seit 80 Jahren nicht mehr“. Das passt nahtlos zu der vom Kanzler in seiner Brandrede vom 27. Februar gepriesenen Zeitenwende, nämlich „Abschied zu nehmen von alten Gewissheiten“.

Deutlich wird unterdessen, dass die Proklamation der Zeitenwende als Synonym einer neuen Militärdoktrin keine Reaktion auf die russische Intervention in der Ukraine war. Die Ausarbeitung einer neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ wurde bereits im Koalitionsvertrag der Ampel vom November 2021 angekündigt. Der deutsche Militäretat, schon vor 2022 der siebtgrößte der Welt, steigerte sich zwischen 2014 und 2021 um 50 Prozent, die Rüstungsexportpolitik destabilisiert die internationalen Krisenregionen seit einem Vierteljahrhundert, deutsche Interessen wurden von Serbien bis zum Hindukusch mit Waffengewalt „verteidigt“, Generalinspekteur Eberhard Zorn kündigte jüngst die Entsendung eines ganzen Flottenverbandes in den Indopazifik an. Wer die Aufmarsch- und Aufrüstungspläne sucht, die der Scholzschen Zeitenwende Leben einhauchen, wird an der vom Auswärtigen Amt finanzierten strategischen Studie „Neue Macht – Neue Verantwortung“ vom September 2013 und ihrem 220 seitigen Update „Zeitenwende“ vom Oktober 2020, herausgegeben von der Münchener Sicherheitskonferenz (SiKo), nicht vorbeikommen. Für Wolfgang Ischinger, deren Ex-Vorsitzenden, liegt die Ursache des „Epochenbruchs“ in der Sorge um die weltweite Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen: „Die globale Ordnung zerbröselt, die niemand dringlicher braucht als wir, die exportabhängigen Deutschen.“

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"Ziel: Die Gesellschaft militarisieren", UZ vom 23. September 2022



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