Ziel der YPG ist ein föderales, demokratisches Syrien

Von Holger Deilke und Frank Rothe

Ausgerechnet die emanzipatorischen Kämpfe im Norden Syriens werden in der Überschrift zum UZ-Beitrag von Manfred Ziegler als „Hauptproblem“ bezeichnet. Bis jetzt dachten wir, der (US-) Imperialismus sei das Hauptproblem – aber nun ja, für manche ändern sich die Interessenlagen.

Die Kurdinnen und Kurden sind es gewohnt, von ihren jeweiligen Regierungsverantwortlichen als Problem betrachtet zu werden, das entweder eingekauft – wie aktuell im Norden Iraks – oder unterdrückt oder vernichtet gehört. In jedem Fall haben sie sich den jeweiligen Regierungssystemen unterzuordnen – der Text von Manfred Ziegler läuft genau darauf hinaus.

Wir können sicher sein, dass die demokratischen Kräfte in Rojava am liebsten die schlagkräftige Waffengewalt und die ebenso einflussreiche Diplomatie der internationalen Solidaritätsbewegung in Anspruch genommen hätte, um sich gegen den IS und andere reaktionäre Kräfte zu behaupten und ihr basisdemokratisches Modell zu verteidigen. Allein: die internationale Solidarität ist dazu nicht in der Lage.

Dies ist die Grundlage, auf der sich die kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer für Waffenlieferungen und Schützenhilfe durch die USA entschieden haben. Von russischer Seite gab es leider kein Angebot intensiver Waffenbrüderschaft. Daraus eine „strategische Partnerschaft“ mit den USA zu machen, wie es Manfred Ziegler tut, spricht nicht für gründliche Recherchen. Es scheint vielmehr so, als betätige er sich als Übersetzer des Putin Interviews in „Le Figaro“.

Ein kurdischer Politiker aus der Leitung der demokratischen Selbstverwaltung (Tev-Dem) formulierte das Verhältnis zu den USA im Gespräch so: „Wir wissen natürlich, wie sie handeln. Schon als sie die Türken bei Jarablus einmarschieren ließen, war es dasselbe wie jetzt. Wann immer unser demokratisches Projekt zu stark, zu unabhängig ist, wollen die USA uns die Botschaft senden: Nieder mit euch auf die Knie. Aber wir haben auch Druckmittel und wir werden uns nicht beugen.“

Um aus dem „Lower Class Magazine“ (14.5.2017) zu zitieren: „In Europa herrscht bei einigen der Glaube vor, die Kurden wären irgendwie ‚zu dumm‘, um die Gefahren des Bündnisses mit den USA zu sehen. Nach Jarablus oder Karacok sagt man dann vom heimischen Schreibtisch aus: ‚Wir haben es euch ja gesagt, die USA sind niemandes Freund.‘ Danke für den Hinweis. Als ob eine Bewegung, die seit 40 Jahren im Nahen Osten aktiv ist, die im Libanon gekämpft hat, in Syrien im Exil war und tausende Kader im Kampf gegen die CIA-gesponsorten Putschregime der Türkei verloren hat, das nicht wüsste.“

Wo sitzt das Oberkommando der SDF? In Nord-Syrien. Wer ist darin vertreten? Dazu sagt Talal Silo, Sprecher der SDF: „Die SDF bestehen aus insgesamt zehn militärischen Verbänden, die sich wiederum aus den verschiedenen ethnischen und religiösen Volksgruppen wie Kurden, Turkmenen, Araber und Assyrer/Aramäer/Chaldäer zusammensetzen. Für die Christen ist zum Beispiel der ‚assyrisch-aramäische Militärrat der Suryoye‘ (MFS) Mitglied der SDF“ neben den YPG und YPJ (kurdische Fraueneinheiten) – den Aspekt der gesellschaftlichen Bedeutung der Geschlechtergleichheit und Frauenbefreiung in Nord-Syrien unterschlägt Manfred Ziegler übrigens auch. Aber das einzige, das er sich abringen kann zur Frage der dort entwickelten emanzipatorischen Perspektiven ist ein: „Womöglich“ gäbe es das.

Was ist das Ziel sowohl der YPG als auch der SDF? Ein föderales, demokratisches Syrien. Im Norden Syriens wird ein Gesellschaftsvertrag gelebt, der auf Prinzipien der Frauenbefreiung und Basisdemokratie beruht: Sie verstehen sich als Vorschlag für ein zukünftiges Syrien. Salih Muslim, Ko-Vorsitzender der PYD, sagt zu diesem Thema: „Demokratie für Rojava kann nur erreicht werden, wenn es Demokratie und Freiheit in ganz Syrien gibt. Wenn wir ein demokratisches System in Nachbarschaft zum IS (Islamischer Staat) in Raqqa erschafften, würden wir nie im Frieden leben und dauernd Angriffen gegenüberstehen … Wir aber gehen nicht auf den geografischen Föderalismus ein, sondern auf einen Föderalismus, der auf Völkern beruht und ihnen ein Leben in ihren eigenen Bereichen im Rahmen ihrer Rechte ermöglicht.“

Schön, dass Ziegler zugibt, dass die Beteiligung der kurdischen Gebiete an den Friedensverhandlungen zum Teil wegen des Drucks der Türkei nicht zustande kam. Nebenbei bemerkt haben die USA sich – wie auch Russland – eher nicht für die Beteiligung der kurdischen Seite an den Verhandlungen eingesetzt. Unterschlagen wird jedoch, dass sich auf arabischer Seite – und das schließt Syrien genauso mit ein wie die verschiedenen „Rebellengruppen“ – alle darin einig sind, dass Syrien in jedem Fall ein arabischer Staat sein soll, auch dem Namen nach. Also soll in einer zukünftigen Verfassung eine Ethnisierung des Staates festgeschrieben werden. Warum sollten sie sich an Verhandlungen beteiligen, in denen ihr Status als Bürger zweiter Klasse festgelegt ist?

Daraus herzuleiten, es ginge um „kurdische Unabhängigkeit“, Lostrennung, ist infam. Seit Jahren werden die kurdischen Organisationen im Norden (türkischer Teil) und Süd-Westen (nordsyrischer Teil) nicht müde zu betonen, dass sie keinen eigenen Staat haben wollen, sondern die Entwicklung der Zivilgesellschaft zur zentralen Frage erhoben haben.

Was ist denn daran falsch, wenn Lenin sagt, dass von der unterdrückenden Nation das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nation verlangt werden muss, die unterdrückte Nation – was in diesem Fall die Kurdinnen und Kurden sind – aber die Aufgabe hat, die Unterdrückten, das Proletariat gemeinsam gegen die Unterdrücker, die Bourgeoisie zu führen?

Nichts anderes passiert in Rojava, nichts anderes machen die SDF. Es geht den kurdischen Organisationen um eine andere gesellschaftliche Entwicklung als sie unter den feudal-kapitalistischen Bedingungen im heutigen Syrien möglich wäre. Ein möglicher kurdischer Staat wäre die Sache einer kurdischen Kompradorenbourgeoisie a lá Barzanis KDP (Nordirak) und ohne imperialistische Gängelung nicht lebensfähig. Das wissen die kurdischen Organisationen sehr genau.

Uns scheint, das „Hauptproblem“ des Autors ist Ignoranz gegenüber den um Befreiung ringenden Völkern.

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"Ziel der YPG ist ein föderales, demokratisches Syrien", UZ vom 7. Juli 2017



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