Am 7. November wählte das nicaraguanische Volk erneut den sandinistischen Präsidenten Daniel Ortega. Das Land verbat sich die Wahlbeobachtung durch USA und EU und lud stattdessen 232 Wahlbegleiter aus 27 Ländern ein. Stefan Natke, Landesvorsitzender der DKP Berlin, gehörte dazu und sprach mit UZ über die Wahl und seine Eindrücke.
UZ: Du hast im letzten Monat als Wahlbeobachter an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nicaragua teilgenommen. Was hat dich dazu bewogen?
Stefan Natke: Ich bin von der Botschaft der Republik Nicaragua in der BRD zur Wahlbeobachtung eingeladen worden. Es ist ja inzwischen so, dass bei allen Wahlen, die in Ländern Lateinamerikas oder auch sonst wo stattfinden, in denen die USA und ihre Verbündeten keine Kontrolle haben, von vornherein behauptet wird, dass es keine freien Wahlen geben werde. Das kennen wir auch von Venezuela, Kuba oder Belarus und Russland. Leitmedien und bürgerliche Presse übernehmen im Voraus die mediale Beschallung und schon ist die Sache klar. Mehr als peinlich ist, dass auch die Stiftung, die den Namen Rosa Luxemburgs trägt, in diese mediale Verleumdung eingestimmt hat und somit die Belange des US- und EU-Imperialismus bedient. Scheinheilig und arrogant verlangen USA und EU dann auch noch, „Wahlbeobachter“ in das besagte Land schicken zu können.
Der Präsidentschaftskandidat Daniel Ortega hat diese Unverschämtheit als koloniales Gehabe verurteilt. Er hat die Imperialisten daran erinnert, dass Nicaragua keine Kolonie mehr ist, sondern ein souveränes Land, und nicht erlaubt, dass sie ihr Kontrollpersonal zu den Wahlen ins Land schicken. Die oberste Wahlbehörde (CSE) Nicaraguas hat daraufhin selbst Menschen aus aller Welt eingeladen, die Wahlen in Nicaragua zu begleiten. Ich bin stolz, dass ich dazugehören durfte. Wir wurden deswegen auch Wahlbegleiter genannt.
UZ: Welche Eindrücke hast du vor Ort gewonnen?
Stefan Natke: Ich kenne Nicaragua schon sehr lange. Kurz nach der sandinistischen Revolution 1979 war ich mit einer Solidaritätsbrigade der SDAJ in Managua, um eine Druckerei für die Zeitung der sandinistischen Jugend „Los Muchachos“ aufzubauen. Auch die DKP schickte eine Brigade, gemeinsam organisierten wir in der BRD eine höchst erfolgreiche Solidaritätskampagne. Später war ich mit Gewerkschaftsprojekten in Nicaragua, die Solidarität war damals sehr groß, was heute leider nicht mehr so ist. Auch privat haben sich natürlich über die Jahre Freundschaften entwickelt, so dass ich immer gut auf dem Laufenden bin.
Allerdings war ich seit dem neuerlichen Wahlsieg der Sandinisten 2006, nach den Jahren neoliberaler Vasallenpolitik der USA, nicht mehr dort. Umso mehr war ich positiv überrascht was die Compañeras der FSLN, der Frente Sandinista de Liberación Nacional, in den letzten Jahren alles geschafft haben.
UZ: Nämlich?
Stefan Natke: Auf den ersten Blick fiel mir auf, dass es viel weniger sichtbare Armut auf den Straßen gibt. Keine bettelnden Kinder oder Menschen, die auf der Straße leben. Die Straßen selber sind in einwandfreiem Zustand, nicht wie die früheren Löcherpisten. Auch an den Autos im Verkehr merkte man, dass sich die Menschen dort jetzt etwas mehr leisten können.
Beim genaueren Hinsehen, also weg von der Oberflächlichkeit hin zur konkreten Recherche, gab es noch viel Beeindruckendes zu sehen. Während die neoliberalen Regierungen von 1990 bis 2006 viele Errungenschaften der Sandinistischen Revolution rückgängig machten, begann die FSLN unter Daniel Ortega ab 2007 einen sogenannten Prozess der Rekuperation. Allgemeine und kostenlose Bildung, ein kostenfreies Gesundheitssystem, Wiedervergesellschaftung der wichtigsten Krankenhäuser und, ganz wichtig, anstatt Abbau einen Neubau von 21 Krankenhäusern. Erstmalig wurde eine Straßenverbindung von der Pazifik- zur Atlantikküste des Landes geschaffen. Vorher gab es keine Landverbindung in die Atlantikgebiete Nicaraguas. Ich könnte hier noch viel erzählen von Wohnungsbauprogrammen, Elektrifizierung, Wasserversorgung … aber das würde den Rahmen sprengen.
UZ: Trotz aller aufgezählten Verbesserungen. Wie steht es insgesamt um die sozialen Verhältnisse im Land?
Stefan Natke: Machen wir uns nichts vor, Nicaragua ist immer noch ein armes Land. Aber ein Land, in dem die Menschen eine Perspektive haben. Bildung und Ausbildung haben ein hohes Niveau. Die Industrieproduktion und die Agrarwirtschaft verzeichnen ständig wachsende Zahlen. Diese positiven Ergebnisse werden der Bevölkerung übrigens über den sandinistischen Radiosender Radio „La Primerísima“ in äußerst sympathischer Art übermittelt. Sie werden dort als gemeinsamer Erfolg des nicaraguanischen Volkes bezeichnet. Alle sollen daran teilhaben und stolz auf die Ergebnisse sein. Die Leute können beim Radio anrufen und sich dazu äußern.
Das Lohnniveau ist allerdings noch sehr bescheiden und wenn international für Produkte, die importiert werden müssen, die Preise steigen, macht das den Menschen sehr zu schaffen. Man muss aber die Lebensbedingungen in diesem Land mit denen seiner Nachbarländer vergleichen und da gibt es einen deutlichen Unterschied. Schauen wir nur ins Nachbarland Honduras, da kommt einem das Grauen. Übrigens haben auch dort die Menschen am 28. November die linke Kandidatin Xiomara Castro zur neuen Präsidentin des Landes gewählt. Sie wird es schwer haben, das Land auf einen fortschrittlichen Kurs zu bringen, hat aber mit Nicaragua und seiner sandinistischen Regierung einen solidarischen Nachbarn.
UZ: Welche Gespräche konntest du vor Ort führen?
Stefan Natke: Als erstes konnten wir Wahlbegleiter nach unserer offiziellen Akkreditierung durch die CSE alle Fragen stellen, die wir wollten, über die Vorbereitung der Wahlen, über die Parteien, die zur Wahl antraten, die es ja laut Rosa-Luxemburg-Stiftung gar nicht gab. Wir konnten aber auch viele Gespräche mit den Menschen auf der Straße führen. Alles war möglich. Höchst interessant waren natürlich auch die Gespräche mit den anderen Wahlbegleitern, wir waren insgesamt 232 Personen aus 27 Ländern.
UZ: Und wie sind die Wahlen abgelaufen?
Stefan Natke: Die Wahlen sind insgesamt sehr geordnet und ruhig verlaufen. Wir Wahlbegleiter waren in verschiedene Gruppen aufgeteilt, die über das Land verteilt Eindrücke über den Wahlhergang gewinnen konnten. Keine der Gruppen meldete irgendwelche Vorfälle.
Meine Gruppe wurde am Vorabend der Wahlen in die Stadt Estelí gebracht. Wir übernachteten dort und besuchten am Wahltag, dem 7. November, ab 7 Uhr morgens Wahlzentren und Wahllokale. Alle waren technisch und personell sehr gut ausgestattet, die Wahlberechtigten wurden an einer zentralen Registrierungsstelle erfasst und dann zu ihren entsprechenden Wahllokalen geschickt. Dort traten sie einzeln ein und ihnen wurden die Wahlunterlagen ausgehändigt und erklärt. Zum besseren Verständnis waren auch Fotos der Wahlkandidaten auf den Wahlzetteln, nicht nur die Parteikürzel oder Namen. Im Wahllokal anwesend waren auch die Vertreterinnen und Vertreter der zu wählenden Parteien, um sich vom korrekten Wahlablauf zu überzeugen. Wir konnten ohne Einschränkung mit jeder und jedem dort sprechen. Den ganzen Tag fuhren wir von Wahlzentrum zu Wahlzentrum und spät am Abend wieder Richtung Managua, wo die ersten Wahlergebnisse gegen Mitternacht bekanntgegeben werden sollten. Es wurde dann allerdings 2.30 Uhr am folgenden 8. November, bis der oberste Wahlrat der CSE die ersten Ergebnisse bekanntgeben konnte.
Mit knapp 50 Prozent der bis dahin ausgezählten Stimmen zeichnete sich ein mehr als deutlicher Sieg der FSLN mit Daniel Ortega als Präsidentschaftskandidaten ab. Die Ergebnisse veränderten sich nach 99 Prozent der Auszählung am Folgetag nur unwesentlich.
UZ: Gab es Auffälligkeiten?
Stefan Natke: Ja, die gab es. Es war auffällig, dass vor den Wahlen auf den Straßen keine Wahlplakate der FSLN oder Daniel Ortegas hingen. Wenn wir Plakate, Banner oder Aufkleber sahen, so waren es die der Oppositionsparteien. Die Frente, wie die FSLN dort liebevoll genannt wird, war nur durch die die schwarz-roten Flaggen an Stadtteilbüros oder Privathäusern und Betrieben in der Öffentlichkeit präsent und natürlich durch ihre Wandbilder, die es überall gibt.
UZ: Mit welchen Erkenntnissen kommst du zurück aus Nicaragua?
Stefan Natke: Mit der Erkenntnis, dass sich das nicaraguanische Volk von niemandem auf seinem Weg in eine bessere Zukunft aufhalten lassen wird und dass wir, als Kommunistinnen und Kommunisten, gemeinsam mit anderen linken Kräften die Solidarität mit diesem Land und seinen Menschen nicht aufgeben dürfen. Wir haben in der letzten Zeit zu wenig getan. Die imperialistische Propaganda hat teilweise auch in den Reihen ehemaliger Solidaritätsgruppen gewirkt. Wir müssen, wie eine Wahlbegleiterin aus dem Baskenland es ausdrückte, Zeugen der Wahrheit sein und darüber berichten, was tatsächlich in Nicaragua passiert.
UZ: Was ergibt sich daraus für dich politisch?
Stefan Natke: Nicaragua, Venezuela, Kuba, Bolivien und jetzt auch Peru und Honduras werden sich auch in Zukunft weiterer Aggressionen des US- und EU-Imperialismus ausgesetzt sehen. Dagegen heißt es eine starke Solidaritätsbewegung in der BRD und in ganz Zentraleuropa auf die Beine zu stellen.