Das Ergebnis der Tarifverhandlungen für die Leiharbeiter in der Metall- und Elektrobranche stand schon im Februar fest, wurde aber erst Ende März bekannt und sorgt seitdem für heftige Diskussionen. Die IG Metall hat einer Überlassungsdauer von 48 Monaten zugestimmt. Leiharbeiter können also bis zu vier Jahre lang von einem Betrieb ausgeliehen werden und damit deutlich länger als mit der im erst vor kurzem geänderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vorgesehenen Befristung auf 18 Monate.
Der Arbeitsrechtler Rolf Geffken sieht dadurch die Existenz der IG Metall als Gewerkschaft in Frage gestellt. Durch die damit vertiefte Spaltung der Belegschaft würden Arbeitskämpfe nachhaltig unmöglich gemacht. Er kritisiert, dass IG Metall und DGB die Option zur Abweichung von gesetzlichen Mindeststandards durch Tarifvereinbarungen nutzen – und zwar eine Abweichung nach unten. Geffken sagt in einem Radio-Interview: „Gesetzliche Standards sollen eine Basis nach unten hin schaffen, die dann nach oben hin durch Tarifverträge ausgebaut und verbessert werden können. So war das vor 25 Jahren. Heute ist man dankbar, dass der Gesetzgeber gesetzliche Mindeststandards durchlöchert, von denen durch Tarifvertrag abgewichen werden kann wie beim Arbeitszeit- und beim Mindestlohngesetz. Davon wird kräftig Gebrauch gemacht. Da fragt man sich, wozu braucht man eigentlich noch eine Gewerkschaft?“
Ist das eine übertriebene Kritik? Der Kölner IG-Metall-Vorsitzende Witich Roßmann rechtfertigt das Abkommen, da eine längere Beschäftigung günstig sei, da „wenigstens der Austausch nach 18 Monaten verhindert und die Leiharbeit auf 48 Monate begrenzt wird.“ Zuvor habe es gar keine Begrenzung gegeben.
Weil das 2016 verabschiedete Gesetz eben nicht die Leiharbeit pro Arbeitsplatz, sondern pro Arbeitnehmer begrenzt, ist eine ständige Neubesetzung durch Leiharbeiter möglich. Betriebsräte versuchen, diesem Dilemma mit der Verlängerung der Leiharbeit eines Arbeiters zu begegnen. Roßmann begrüßt daher die Öffnung, um „betriebliche Lösungsmodelle“ zu ermöglichen. Außerdem bekämen die Arbeiter Branchenzulagen, die bei einem Neuanfang wegfielen. Damit es einigen Ausnahmen kurzfristig besser geht, werden die Rechte der vielen anderen und letztlich von allen geopfert. Dies ist tatsächlich das Gegenteil des gewerkschaftlichen Gedankens, der gar nicht absichtlich von jedem Betriebsrat verdrängt werden muss, sondern sich aus den hergestellten Sachzwängen ergibt, wenn kein bewusstes und politisches, organisiertes Gegensteuern stattfindet.
In seiner Stellungnahme auf Facebook nennt Roßmann mehrere Beispiele, die belegen sollen, warum die Regelung im Interesse der Beschäftigten sei. Ein Betriebsrat von Ford schildert: „Häufig schwankende Arbeitslasten und nicht absehbare Zeiträume für Bedarfe an bestimmten Qualifikationen lassen Unternehmen im Grenzbereich der Kapazität davor zurückschrecken, zusätzliche feste Stellen zu schaffen. (…) Dies führt dazu, dass Betriebsräte dem Einsatz von Leiharbeitnehmern – entgegen den eigenen Grundsätzen – zustimmen, um entsprechende Projekte und Programme in deutschen Standorten zu halten oder sie dorthin zu bekommen.“ Hier wird sehr deutlich der Druck der Kapitalseite auf die Beschäftigten ausgeführt. Darauf kann ein Betriebsrat und eine einzelne Belegschaft kaum reagieren, denn sie dürfen nicht streiken. Sie sind erpressbar. Daher stimmen die Betriebsräte dem Einsatz von Leiharbeit zu und verlängern die Fristen in der Hoffnung, dass die Kollegen dann übernommen werden.
Das ist aber die Ausnahme, wie aus den Schilderungen eines Betriebsrats der Deutz AG hervorgeht. Die meisten Leiharbeiter schaffen es gar nicht über drei Monate hinaus. Aber erst, wenn sie neun Monate erreichen, erhalten sie die vollen Branchenzuschläge. Nach 24 Monaten müssen sie ein Übernahmeangebot bekommen, die meisten werden aber vorher abgemeldet. In wenigen Fällen kommt es zu auf zwei Jahre befristete Arbeitsverträge. „Nur wer das Glück hat, dass dann sein befristeter Zeitvertrag mitten in einer Phase der Vollauslastung, der Hochkonjunktur endet, der hat die Chance, dann endlich nach vier Jahren Probezeit ein echter Stamm-Mitarbeiter zu sein.“ Bitterer lässt sich die Spaltung der Belegschaft und die Abschaffung des Kündigungsschutzes nicht schildern.
Die Frage, die Geffken aufwirft, trifft den Kern des Vorgangs: „Wie sollen das Betriebsräte, die gar nicht Arbeitskämpfe führen dürfen, machen? Wie stellt sich die IG Metall eigentlich Gewerkschaftsarbeit vor? Das ist gelbe Gewerkschaftspolitik. Das hat mit einer zum Arbeitskampf bereiten Gewerkschaft nichts zu tun.“
Hintergrund für das Festhalten und Vertiefen der Leiharbeit der IG-Metall-Führung ist ihr Interesse an der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Konzerne. Neben der Senkung der Lohnkosten ist das Kalkül „einflussreicher Betriebsräte der Automobilbranche, dass die schlechteren Bedingungen, unter denen die Leiharbeiter arbeiten müssen, gleichsam eingepreist sind in den wesentlich besseren Bedingungen der Stammbelegschaft“ wie der Arbeitsrechtler Stefan Sell kritisiert. Hinzuzufügen ist, dass auch die Stammbelegschaft unter dem Druck der Erpressbarkeit der Kollegen leidet.
Durch die Verlagerung auf betriebliche Vereinbarungen werden die Belegschaften zersplittert. Der grundsätzliche gewerkschaftliche Gedanke – die Vereinigung der Arbeiter gegen die Konkurrenz, der sie ausgesetzt sind – ist ausgehebelt. Die Aushöhlung und Anpassung der Gewerkschaften an die Erfordernisse des Kapitals wurde maßgeblich von SPD-Politikern in der Regierung und in den Gewerkschaftsspitzen vorangetrieben. Von Wolfgang Clement bis Andrea Nahles wird unter der Überschrift der „Stärkung der Tarifparteien“ das Gegenteil erreicht und die Seite der Arbeitgeber gestärkt, die Gewerkschaft aber geschwächt. Auch beim neuen Arbeitszeitgesetz strebt die SPD eine „ausgehandelte Flexibilität“ an. Dies ist insgesamt eine gefährliche Entwicklung nicht nur in der IG Metall, sondern in allen Gewerkschaften. Das Ergebnis ist: Es gibt nur noch für einen Teil der Beschäftigten so etwas wie eine Gewerkschaft, und damit auch wieder nicht. Denn ohne die Einheit keine Arbeitskampffähigkeit und damit auch kein Arbeitsschutz und keine höheren Löhne.