Die Deutsche Bahn AG (DB AG) steht vor erheblichen Herausforderungen. Mit einem operativen Verlust von fast 700 Millionen Euro im ersten Halbjahr des Jahres 2024 hat sich die wirtschaftliche Lage gegenüber dem Vorjahr weiter verschärft. Besonders der veraltete Zustand der Infrastruktur, extreme Wetterbedingungen, technische Probleme und letztlich Zurückhaltung von Mitteln des Bundes in Milliardenhöhe haben die finanzielle und operative Stabilität belastet. Fernreisende und Pendler können sich den fast täglichen Problemen nicht mehr entziehen. Zugausfälle, Personalengpässe, drastische Verspätungen oder nicht funktionierende Klimaanlagen und Toiletten gehören zum Alltag. Die Durchsagen der Bahnbeschäftigten im Zug zeugen manchmal von Galgenhumor. Sie sind es, die den Ärger der Bahnfahrer abbekommen. Einige von ihnen empfinden selbst nur Verbitterung über die Situation. Das alles steht im völligen Widerspruch zum formulierten Ziel der Politik, mehr Verkehr auf die Schiene verlagern zu wollen. Die vorgezogene Bundestagswahl im Februar 2025 könnte zum Showdown der möglichen Entwicklung für dieses letzte große Staatsvermögen werden.
Bahnreform 1994
Die aktuelle Situation der Deutschen Bahn AG kann nicht ohne einen kurzen Rückblick auf die sogenannte Bahnreform von 1994 analysiert werden. Sie markierte einen der bedeutendsten Wendepunkte in der Geschichte des Schienenverkehrs in Deutschland. Mit der Umwandlung der Deutschen Bundesbahn und Deutschen Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG sollten Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und finanzielle Entlastung gewährleistet werden. Die Reform hatte drei Hauptziele:
- Finanzielle Entlastung: Die hochverschuldete Deutsche Bundesbahn sollte von ihren Schulden befreit und langfristig wirtschaftlich tragfähig gemacht werden.
- Wettbewerb und Effizienz: Durch die Liberalisierung des Marktes und die Einführung privater Betreiber sollte der Wettbewerb im Schienenverkehr gesteigert und die Effizienz erhöht werden.
- Verkehrspolitische Ziele: Der Schienenverkehr sollte als umweltfreundliche Alternative zum Straßen- und Luftverkehr gestärkt werden.
Hier stand das neoliberale Dogma Pate, nach dem sich der Staat aus wirtschaftlichen Aktivitäten heraushalten müsse und nur renditeorientierte Unternehmen in der Lage seien, die Bahn auch wirtschaftlich zu führen. Um das argumentativ zu untermauern, musste dafür die hohe Verschuldung der damaligen Bundesbahn herhalten, die zum Teil historisch bedingt war. So musste die Deutsche Reichsbahn und spätere Bundesbahn nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sich im Wesentlichen aus eigener Kraft den kriegsbedingten Zerstörungen stellen. Ein weiterer Teil der Verschuldung ist politisch bedingt, da damals wie heute die Kosten der Beschlüsse von staatlichen Maßnahmen auf die Ebenen der Länder und Kommunen abgewälzt oder in Schattenhaushalte verschoben wurden. Die heutige Verschuldung der DB AG ist immer auch politisch vom Eigentümer abgesegnet worden.
Die Umwandlung von staatlichen Eigenbetrieben allein ist aber schon ein grundlegender Einschnitt. Während staatliche Eigenbetriebe zwar wirtschaftlich, aber nicht gewinnorientiert arbeiten sollen, verhält es sich bei der Umwandlung (formelle Privatisierung) in privatrechtliche Gesellschaften anders. Diese Betriebe sind dann nicht mehr ausgabenorientiert, sondern einnahme- beziehungsweise gewinnorientiert. Jeder betriebliche Interessenvertreter in den früheren staatlichen Betrieben kann die Wirkungen auf das Geschäftsgebaren bestätigen. Mit der Umwandlung der beiden deutschen Bahnen in eine gemeinsame Aktiengesellschaft war in mehreren Reformstufen geplant, die Trennung der Infrastruktur von den Verkehrsbetrieben zu vollziehen. Im Jahr 1999 wurden die Geschäftsbereiche des Schienenverkehrs, der Bahnhöfe, des Fern- und Nahverkehrs in eigenständige Aktiengesellschaften ausgegliedert, wenn auch im Eigentum der DB AG. In einer weiteren Stufe sollte die dann verbliebene Holding aufgelöst und die einzelnen Betriebe verkauft beziehungsweise an die Börse gebracht werden. Weiter wurden zahlreiche Unter- und Dienstleistungsgesellschaften gegründet, in denen Aufgaben wie Sicherheit oder Bahnreinigung angesiedelt wurden. Unter der Führung des früheren Vorstandschefs der DB AG, Hartmut Mehdorn, und in Absprache mit den damaligen Bundesregierungen wurde versucht, die DB AG als Konzern an die Börse zu bringen. Dieser Versuch scheiterte an der Weltwirtschaftskrise (2008 ff).
Unter Bahnchef Mehdorn wurde auch der Ausbau der DB AG zu einem weltweit tätigen Mobilitäts- und Logistikunternehmen betrieben. Das brachte der Bahn zwar keine dauerhaften Erfolge, dafür aber den Ruf, ihre Kernaufgaben in Deutschland zu vernachlässigen. Seit einigen Jahren trennt sich das Unternehmen immer mehr von seinen Auslandsgeschäften. Auch für die Erreichung der verkehrspolitischen Ziele kann keine positive Bilanz gezogen werden. Einige Daten: Das Streckennetz hat sich um knapp 20 Prozent reduziert, Weichen und Kreuzungen um 50 Prozent, Industriegleise um 80 Prozent. Hunderte Bahnstrecken – vorwiegend im Osten – wurden stillgelegt und über 300 Kommunen vom Bahnnetz abgetrennt. In den Debatten über den Anschluss von kleineren Städten an ICE-Strecken konnte man zum Teil den Eindruck gewinnen, dass es einen Zusammenhang zwischen Mandatsträgern der Bundespolitik und den Entscheidungen für oder gegen Streckenhalte gibt. Von einer Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene ist insgesamt wenig zu spüren, davon können auch kurzzeitige Erfolge – wie sie zum Beispiel mit dem 9-Euro-Ticket erzielt wurden – nicht ablenken.
Umverteilung und Lohndumping
Eine grundlegende Veränderung erfuhr die Finanzierung des Schienenverkehrs. Es handelt sich dabei heute um ein fast nicht durchschaubares Konstrukt. Der Bund ist für die Finanzierung der Schieneninfrastruktur auf dem überregionalen Netz der Deutschen Bahn AG laut Grundgesetz verantwortlich. Dafür gibt es die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV). Im Kern ist dies ein Vertrag zwischen Bund und DB AG, der die Finanzierung von Instandhaltung und Erneuerung des Schienennetzes sowie der Bahnhöfe regelt. Der Bund stellt dafür bis zum Jahr 2029 jährlich circa 7,3 bis 9 Milliarden Euro bereit. Hinzu kommt ein Eigenanteil der DB AG aus den selbst erzielten Einnahmen.
Die Festlegung dieser Mittel wird im Verkehrs- und Haushaltsausschuss des Bundestages beschlossen, davor finden in der Regel Anhörungen und Verhandlungen mit dem DB-Konzern zu dieser Vereinbarung statt. Die Höhe dieser Gelder ist damit auch abhängig von der Haushaltslage und insbesondere vom politischen Willen der Regierungsparteien. Diese Mittel dienen der Instandhaltung des Bestandsnetzes und waren immer am untersten Level angesetzt. Die Hinweise von geladenen Bahnexperten, die sich in den Anhörungen der Bundestagsausschüsse dazu äußerten, sind regelmäßig missachtet worden. Der marode Zustand der Infrastruktur der Bahn war also eine zu erwartende Folge dieser Politik. Die Deutsche Bahn beziehungsweise die zuständige Infrastrukturgesellschaft der DB erzielt mit der Nutzung der Schienenwege und Bahnhöfe auch Einnahmen in Form von Trassenentgelten und Stationsgebühren. Diese sind aber durch die Regulierung des Bundes gedeckelt und entsprechen nicht den Kosten des Netzes.
Die Finanzierung neuer Schienenprojekte werden im „Bundesschienenwegeausbaugesetz“ geregelt, die Planung dazu erfolgt im Bundesverkehrswegeplan. Hier haben in den vergangenen Jahrzehnten im Wesentlichen Großprojekte wie der Ausbau von Schnellverbindungen zwischen Großstädten und nicht die Erweiterung des Netzes einen Schwerpunkt gebildet. Fazit an dieser Stelle: Die Schieneninfrastruktur erfordert einen jährlichen Milliardenbetrag, um die Erhaltung zu sichern. Durch die Unterfinanzierung der letzten Jahrzehnte ist das Netz störungsanfällig und Experten gehen davon aus, dass etwa 100 Milliarden Euro erforderlich sind, um das Netz wieder auf einen funktionierenden Stand zu bringen.
Der Umfang und das Angebot im Regionalverkehr werden wiederum durch die Bundesländer bestimmt. Diese erhalten vom Bund sogenannte Regionalisierungsmittel auf Grundlage des gleichnamigen Gesetzes. Dies speist sich aus dem Steueraufkommen des Bundes. Die Verteilung erfolgt nach einem verhandelten und gesetzlich festgelegten Schlüssel. Der Auftrag für eine Bahnstrecke wird nach Ausschreibung alle 10 bis 15 Jahre vergeben. Die Vergabe erfolgt gemäß der vom Bundesland ausgegebenen Kriterien und geforderten Leistungen. Das günstigste Angebot der verschiedenen Eisenbahnverkehrsunternehmen erhält den Zuschlag. Damit wurde ein Unterbietungswettbewerb in Gang gesetzt. Heute werden deshalb etwa 40 Prozent des Regionalverkehrs durch vermeintliche „Privatbahnen“ gefahren. Um zu verhindern, dass die Deutsche Bahn die Aufträge erhält, sind einige Bundesländer dazu übergegangen, Ausschreibungen nach Strecken zu trennen und festzulegen, dass ein Anbieter nur eine Strecke erhalten kann. Somit wurde die Vergabe an „Private“ sichergestellt.
Der Bund verteilt dafür jährlich etwa 12 Milliarden Euro an die Bundesländer. Die Eigentümer der „Privatbahnen“ sind zum größten Teil in der Hand von ausländischen staatlichen Bahnen oder ausländischen staatlichen Eigentümern. Nur ein Bruchteil der Strecken wird von echten privaten Eigentümern durchgeführt. Die Leidtragenden sind die Beschäftigten der „Privatbahnen“, die in der Regel weniger verdienen als ihrer Kollegen bei der DB oder geringere Leistungen erhalten. Fazit an dieser Stelle: Der Regionalverkehr wird genutzt, um öffentliche Gelder an Private umzuverteilen, langwierige Ausschreibungsverfahren auf Kosten der Länder durchzuführen und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.
Aktuelle Situation, (drohende) Perspektiven
Die Situation heute ist also im Wesentlichen auf die Bahnreform von 1994 zurückzuführen. Diese ist mit allen ihren Zielen gescheitert. Die Folgen sind deutlich sichtbar und lassen sich zudem weiter ergänzen. So gibt es inzwischen kaum ein Tochterunternehmen, das keine Verluste einfährt. Ein großer Teil der aktuellen Milliardenverluste ist allerdings auf nicht gezahlte, aber im letzten Jahr zugesagte öffentliche Gelder für die Sanierung zurückzuführen, während die dafür gewollten Baumaßnahmen auf Wunsch der Bundesregierung schon angestoßen wurden. Managementfehler wie bei der Güterverkehrssparte der DB (UZ vom 25. Oktober 2024) kommen hinzu.
Der Güterverkehr der Bahn ist womöglich ein Beispiel dafür, was der DB AG insgesamt droht. Die DB-Tochter DB Cargo erwirtschaftet seit Jahren Verluste, die von der DB AG ausgeglichen werden. Das ist nun laut der EU-Kommission nicht mehr zulässig. Künftig soll das Bahnunternehmen ohne den Verlustausgleich auskommen. Die EU-Kommission sieht hier eine Wettbewerbsverzerrung. Die Folge: Ein Schrumpfungskurs und drastischer Stellenabbau.
Auch im Gesamtunternehmen stehen gewaltige Änderungen an. Die gescheiterte Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte schon im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Infrastruktur in der DB neu strukturiert werden soll. So ist zum 1. Januar 2024 die DB-Infrastruktur gemeinwohlorientierte Aktiengesellschaft (DB InfraGO AG) aus den beiden DB-Töchtern des Schienenverkehrs und der Bahnhöfe gegründet worden. Im nächsten Jahr folgen weitere Gesellschaften, die in die DB InfraGO integriert werden sollen, die bis zum Jahresende 2025 rund 70.000 Beschäftigte umfassen wird. Weitere Verschmelzungen sind nicht ausgeschlossen. Diese Veränderungen sind zum einen sinnvoll, weil sie die Zergliederung in zahlreiche selbstständige zum Teil gegeneinander arbeitende Unternehmen aufheben und dadurch Synergieeffekte heben können. Die derzeitige Vorgehensweise vermittelt allerdings eher den Eindruck, als sollte eine Struktur geschaffen werden, die eine Zerschlagung der Bahn in Infrastruktur und Betrieb vorbereitet. Dies unter der Maxime „Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren“. Mit der Schieneninfrastruktur lässt sich keine ausreichende Rendite erzielen, daher verbleibt sie als Verlustbringer beim Staat, während der Betrieb Rendite für private Investoren verspricht.
Die CDU hat als mögliche zukünftige Regierungspartei deutlich gemacht, dass die Zerschlagung des Bahnkonzerns zu ihren Zielen gehört. Das hätte nicht nur für die Beschäftigten dramatische Folgen. Es stünden zehntausende Arbeitsplätze auf der Kippe, die hauptsächlich aus den Dienstleistungsunternehmen der DB kommen werden. Ein Personalabbau durch Rationalisierungsmaßnahmen konnte in der Vergangenheit zu einem großen Teil durch eine Umverteilung des Personals auf Basis konzernweiter tariflicher Regelungen aufgefangen werden. Das wird in den dann vielen kleineren Bahnunternehmen nicht mehr möglich sein.
Die größten Probleme aber wird es mit Blick auf die staatliche Klimapolitik geben. Die Bahnen sind das klimafreundlichste Verkehrsmittel in Deutschland. Will eine Regierung – egal welcher politischen Couleur – Klimaschutz ernst nehmen und dem Mobilitätserfordernis der Bevölkerung gerecht werden, braucht sie die DB AG, um bundeseinheitlich im größeren Maßstab wirken zu können. Andere Länder in Europa führen ihre Bahnunternehmen wieder in öffentlicher Hand – und das mit Infrastruktur und Verkehrsbetrieb. Aus gleichen Gründen müssen die Kleinbahnen wieder in eine einheitliche Bahn überführt werden, um zu einem flächendeckenden Verkehrsangebot in Stadt und Land zu kommen, das den Menschen günstige Verkehrsmittel bietet. Es gilt, sich für ein einheitliches gemeinnütziges Bahnunternehmen mit Infrastruktur und Betrieb einzusetzen, ergänzt durch eine demokratische Kontrolle aus Bahnbeschäftigten, Bahnnutzern, Gewerkschaften und Verbänden, die eine alleinige Steuerung aus der Bundespolitik künftig vermeidet. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.
Jetzt vernetzen!
Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in der DKP schließen sich zusammen
Innerhalb der DKP hat sich ein Netzwerk engagierter Beschäftigter der Deutschen Bahnen gebildet. „Die bewegten Zeiten erfordern einen größeren Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Als Partei der Arbeiterklasse müssen wir uns im Betrieb organisieren. Das wollen wir in diesem Jahr stärker durch die stabilere Organisation von Netzwerken und der Gründung von Betriebsgruppen ändern“, sagt dazu Rainer Perschewski, Leiter der Kommission Betriebs- und Gewerkschaftspolitik des Parteivorstands der DKP.
Um die inhaltliche Diskussion zu qualifizieren, werden Hintergrundbeiträge zur Schienenverkehrspolitik, zu Standpunkten der Gewerkschaft und zur Situation der Beschäftigten in der UZ erscheinen. Die Organisation des Netzwerks der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner in der DKP erfolgt über Kommission Betriebs- und Gewerkschaftspolitik. Kontakt: betrieb.gewerkschaft@dkp.de