Netanjahu verhindert mit neuen Forderungen Waffenstillstand in Gaza

Zermürbende Verzögerung

Für die Menschen in Gaza, für die israelischen Geiseln und ihre Angehörigen ist es ist ein zermürbendes Hin und Her, ein Abzählreim des Grauens: Es gibt einen Waffenstillstand – es gibt keinen Waffenstillstand – es gibt einen Waffenstillstand … Dabei betonen US-Präsident Joseph Biden und sein Außenminister Antony Blinken immer wieder, wie nahe man einer Lösung sei – um dann von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eines anderen belehrt zu werden.

Netanjahu kritisiert bitter sein eigenes Verhandlungsteam, das von Mossad-Direktor David Barnea geführt wird, weil es zu viele Zugeständnisse mache. Biden verlangt mehr Konzessionen von Netanjahu, ohne allerdings bisher einen materiellen Druck auszuüben. So landete am Montag der seit dem 7. Oktober letzten Jahres 500. Lufttransport aus den USA in Israel. In diesen Transporten wurden bisher 50.000 Tonnen Waffen geliefert.

Inzwischen gab es Verhandlungen und eine Einigung – nicht zwischen Hamas und Israel, sondern zwischen den USA und Israel. Offenbar im Einvernehmen mit den USA und unter dem Druck von Netanjahu verlangt nun die israelische Verhandlungsdelegation eine andauernde israelische Präsenz im sogenannten „Philadelphia-Korridor“. Es handelt sich um das von der israelischen Armee willkürlich so benannte Grenzgebiet zwischen Israel und Ägypten.

Vor dem Rückzug Israels aus Gaza im August 2005 vereinbarte Israel mit Ägypten die Stationierung ägyptischer Truppen auf der ägyptischen Seite der Grenze zu Gaza entlang dieses Korridors. Sie sollten Schmuggel, insbesondere Waffenschmuggel, unterbinden und ihre Tätigkeit und Geheimdienstinformationen mit Israel koordinieren.

Am Sonntag wurde einer Delegation der Hamas der aktuelle Verhandlungsvorschlag vorgestellt, inklusive der Besetzung des Philadelphia-Korridors. Die Vertreter der Hamas beharrten aber im Wesentlichen auf dem Vorschlag der USA, dem die Organisation Anfang Juli zugestimmt hatte: Vollständiger Abzug israelischer Truppen aus Gaza, andauernder Waffenstillstand, Wiederaufbau, Bewegungsfreiheit für die Einwohner Gazas und Austausch der Geiseln.

Die andauernden Verhandlungen um den Waffenstillstand hatten dazu beigetragen, die Reaktion der libanesischen Hisbollah auf den israelischen Angriff auf ihren Kommandeur Fuad Shukr in Beirut bis zum Sonntag zu verzögern.

Die Darstellung des Angriffs und seiner Folgen könnte nicht unterschiedlicher sein. Die israelische Armee und Regierung behaupten, mit einem präventiven Angriff mit hundert Flugzeugen Tausende Raketen und Stellungen der Hisbollah zerstört zu haben. Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hisbollah, erklärte dagegen, Israel habe Stellungen angegriffen, die schon lange verlassen waren, und der eigene Angriff sei planmäßig durchgeführt worden. Er galt einer Geheimdiensteinrichtung und einem Luftwaffenstützpunkt in Israel. Fotos oder Videobeweise lagen zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ am Mittwoch von keiner Seite vor. Doch die israelische Darstellung wird selbst in Israel häufig nicht für bare Münze genommen, zumal die Zensur eine konkrete Berichterstattung unterbindet.

Mittlerweile geht das zermürbende Hin und Her um einen Waffenstillstand in Gaza weiter. Verhandlungsdelegationen treffen sich, gehen auseinander – und Israel erhält die Zeit, den Gazastreifen weiter zu zerstören.

Ministerpräsident Netanjahu beharrt darauf, dass Israel im Philadelphia-Korridor präsent bleibt. Für die Hamas – aber auch für Ägypten – ist eine permanente Präsenz Israels im Grenzgebiet ein klares No-Go und eines der Haupthindernisse, die einem Waffenstillstand im Wege stehen.

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"Zermürbende Verzögerung", UZ vom 30. August 2024



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