Karin Harder ist die Geschäftsführerin des ver.di–Bezirkes Südhessen. Sie setzt sich schon seit vielen Jahren für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen ver.di–Fachbereichen ein.
UZ: Am 11. April werden in Darmstadt Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes und der Telekom gemeinsam streiken. Es finden gemeinsame Demonstrationen und Kundgebungen statt. Wenn wir uns die Arbeitskämpfe bei ver.di anschauen, dann sehen wir häufig eine stark am eigenen Fachbereich orientierte Vorgehensweise. Wieso scheint das in Südhessen anders zu laufen?
Karin Harder: Auch im ver.di-Bezirk Südhessen gelingt es noch viel zu selten, Arbeitskämpfe gemeinsam zu führen. Das hat viele Gründe, so z. B. die unterschiedlichen Laufzeiten der Tarifverträge, die gemeinsame Aktionen verhindern, die zentrale Planung der Fachbereiche oder schlicht und einfach mangelnder Austausch und Information unter den Fachbereichen. An den Laufzeiten können wir als Bezirk nur wenig ändern. Aber was den Austausch und die Information angeht, haben wir einiges getan.
Dazu ist es als erstes wichtig, Gelegenheiten zu schaffen, an denen die Kolleginnen und Kollegen sich treffen können, um zu erfahren, dass es in allen Fachbereichen um das Gleiche geht, die Verteidigung und Durchsetzung der eigenen Interessen gegen die Zumutungen der Arbeitgeber. Deshalb führen wir u. a. jedes Jahr eine FunktionärInnenkonferenz durch und eine Tagung aller tarifpolitisch Aktiven zur fachbereichsübergreifenden Verzahnung der Tarifarbeit. Dort findet ein Austausch über alle anstehenden Tarifrunden statt und es werden konkrete Vereinbarungen getroffen, wie wir uns wechselseitig unterstützen können. Das geht von Solidaritätsbesuchen und –reden bis zu gemeinsamen Aktionstagen. Denn nur so wird Solidarität konkret erfahrbar über den eigenen Fachbereich hinaus. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch unsere bezirkliche Bildungsarbeit, in der wir mit Teilnehmenden aller Fachbereiche, ausgehend von den konkreten Erfahrungen, die gemeinsamen Interessen herausarbeiten und gemeinsame Handlungsstrategien entwickeln. Dies ist ein weiterer Ort, an dem Solidarität im Kleinen erfahrbar wird – eine wesentliche Voraussetzung auch für die internationale Solidarität.
UZ: Die Arbeitskampfplanung ist in den Gewerkschaften in der Regel sehr zentralistisch organisiert. Das ist in der Regel auch notwendig. Wie konnte es trotzdem gelingen, dass die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes und der Telekom zu gemeinsamen zentralen Aktionen in Darmstadt aufgerufen sind?
Karin Harder: Erst einmal stimme ich zu, dass bei bundesweiten Tarifauseinandersetzungen eine zentrale Planung notwendig ist. Nur so können wir flächendeckend Druck erzeugen. Aber im Rahmen dieser zentralen Planung wünsche ich mir mehr Flexibilität. So habe ich es in vergangenen Tarifrunden schon erlebt, dass ein Fachbereich am Montag streikte und der andere am Dienstag, weil das die unumstößlichen zentralen Vorgaben waren.
Dieses Mal ist es sehr gut gelaufen. Wir haben eine kleine Arbeitsgruppe zur Koordination der Tarifrunden gebildet, in der u. a. Michaela Stasche und Bernd Blümmel mitarbeiten. Von Bernd kam dann die Idee zu einem gemeinsamen Streiktag, die sowohl von den Kolleginnen und Kollegen der Telekom als auch des öffentlichen Dienstes im Landesbezirk Hessen aufgegriffen wurde.
UZ: Wie schätzt du die Möglichkeiten ein, die Orientierung auf mehr Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen über den Bezirk Südhessen hinaus in die Diskussion zu bringen?
Karin Harder: Das ist ein dickes Brett. Die Schwierigkeiten der unterschiedlichen Laufzeiten und der zentralen Planungen wurden ja schon genannt. Aber gerade deswegen finde ich es wichtig, die fachbereichsübergreifende Verzahnung in Südhessen fortzusetzen, auszubauen und das Anliegen auch im Landesbezirk Hessen und auf Bundesebene einzubringen. Der gemeinsame Streiktag am 1. April ist ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt.
Ansonsten gibt es in ver.di eine Strukturdebatte zur Zukunft der Fachbereiche. Aus den vorhandenen 13 Fachbereichen sollen vier werden. Dazu nur eine kurze Anmerkung: Der Bezirksvorstand von ver.di-Südhessen hat dazu ein Papier „ver.di ohne Fachbereiche“ beschlossen. Doch es gibt in Südhessen auch andere Stimmen, z. B. für die Einrichtung von vier Fachbereichen. Unabhängig davon welche Position sich durchsetzt und ob es keine, vier, sechs oder 13 Fachbereiche geben wird: Ziel muss es sein, ver.di stärker als einheitlich handelnde Gewerkschaft aufzustellen. Wichtig ist, dass die Debatte über die politische Strategie der ver.di zur Stärkung ihres Einflusses in der Gesellschaft, ihrer Mächtigkeit in tarif- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen und als Mitgliederorganisation weitergeht. Denn „Politik geht vor Struktur“.