Musterkorridore sollen fit gemacht werden, um Truppen und Kriegsmaterial vom Westen nach Osten zu transportieren

Zeitenwende im Straßenbau

Die von der alten Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz proklamierte „Zeitenwende“ in der Außen- und Sicherheitspolitik findet ihre Umsetzung in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Daran ließ Bundeskriegsminister Boris Pistorius, ebenfalls SPD, mit seinen Aussagen im Herbst 2023 von der Herstellung der Kriegstüchtigkeit keinen Zweifel.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der Verkehrsinfrastruktur. Aufgrund der geografischen Lage in Europa und in der NATO ist Deutschland das wichtigste Drehkreuz insbesondere gegen die seit der Eskalation des Ukraine-Krieges im Jahr 2022 zur Hauptbedrohung proklamierten Russische Föderation. Neben dem Schienenverkehr (siehe UZ vom 7. März) sind es die Straßen und Brücken, die im Fokus der Regierenden stehen. Nach Meinung verschiedener Experten halten diese einer stärkeren Be- und Auslastung durch militärische Aktivitäten nicht stand. Im Rahmen des EU-PESCO-Projektes „Military Mobility“ sind insbesondere Nord-Süd- und Ost-West-Achsen betroffen. So vereinbarten die Regierungen der Länder Niederlande, Polen und Deutschland im Januar 2024 die militärische Herstellung von sogenannten Musterkorridoren, um Truppen und Material vom Westen nach Osten zu transportieren. Im Europäischen Rat wurde begleitend die Absicht bekundet, ein „Militärisches Schengen-Abkommen“ zum schnelleren Transport gen Osten zu etablieren und damit „bürokratische Hürden“ abzubauen.

Die Verantwortlichen müssen dazu nicht bei Null anfangen. Die rechtlichen Grundlagen sind bereits vorhanden. So ermöglicht das Verkehrssicherstellungsgesetz von 1965, zuletzt geändert im Juli 2024, weitgehende Eingriffe des Bundes in „für Zwecke der Verteidigung erforderliche lebenswichtige Verkehrsleistungen“. Selbst die Straßenverkehrsordnung sieht Sonderrechte für den Eingriff des Militärs „zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben“ vor. Aktuell haben Maßnahmen Vorrang, die die Nutzung von Straßen für das Militär sicherstellen sollen. Fernstraßen wie Autobahnen und Brücken müssen insbesondere Schwerlastverkehre verkraften, um die Durchfahrt eines 62 Tonnen schweren Leopard-Panzers zu gewährleisten.

Es geht um die Aufbereitung eines „Militärstraßengrundnetzes“, das etwa 37.400 Kilometer umfasst – das sind etwa 4,5 Prozent des Gesamtstraßennetzes. Dieses beinhaltet Autobahnen und Bundesstraßen, aber auch einige Landes- und Kreisstraßen. Die betroffenen Straßen müssen sowohl Tragfähigkeit gewährleisten als auch entsprechende Breiten, Kurvenradien und Brückenstatik aufweisen. Dazu müssen militärisch-logistische Verbindungen zwischen Kasernen, Übungsplätzen, Depots, Häfen, Flughäfen und Grenzen berücksichtigt sein. Einige Autobahnen müssen – wie in der Vergangenheit schon üblich – als Notlandebahnen für Flugzeuge der Bundeswehr dienen können. So entsteht ein flächendeckendes Netz von Straßen, die in Krisen und im Krieg vorrangig zur Durchführung des überörtlichen militärischen Straßenverkehrs genutzt werden.

Zur Koordination der Maßnahmen wurde vom Verkehrsministerium ein Gremium mit dem Verteidigungs-, dem Innen- und Außenministerium sowie den fachlich betroffenen Ministern der Länder initiiert. Dieses Koordinationsgremium tagt seit seiner Konstituierung im Jahr 2019 zwei Mal im Jahr. Zur schnelleren Umsetzung von Maßnahmen führt der amtierende Kriegsminister Pistorius seit Frühjahr 2024 Fachkonferenzen einer Projektgruppe zur Beschleunigung des militärischen Infrastrukturverfahrens durch. Bereits im September 2024, auf der zweiten Konferenz, wurde ein Bericht vorgelegt, welcher die Notwendigkeit von Maßnahmen aufgrund der sträflichen Vernachlässigung der Bundeswehr in den letzten dreißig Jahren begründet. Pistorius verkündete im Einklang mit den Bundesländern 38 Maßnahmen, bei denen es „dezidiert um Erleichterungen für Vorhaben der Landesverteidigung“ gehe. Im Klartext bedeutet es nichts anderes, dass weitreichende Sonderregelungen für militärische Vorhaben eingeführt werden sollen. Die Konferenzen sollen künftig mindestens jährlich durchgeführt werden.

In der letzten Legislaturperiode des Bundestages stellten FDP und BSW umfangreiche Anfragen an die Bundesregierung zur militärischen Mobilität. Nicht unerwartet ist die Antwort auf konkrete Informationen zu Projekten, beispielsweise die Benennung von militärischen Korridoren, mit dem Verweis auf die Sicherheitsstufe nicht öffentlich zugänglich. Die angeführten umfangreichen Aktivitäten der Ministerien des Bundes mit dem Ländern machen aber deutlich, wie konkret an der Herstellung der Kriegstüchtigkeit gearbeitet wird. Die Öffentlichkeit muss hergestellt werden.

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"Zeitenwende im Straßenbau", UZ vom 25. April 2025



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