64 Funktionäre der Partei „Die Linke“ versammelten sich am Samstag auf Einladung von Partei- und Bundestagsfraktionsführung in Leipzig und verabschiedeten eine „Leipziger Erklärung“, die faktisch mit den 2007 bei Gründung der Partei formulierten Zielen und dem 2011 in Erfurt beschlossenem Programm bricht. Die entscheidende Formulierung lautet: „Der Kampf gegen Hartz IV und die Prekarisierung der Arbeit, gegen Privatisierung, den Neoliberalismus und die militärische Durchsetzung westlicher Vormacht durch Kriegseinsätze war zum Zeitpunkt unserer Gründung das einigende und identitätsstiftende Band, das die Partei zusammenhielt. Seitdem hat sich die Welt weitergedreht.“ Die veränderte Lage sieht demnach so aus: „Mit der immer sichtbareren Klimakatastrophe, dem notwendigen Ende des fossilen Kapitalismus, zunehmenden imperialen Rivalitäten zwischen USA-Russland-China, dem Erstarken einer extremen Rechten in Europa und schließlich dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stehen Fragen auf der Agenda, auf die wir nur ungenügend vorbereitet waren.“
Zu den Ursachen der eigenen Niederlagen bei den Landtagswahlen 2022 steht in der „Leipziger Erklärung“ nichts, es sei denn, man betrachtet die Rücknahme früherer Positionen als Aussage dazu. Statt Kampf gegen Hartz IV und die Kriege des Westens wie dem in der Ukraine soll nun ein „krisenfestes Gemeinwesen“ angestrebt werden. Aus dem Vormachtstreben des Westens sind „imperiale Rivalitäten“ zwischen USA, Russland und China geworden.
Allerdings bleibt ein krisenfester Kapitalismus, wie ihn Eduard Bernstein schon vor 125 Jahren erzählte, Unfug. Das mitten in einer tiefen Krise des Kapitals aufzutischen ist allerdings neu. Die Behauptung, bei den drei Mächten handele es sich gleichermaßen um imperiale Rivalen, ist vom gleichen Kaliber. Damit wird das westliche Propagandamärchen übernommen, wonach der Westen nie gegen Russland aufgerüstet, die Ukraine nie militärisch in Stellung gebracht und es den Krieg Kiews gegen die Ostukraine seit 2014 nie gegeben hat. Da kann Angela Merkel in der „Zeit“ vom 9. Dezember erläutern: „Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Sie hat diese Zeit auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die NATO-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen.“ Einen Tag nach Erscheinen dieser Äußerung schreibt „Die Linke“ in der „Leipziger Erklärung“ die Geschichte um und macht ganz im „Zeitenwende“-Stil Russland zum Aggressor.
Ähnliches gilt für China, gegen das USA und Verbündete militärisch eine zweite Front aufbauen und im von ihnen geführten Wirtschaftskrieg auch bereits eröffnet haben. Die Behauptung, es handele sich bei allen drei Mächten unterschiedslos um „imperiale Rivalität“, schafft eine Propagandanacht, in der alle Katzen grau sind, Ursache und Wirkung verkehrt werden, konkrete Analyse durch Pauschalurteil, materialistische Dialektik durch Sophistik, durch einseitigen und abstrakten Gebrauch von Begriffen wie „Imperialismus“ ersetzt wird.
Die frühere „Linke“-Abgeordnete Sabine Zimmermann sieht folgerichtig ihre Partei nach dem Treffen in Leipzig vorm weiteren Niedergang. Sie sagte am Sonntag der „Deutschen Presse-Agentur“: „Vor Leipzig stand ‚Die Linke am Abgrund‘, heute ist sie schon einen Schritt weiter.“ Leipzig werde den Absturz in die Bedeutungslosigkeit noch beschleunigen, vor allem in der Außen- und Friedenspolitik würden weite Teile der „Funktionärsclique“ linke Ideale verraten. Kein Grund zu Schadenfreude – was diese Clique betreibt, dient der Schwächung der linken Kräfte insgesamt.