DGB plädiert für eine aktive Arbeitsmarktpolitik

Zeit für Qualifikation

Seit 2019 ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen um 23 Prozent auf 870.000 angewachsen. 2,33 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren und 50 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben keinen Berufsabschluss. Sieben Millionen Kolleginnen und Kollegen arbeiten in der Leiharbeit, auf Basis von befristeten Arbeitsverträgen oder in anderen Formen atypischer Beschäftigung. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsbildung (IAB) rechnet damit, dass in Folge von Digitalisierung und Dekarbonisierung 5,3 Millionen Arbeitsplätze verschwinden und gleichzeitig 3,6 Millionen neue Jobs entstehen könnten. Berufsbilder werden sich aufgrund dieser Entwicklungen verändern, andere Berufe werden ganz verschwinden oder neue entstehen.

Dies alles schreit nach einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. So könnte der Beschäftigungsstand gesichert und die Beschäftigungsstruktur verbessert werden. Die Leistungen der Arbeitsförderung sollten das Entstehen von Arbeitslosigkeit vermeiden oder die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzen und die individuelle Beschäftigungsfähigkeit verbessern. Jeder Euro, der investiert wird, um jungen Menschen von der Schule in den Beruf zu helfen, Beschäftigte und Arbeitslose zu qualifizieren oder individuelle Arbeitsmarktchancen zu erhöhen, wäre gut angelegtes Geld, so die Argumentationslinie des DGB und anderer Befürworter einer aktiven Arbeitsmarktpolitik.

Die aktuelle Praxis sieht anders aus. In der vorherrschenden neoliberalen Sicht ist der Arbeitsmarkt eben ein Markt, dessen freien Kräfte „es schon regeln werden“. In der Konsequenz werden vorhandene Budgets der Bundesagentur für Arbeit für Qualifizierung und Weiterbildung nicht ausgeschöpft. Seit Jahren ist die Anzahl an Teilnehmern an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen rückläufig. Dies gilt sowohl für die Agenturen für Arbeit als auch die Jobcenter. Im Jahresdurchschnitt sank der Bestand an geförderten Teilnehmern von 2019 zu 2022 um 18 Prozent. Gerade im Bereich der für die Bewältigung der Folgen der Transformation so wichtigen Förderung der beruflichen Weiterbildung ist ein stetiger Rückgang der Teilnehmerzahlen eingetreten. Auch die Ausweitung der Fördermöglichkeiten in der Beschäftigtenqualifizierung haben keine nennenswerten Änderungen bei der Zahl der Teilnehmer mit sich gebracht.

Um diesen Trend umzukehren, fordert der DGB seit Jahren mehr personelle Ressourcen für der Bundesagentur für Arbeit und vor allem, dass Unternehmen – statt über Fachkräftemangel zu jammern – ihren Beschäftigten mehr Weiterbildungen ermöglichen. Aufgabe der Politik muss sein, so der gewerkschaftliche Dachverband, die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass zukunftsorientierte Weiterbildungsbedarfe auch verwirklicht werden können.

Zentrale Bausteine hierfür sind Bildungszeit und Bildungsteilzeit. Damit Beschäftigte Lernzeiten für Weiterbildung verbindlich in Anspruch nehmen können, bedarf es eines rechtlichen Freistellungsanspruchs im Teilzeit- und Befristungsgesetz für die Dauer der Weiterbildung. Bei der Ausgestaltung der Bildungszeit und Bildungsteilzeit sollte ermöglicht werden, die Förderung mit tariflichen Vereinbarungen aufzustocken. Außerdem sollte sich die Bildungszeit und Bildungsteilzeit grundsätzlich an der Dauer der gewählten Maßnahme ausrichten und damit geregelte abschlussbezogene Bildungsgänge für berufliche Umstiege und Neuorientierungen ermöglichen. Damit Geringverdiener diese besser in Anspruch nehmen können, empfehlen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, die Einführung eines Mindestbetrags der Lebensunterhaltsförderung zu prüfen. Ob das im Koalitionsvertrag der „Ampel“ angekündigte Weiterbildungsgesetz diesen Ansprüchen genügen wird, darf bezweifelt werden. Zumindest der inzwischen vorliegende Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bleibt weit hinter den gewerkschaftlichen Anforderungen zurück.

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"Zeit für Qualifikation", UZ vom 24. Februar 2023



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