Inlandsgeheimdienst will Teile der AfD beobachten

Zaghaftes Umdenken

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zieht die Zügel an im Umgang mit der AfD. Der Inlandsgeheimdienst stuft die AfD-Teilorganisation „Flügel“ nun als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein. Zuvor hatte das BfV den am rechten Rand der AfD agierenden „Flügel“ lediglich zum „Verdachtsfall“ für sogenannte „extremistische Aktivitäten“ erklärt. Die Beobachtung des „Flügels“, der zum festen Bestandteil der Partei gehört, habe ergeben, „dass sich die im Jahr 2019 festgestellten Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verdichtet haben“. Der „Flügel“, mit seinen etwa 7.000 Mitgliedern werde „nunmehr als eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft“, erklärte die Behörde Mitte März.

Als Belege für seine Entscheidung führt das Amt unter anderem „die organisatorische Ausdifferenzierung des ‚Flügel‘ generell“ und die „nochmals gestiegene zentrale Bedeutung der rechtsextremistischen Führungspersonen des ‚Flügels‘, Björn Höcke und Andreas Kalbitz“ an. Zudem habe das Amt „fortlaufend neue Verstöße von Funktionären und Anhängern der besagten AfD-Strömung ausgemacht, die sich „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und deren Wesensmerkmale der Menschenwürde sowie des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips im Erhebungszeitraum“ gerichtet hätten.

„Die Positionen des ‚Flügels‘ sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte haben sich verdichtet“, stellte der Präsident des BfV, Thomas Haldenwang, kürzlich auf einer Pressekonferenz klar. „Geistige Brandstifter schüren gezielt Feindbilder. Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus sickern in die alltägliche Wahrnehmung ein – sei es im Internet, im Stadion, auf der Straße oder in der politischen Arena. Aus diesem Nährboden erwachsen allzu oft auch Gewalttaten“, warnte Haldenwang.
Die AfD selbst nutzte die Neubewertung des „Flügels“ für ihre stete Opferinszenierung. Dabei beriefen sich ausgerechnet die völkischen Nationalisten auf das Grundgesetz. Auf ihren Internetseiten behaupten sie gar, in der ihnen eigenen perfiden Manier, es schützen zu wollen. So lauerten die Gefahren für das Grundgesetz „nicht nur auf der extremen rechten (sic!) oder linken Seite“. „Erinnert sei beispielsweise daran, dass heutzutage immer mehr Entscheidungen in Brüssel getroffen werden, fernab der Kontrolle durch den Souverän, das Volk. Gleichzeitig erleben wir dieser Tage in Deutschland, wie der Neutralität verpflichtete Behörden zu politischen Zwecken missbraucht werden, um den politischen Gegner zu schwächen“, schwadronieren die extremen Rechten weiter.

Mit gleicher Stoßrichtung wandte sich auch der Leiter der „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ und Bundestagsabgeordnete der AfD, Roland Hartwig, an die Öffentlichkeit. „Ein Verfassungsschutz, der rechtswidrig eine demokratische Oppositionspartei angreift und diffamiert, stellt selbst eine Gefahr für unsere Verfassung dar“, behauptete er in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung.
Bei Nazigegnerinnen und Nazigegnern löste die Entscheidung des BfV unterdessen unterschiedliche Reaktionen aus. Während einige das zaghafte Umdenken des Inlandsgeheimdienstes im Umgang mit dem faschistischen AfD-Flügel begrüßten, warnten andere vor zu hohen Erwartungen oder lehnten das BfV rundum ab. „Die zentralen Akteure des ‚Flügels‘, der Thüringer AfD-Landes-
chef Björn Höcke, Andreas Kalbitz, AfD-Landeschef in Brandenburg, und Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt, vergiften seit Jahren das politische Klima. Es handelt sich um völkische Nationalisten und Neofaschisten – bitter, dass der VS Jahre benötigt hat, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen“, kommentierte etwa Janine Wissler, Vorsitzende der Linksfraktion im Hessischen Landtag. Um die AfD und die Gefahr von rechts entschieden zu bekämpfen, helfe „jedoch nicht die Überwachung durch den Geheimdienst, sondern zivilgesellschaftliches Engagement und ein Durchgreifen der Justiz“, stellte sie klar.

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"Zaghaftes Umdenken", UZ vom 20. März 2020



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