Imme mehr Stimmen in Deutschland fordern, den bisherigen antirussischen Kurs der Bundesregierung umzudenken. So etwa veröffentlichte die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) am Donnerstag letzter Woche eine Umfrage zum Geschäftsklima in Russland. Dieser Umfrage zufolge liefen die Geschäfte deutscher Unternehmen in Russland insgesamt positiv. Zudem habe das Land weiteres Potenzial für die deutsche Industrie. Folglich würden sich deutsche Unternehmen wünschen, dass die Kooperation zwischen beiden Ländern zunimmt, explizit auch durch eine aktivere Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Matthias Schlepp, Präsident der AHK, forderte, die deutsche Politik sollte sich stärker Russland zuwenden, damit der russische Markt nicht anderen Exportnationen wie China überlassen wird.
Auch in der Bevölkerung wächst der Unmut über die Sanktionspolitik Berlins. So fordern laut einer aktuellen Umfrage, die im Auftrag der „Thüringer Allgemeine“ durchgeführt wurde, 60 Prozent der Thüringer, dass die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden. Dagegen befürworten nur 18 Prozent den wirtschaftlichen Strafkurs. Die Umfrage ergab auch, dass die Thüringer den USA gegenüber besonders ablehnend stehen.
Auf der politischen Bühne sind erste Schritte erfolgt, die eine Annäherung des „Westens“ an Russland ermöglichen würden. In der Nacht zum Dienstag, den 25. Juni, beschloss das parlamentarische Gremium des Europarates, die Stimmrechte der russischen Delegation wiederherzustellen. Vor fünf Jahren hatte die Versammlung Russland nach deren Wiedervereinigung mit der Krim die Rechte entzogen. Daraufhin zog sich die russische Delegation aus Protest zurück. Zudem stellte Moskau im Jahr 2017 die Mitgliedsbeiträge ein.
Trotz dieser ersten positiven Schritte überwiegt jedoch weiterhin die ablehnende Haltung zu einem grundlegenden Wandel. Am Donnerstag, dem 20. Juni, teilte der Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk mit, dass der EU-Gipfel beschlossen habe, die Sanktionen gegen Moskau um weitere sechs Monate zu verlängern. Laut Aussagen von Diplomaten soll es keine größeren Diskussionen um die Entscheidung, die Sanktionen zu verlängern, gegeben haben, so die Deutsche Presseagentur (dpa). Sie waren im Sommer 2014 nach dem Abschuss des Flugs MH14 beschlossen wurden. Bis heute behaupten die westlichen Staaten, „prorussische Rebellen“ oder sogar Moskau selbst würden hinter dem Angriff stehen, ohne jedoch konkrete Beweise für diese These vorzulegen.
Derweil schloss die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer eine frühzeitige Abkehr von der Sanktionspolitik aus. Am Freitag erklärte sie vor mittelständischen Firmenvertretern in Berlin, dass es keine bessere Alternative zur Sanktionspolitik gebe, wie die dpa berichtete. Sie legte sogar noch den Gang der rhetorischen Aggressivität einen Gang höher und bezeichnete die Putin-Regierung als „Regime“ und wiederholte die Mär von der angeblichen russischen Destabilisierungskampagne, die sich gegen die sogenannten westlichen Demokratien richten würde.
Ihr damaliger Rivale um den Posten des CDU-Vorsitzenden, der Finanzlobbyist und ehemalige Vorsitzende der „Atlantik-Brücke“ Friedrich Merz, zeigte in einem Gespräch mit der „Bild am Sonntag“ Verständnis für die Rufe aus Ostdeutschland, die Sanktionspolitik gegen Russland zu beenden, obwohl sich der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sowie der Verband Deutscher Maschinen-Anlagebau diesen angeschlossen hatten. Merz erklärte, er vertrete eine andere Meinung, dennoch sei diese verständlich, da viele ostdeutsche Unternehmen enger an die russische Wirtschaft gebunden seien als westdeutsche. Auch verteidigte er den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) gegen die Kritik an seinem Treffen mit Putin. Man müsse alle Gesprächsmöglichkeiten mit der russischen Regierung nutzen, um den Konflikt zwischen beiden Ländern zu beseitigen, sagte Merz.