Vor dem Hintergrund der Bombardierung von Gaza und der uneingeschränkten Unterstützung der Bundesregierung für Israel gibt es bundesweit palästinasolidarische Proteste, die mit harten Einschränkungen konfrontiert sind. UZ sprach darüber mit Wissam Fakher aus Kassel.
UZ: Du bist aktiv in der Gruppe Unidiversität und dem Bündnis Yousif Shaban. Was sind das für Gruppen?
Wissam Fakher: Die Gruppe Unidiversität ist eine hochschulpolitische Gruppe, die sich als Interessenvertretung für migrantische und internationale Studierende gegründet hat. Zwar wird an Hochschulen viel über Diversität und Antirassismus gesprochen, aber in der Realität gibt es weiterhin viele Probleme.
Nach der Ermordung unseres Kasseler Kommilitonen Yousif Shaban durch israelische Bombenangriffe in Gaza am 24. Oktober haben wir als Gruppe eine Trauerkundgebung an der Uni organisiert. Die Uni-Leitung hat uns die Auflage gegeben, dass die Kundgebung nicht politisch sein soll. Damit war gemeint, dass jegliche Parolen gegen und jegliche Kritik an Israel – also jede Täterbenennung – verboten waren. Das war ein krasses Statement der Uni-Leitung. Daran konnten wir uns nicht halten, denn seine Lebensgeschichte und seine Ermordung sind politisch. Die Kundgebung wurde vorzeitig von der Uni-Leitung aufgelöst. Im Anschluss an die aufgelöste Kundgebung haben wir das Bündnis Yousif Shaban gegründet, um mit anderen Akteuren an der Uni und darüber hinaus zusammenzuarbeiten und dabei Yousif als Symbol für unseren politischen Kampf zu nutzen und an ihn zu erinnern.
UZ: Welche Erfahrungen habt ihr bisher gemacht in der Solidaritätsarbeit für Palästina?
Wissam Fakher: Unsere Erfahrungen sind vor allem von Einschränkungen geprägt. Mitglieder unserer Gruppe Unidiversität waren am 13. Oktober an einer Demonstration vor dem Kasseler Rathaus beteiligt, die kurz vorher verboten wurde – so wie es an vielen Orten in Deutschland immer wieder passiert. Obwohl wir nur zum Rathaus gekommen sind, um die Menschen über das Verbot zu informieren und sie nach Hause zu schicken, gibt es jetzt mehrere Verfahren, Bußgelder und Vorladungen. 25 Menschen haben Bußgeldbescheide von über 600 Euro bekommen. Als wir nach der Bombardierung von Krankenhäusern in Gaza seitens der israelischen Armee eine Kundgebung auf einem öffentlichen Platz in Kassel machten, wurden Palästinafahnen und Kufiyas verboten und weggenommen.
An der Uni ist die Situation nicht besser. Dort wollten wir im Studihaus den Film „Gaza fights for freedom“ zeigen, um den Kontext zu beleuchten und zu zeigen, wie die israelische Armee gegen friedliche Demonstranten, Zivilisten, Journalisten, Frauen und Kinder gewaltsam vorgeht. Nach Anrufen von Staatsschutz und Uni-Leitung beim AStA wurde diese Filmvorführung untersagt. Aus Protest haben wir eine Kundgebung vor dem Gebäude des AStA gemacht. Auch da hat wieder ein Mitglied von uns eine Strafanzeige wegen „Volksverhetzung“ bekommen, da er die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free!“ angestimmt hat. Unsere Erfahrungen zeigen deutlich, dass die Uni-Leitung die Repressionen gegen propalästinensische Strukturen und die deutsche Staatsräson von uneingeschränkter Solidarität für Israel mitträgt. Obwohl die aktuelle Situation sehr schwierig ist, haben wir viel Solidarität erfahren, insbesondere von linken Strukturen innerhalb und außerhalb der Uni. Nach der Gründung des Bündnisses Yousif Shaban kam mehr Bewegung in unseren antiimperialistischen, internationalistischen Protest.
UZ: Warum gibt es deiner Einschätzung nach so krasse Einschränkungen demokratischer Grundrechte gegen die Solidaritätsarbeit mit Palästina?
Wissam Fakher: Der Abbau der Grundrechte hat nicht mit den Repressionen gegen propalästinensische Strukturen begonnen, die Repressionen sind in den letzten Jahren in Wellen gekommen, sichtbar mit der Militarisierung und den neuen Polizeigesetzen in den meisten Bundesländern, mit andauernden Angriffen auf linke und migrantische Strukturen, zum Beispiel in Berlin und Leipzig, gegen Klimaaktivistinnen und so weiter. Jetzt geht es weiter mit Palästina. Das Ausmaß der Repressionen ist so heftig, weil die Frage des palästinensischen Kampfes die Fundamente der imperialistischen Mächte betrifft und insbesondere die Bundesregierung unter politischen und moralischen Druck setzt angesichts ihrer unbegrenzten Unterstützung für eine Armee, die sadistisch Menschen, Krankenhäuser und Journalisten in Gaza bombardiert und Arbeiterinnen und Arbeiter in der Westbank festnimmt und angreift. Außerdem wäre meine Einschätzung, dass die propalästinensischen Strukturen als Versuchskaninchen dienen, damit der deutsche Staat weiß, wie er gegen Proteste vorgehen kann. Die Angriffe auf propalästinensische Strukturen und Proteste sind damit Angriffe auf die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.
UZ: Wie wollt ihr trotz dieser Einschränkungen weitermachen?
Wissam Fakher: Gegen solche Einschränkungen gibt es meiner Meinung nach nur einen Weg: Dass man sich organisiert, sich mit anderen Gruppen vernetzt, Koalitionen aufbaut und mehr Druck auf die Straße bringt. Nur so werden wir ein politisches Gewicht haben, so dass der Staat weiß, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und nicht wegschauen, wenn Menschenrechte gezielt verletzt werden. Darüber hinaus streben wir durch unser Bündnis an, dass palästinensische Stimmen, die im deutschen Mainstream keinen Platz haben, eine Plattform finden, wo sie ihre politischen Ideen und Perspektiven äußern können. Wir sind nicht naiv und wir wissen, dass es ein sehr langer Weg und ein sehr harter Kampf wird. Daher rufen wir alle Menschen, insbesondere unsere linken GenossInnen, auf, Solidarität zu zeigen und aktiv mit auf die Straße zu gehen. Nur so können wir unsere Grundrechte verteidigen.
Wir versuchen jetzt gemeinsame Aktionen zu machen mit Gruppen, die die Waffenindustrie bekämpfen. Insbesondere da Kassel eine Hochburg der Rüstungsindustrie ist. Wir als Studierende der Uni Kassel sehen es als unsere Verpflichtung, gegen diese Industrie zu kämpfen, weil, wer weiß, vielleicht wurden Teile der Bombe, die Yousif getroffen hat, an der Uni Kassel entwickelt oder in Kasseler Rüstungsfabriken hergestellt. Wir haben außerdem eine enge Beziehung zum Beispiel mit der SDAJ und der Partei „Die Linke“. Diese Beziehungen ermöglichen uns breitere Aktionen und Vernetzungen.
UZ: Was sind deiner Einschätzung nach gerade die wichtigsten Forderungen in der Solidaritätsarbeit für Palästina hier in Deutschland?
Wissam Fakher: Am wichtigsten ist die sofortige Einstellung der israelischen Bombardierungen Gazas und der Tötungen im Westjordanland. Die Waffenlieferungen, vor allem aus Deutschland und speziell auch aus Kassel, müssen aufhören. Es braucht eine menschenrechtsorientierte Politik statt der uneingeschränkten Solidarität mit Israel als deutsche Staatsräson.