Kollegin macht Mindestlohn rückwirkend geltend

Wucherähnliches Rechtsgeschäft

Von Christine Christofsky

In Schwerin wurde die Reinigungskraft Frau U. von einem großen Unternehmen im Kindertagesstättenbereich mit einem Stundenlohn von 3,10 Euro beschäftigt. Nach Beratung von ver.di verlangte sie den Mindestlohn von 8,50 Euro, der ihr dann auch gewährt wurde. Dem Unternehmer war klar, dass er bei einem Lohn von 3,10 Euro nicht nur gegen jeden Anstand, sondern auch gegen das Gesetz verstieß.

Aber Frau U. wollte mehr. Sie wollte auch für die Vergangenheit, in der sie für diesen Hungerlohn gearbeitet hatte, den Mindestlohn nachgezahlt bekommen. Das lehnte der Unternehmer mit Hinweis auf die „Ausschlussfrist“ ab. Ihr stehe lediglich eine Nachzahlung für die letzten drei Monate zu, da laut Arbeitsvertrag Forderungen, die nicht innerhalb von drei Monaten geltend gemacht werden, verfallen (Ausschlussfrist).

Frau U. klagte vor Gericht. Das Gericht in Schwerin folgte der Unternehmer-Argumentation. Frau U. ging in Berufung. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hob das Urteil auf. Es kam zu dem Schluss, dass ein Stundenlohn von 3,10 Euro sittenwidrig sei und es sich dabei um ein „wucherähnliches Rechtsgeschäft“ handele. Das ist immer dann zutreffend, wenn in einem Arbeitsverhältnis die „übliche Vergütung“ von dem gezahlten Lohn um mehr als ein Drittel unterschritten wird. Und wenn außerdem dem Unternehmer eine „verwerfliche Gesinnung“ vorgeworfen werden kann, weil er z. B. eine Notlage bei einer Beschäftigten ausnutzt.

Für eine „übliche Vergütung“ ist der Tarifvertrag der jeweiligen Branche und der jeweiligen Region heranzuziehen. Gilt kein Tarifvertrag, muss vom allgemein gezahlten Lohn in Branche und Region ausgegangen werden. Frau U. konnte sich auf einen Mindestlohn für Gebäudereiniger von  7,56 Euro beziehen und lag mit 3,10 Euro mehr als 50 Prozent unter der „üblichen Vergütung“.

Aber da war ja noch die Klausel mit der Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag. Also doch nur drei Monate Nachzahlung?

Das LAG kam zu der Auffassung, dass bei einer „sittenwidrigen Vergütung“ wie in diesem Fall nicht von einer versehentlichen oder unbeabsichtigten Handlung auszugehen sei, sondern vorsätzlicher „Lohnwucher“ betrieben wurde. Bei einem „sittenwidrigen Lohn“ könne sich der Arbeitgeber grundsätzlich nicht auf die im Arbeitsvertrag enthaltene Ausschlussfrist von drei Monaten berufen, weil der Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben damit ausgehebelt wurde.

Das Gericht sprach Frau U. eine Nachzahlung von 12 000 Euro zu.

ver.di und DGB-Rechtsschutz kommentieren, dass zur Durchsetzung des Mindestlohns grundsätzlich keine Ausschlussfristen gelten. Er kann immer für mindestens drei Jahre rückwirkend eingeklagt werden.

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"Wucherähnliches Rechtsgeschäft", UZ vom 17. Juni 2016



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