Worauf man sich konzentriert

Olaf Matthes im Gespräch mit Wolfgang Gehrcke

Klare Kanten

In der vergangenen Woche hat der Blog „Neue Rheinische Zeitung“ im Berliner Kino Babylon seinen „Kölner Karlspreis“ an den Journalisten Ken Jebsen verliehen. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) hatte zuvor versucht, Druck auf das Kino auszuüben, um die Veranstaltung zu verhindern. Die Preisverleihung und Lederers Intervention hatten eine weitere Diskussion in linken und bürgerlichen Medien über Antisemitismus und Querfrontbestrebungen in der Linken ausgelöst. Die „Junge Welt“ griff Jebsen und seine Unterstützer an und stellte ihn in einem zweiseitigen Beitrag als Querfrontaktivisten dar.

Einzelne Politiker der Linkspartei, darunter der Bundestagsabgeordnete Dieter Dehm und der ehemalige Abgeordnete Wolfgang Gehrcke, kritisierten Lederers Eingreifen als Zensur und kündigten an, bei einer „Kundgebung für Demokratie und Meinungsfreiheit“ dagegen zu protestieren. Der Parteivorstand der Linkspartei fasste daraufhin mehrheitlich einen Beschluss „Klare Kante gegen Querfront“, in dem er Lederers Vorgehen verteidigte und von den Parteimitgliedern forderte, sich an dieser Kundgebung nicht zu beteiligen. Der ursprüngliche Entwurf griff auch Dehm und Gehrcke namentlich an. Die Kundgebung fand auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, also vor dem Kino Babylon, aber auch in unmittelbarer Nähe zur Zentrale der Linkspartei statt, Gehrcke trat als Redner auf.

Als Redner bei der Preisverleihung trat auch der Vorsitzende des Deutschen Freidenkerverbandes, Klaus Hartmann, auf. Die Band „Die Bandbreite“, die vor der Bundestagswahl für die Partei „Deutsche Mitte“ geworben hatte, spielte eigene Lieder und das Einheitsfrontlied von Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Jebsen selbst erschien nicht.

UZ: Ist das Verhältnis zu Ken Jebsen der Prüfstein für die deutsche Friedensbewegung?

Wolfgang Gehrcke: Nein, das ist noch nicht einmal eine zentrale Frage für die Friedensbewegung. Die Friedensbewegung muss sich darüber klar werden, worauf man sich konzentriert, sie muss in die Breite gehen und gesellschaftliche Fragen aufgreifen. Ken Jebsen steht dabei nicht im Zentrum.

UZ: Heißt das, es gibt gar keinen Grund dafür, dass die Linke so kontrovers über Jebsen diskutiert?

Wolfgang Gehrcke: Die Dinge haben sich sehr zugespitzt. Der Ausgangspunkt war ja die Entscheidung der „Neuen Rheinischen Zeitung“, Jebsen einen Preis zu verleihen. Und dann kam die Frage auf: Darf ein Kultursenator Druck auf ein kommunales Kino ausüben, um so eine Veranstaltung zu verhindern? Diese Entscheidung des Kultursenators hat eine nicht uninteressante Debatte in Gang gebracht.

UZ: Die Debatte besteht in weiten Teilen aus Querfront- und Antisemitismusvorwürfen. Was ist das Interessante daran?

Wolfgang Gehrcke: Antisemitismusvorwürfe müssen belegt werden. Es ist doch nicht zu übersehen, dass solche Vorwürfe auch Teil einer politischen Kampagne sind – ich habe ja ein ganzes Buch dazu gemacht. Der Vorwurf des Antisemitismus ist der schlimmste Vorwurf, den man jemandem machen kann – den muss man entweder beweisen oder vermeiden. Bei Jebsen konnte er nicht bewiesen werden.

Die „Querfront“ war eine politische These aus der Weimarer Republik, das hat mit der heutigen Debatte nichts zu tun. Für viele ist es schon eine „Querfront“, wenn man mit Konservativen in der Friedensbewegung zusammenarbeiten will. Es war immer meine Auffassung, dass man das muss.

UZ: Wofür steht Ken Jebsen?

Wolfgang Gehrcke: Er steht für sich selbst. Ich finde, er ist ein talentierter Journalist, er hat eine ganz eigene Art, Sendungen zu machen. Politisch-inhaltlich sehe ich nicht so viele Dinge, in denen ich mit ihm übereinstimme, ich halte ihn auch nicht für einen Sozialisten oder so etwas. Aber er ist gegen Krieg. Das ist mir sehr wichtig.

UZ: Euer Parteivorstand hat sich mehrheitlich gegen Jebsen positioniert. Ist das eine Stellungnahme gegen die Friedensbewegung?

Wolfgang Gehrcke: Nein. Der Parteivorstand hat sich ja auch in erster Linie nicht gegen Jebsen, sondern gegen Dieter Dehm, Christiane Reymann und mich positioniert. Ich finde, das war eine Fehlentscheidung, das betrübt mich. Zum Beispiel hätte ich erwartet, dass ich mich auf dieser Tagung erklären kann – ich habe aber von dem Beschluss nur aus der Presse erfahren. Das ist keine Art und Weise, wie man miteinander umgeht.

In der Diskussion kommen mehrere Fragen zusammen. Es wird zurecht gesagt, dass wir angesichts der Millionen ermordeter Juden ein besonderes Verhältnis zu Israel brauchen. Angesichts der Millionen ermordeten Sowjetbürger brauchen wir auch zu Russland ein besonderes Verhältnis, ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis. Aber auch wenn wir uns in einigen Fragen nicht ganz einig sind – ich glaube nicht, dass die Partei „Die Linke“ anfängt, in der Friedensfrage zu wackeln.

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"Worauf man sich konzentriert", UZ vom 22. Dezember 2017



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